Business Intelligence und Analytics als Fundament neuer Industrie-4.0-Ansätze – BIA 4.0

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Der TDWI Germany e.V. hat in einer Studie [1] die Zukunftsaussichten heutiger Ansätze für Business Intelligence und Analytics (BIA) in der Welt des Internets der Dinge und der intelligent kooperierenden cyber-physischen Systeme untersucht. Auf der TDWI Konferenz 2016 sprach »manage it« mit Dr. Henning Baars, Autor und Forscher an der Universität Stuttgart.

Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen derzeit?

Eine wesentliche Herausforderung ist die zunehmende Dynamik in der Unternehmensumwelt. In globalen Liefernetzwerken müssen Unternehmen auf unerwartete Entwicklungen effizient reagieren können – seien es Naturkatastrophen, politische Umbrüche oder disruptive Technologiewandel. Gleichzeitig steigen Variantenvielfalt und Produktkomplexität, was es deutlich schwerer macht, auf bewährte Erfolgsrezepte zu setzen.

Welche Chancen bietet die Digitalisierung? 

Die Digitalisierung erlaubt es, die angesprochene Komplexität zu beherrschen: Mit den richtigen »Datenfühlern« wird es möglich, relevante interne und externe Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und zu verstehen. Voraussetzung ist allerdings, dass Unternehmen die diversen Datenquellen zusammenführen und interpretieren können. Das ist nicht nur eine Frage der Technologie. Es reicht nicht, all die heterogenen Daten unverarbeitet in einen großen »Datensee« zu kippen und zu hoffen, mit den richtigen Analyseverfahren ließen sich wertvolle Erkenntnisse »herbeizaubern«.

Wenn wir von Industrie 4.0 sprechen: Was ist damit eigentlich gemeint? 

Der Begriff wird sehr unterschiedlich genutzt. Gemeinsam ist allen Definitionen jedoch die Nutzbarmachung der Digitalisierung in industriellen Unternehmen. Hierbei stehen vor allem die sogenannten »Cyber-physischen Systeme« (CPS) im Mittelpunkt. Ein CPS ist ein physisches System mit eingebetteter Informations- und Netzwerktechnik.

Darüber hinaus unterscheiden Experten wie Prof. Dr. Lasi und Prof. Dr. Kemper drei Ansätze: Während bei einem engen, produktionsorientierten Ansatz lediglich auf Aspekte der unmittelbaren Fertigung sowie der zugehörigen Produktionslogistik fokussiert wird, werden bei einem erweiterten produktorientierten Ansatz auch vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen und damit etwa auch Fragen der Wartung und des Supports einbezogen. In der weitesten Auslegung werden unter Industrie 4.0 alle Phasen des Produktlebenszyklus sowie die gesamte Wertschöpfungskette subsummiert – von der Produktidee bis zum Recycling und vom Rohstofflieferanten bis zum Konsumenten.

Können Sie Bespiele für die drei Spielarten nennen?

Ein Beispiel für einen produktionsorientierten Ansatz wäre die Nutzung von CPS, um in einem Werk eine agile Produktion zu realisieren, mit der auch eine sehr große Variantenzahl mit kleinsten Losgrößen wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Das ist für die meisten Unternehmen allerdings eher eine langfristige Vision. Aber die ersten Schritte dahin werden bereits gegangen, etwa durch flexiblere Güterflüsse oder Bauteile, die Maschinen automatisch die für sie relevanten Bearbeitungsschritte mitteilen. Ein Beispiel für den zweiten Fall ist der Einsatz von CPS, um einzelne Produkte von der Produktion bis zur Nutzung zu verfolgen, um so etwa Probleme bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen zu können – »Root Cause Analysen«. Und ein Beispiel für den dritten Ansatz wären CPS-basierte Produkte, bei denen Nutzungsdaten Rückkopplungen bis zur Konzeption und Entwicklung von Folgeprodukten erlauben und die neue Dienstleistungen ermöglichen, in die etwa auch die Zulieferer und Kunden der Produkte eingebunden werden. Etwa wenn die Produktionsmaschine eines Maschinenbauers über eine Internetplattform auch den Materialnachschub und die Lieferprozesse des Maschinennutzers steuert.

Wenn man die Kombination aus Big Data, Analytics und Cloud durchdenkt – wie verändert sich die Ökonomie dadurch?

Bei Big Data wird vor allem der Aspekt der »Velocity« relevant. Aktuelle Enterprise-Systeme sind derzeit nicht darauf ausgelegt, Daten aus einer großen Anzahl verteilter Sensoren aufzufangen. Und diese zusammen mit heterogen strukturierten Daten aus dem Produktlebenszyklus zu sammeln und für Analysen verfügbar zu machen, ist eine gewaltige Herausforderung. Big-Data-Technologien bieten hier interessante Lösungskonzepte.

Business Intelligence und Analytics (BIA) kommt zum einen die Rolle zu, eine prozessweite Datenlogistik aufzubauen. Zum anderen muss sie übergreifende Analysen realisieren, beispielsweise für eine vorausschauende Wartung. Hier kann auf den großen Erfahrungsschatz aus dem BIA-Umfeld zurückgegriffen werden, etwa wenn es um die Realisierung und den Betrieb von Datenintegrationsplattformen oder den Umgang mit Datenqualitätsaspekten geht.

Cloud-Lösungen bieten sich schon aufgrund des verteilten Charakters prozessübergreifender Lösungen an, speziell, wenn Lösungen Unternehmensgrenzen überschreiten. Darüber hinaus ist die Skalierbarkeit von Cloud-Lösungen relevant, etwa, wenn Lieferstrategien geändert werden und damit das Datenvolumen schwankt.

Welche Hemmnisse gibt es derzeit?

Da sind zum einen die bestehenden Infrastrukturen in den Werken, die eben häufig noch nicht auf Industrie-4.0-Szenarien ausgelegt sind. Viele Maschinen bieten nur proprietäre oder gar keine digitalen Schnittstellen, in den Unternehmen fehlen Metadaten und es werden unterschiedliche Standards etwa bei der Identifikation von Objekten genutzt. Zum anderen ist es nicht einfach, die Potenziale und Risiken korrekt auszuloten, gerade wenn es um Ansätze geht, die Unternehmensgrenzen überschreiten

Wie lassen sich die Herausforderungen lösen?

Ich würde ein Herantasten an die Thematik mit Pilotprojekten empfehlen, am besten in Kooperation mit neutralen Forschungseinrichtungen und Verbänden. Hierbei muss durchaus Geld in die Hand genommen werden – eine abwartende Haltung kann dazu führen, strategisch abgehängt zu werden.

Welche Rolle kann der TDWI für die weitere Entwicklung spielen?

Der TDWI kann seinen großen Pool an Ressourcen für Fragen der Datenlogistik, -integration und -analyse einbringen. Viele Mitglieder haben auch bereits Erfahrungen in einem industriellen Umfeld gesammelt. Ich halte es auch für wichtig, dass der TDWI gerade in Deutschland nicht rein kommerziell orientiert ist, sondern einen starken, praxisorientierten Forschungszweig hat. Das sind ideale Voraussetzungen für die Vernetzung und einen kreativen Wissensaustausch.

Vielen Dank für das Gespräch. 


[1] Studie des TDWI: https://www.tdwi.eu/tdwi-germany-ev/content-des-tdwi-ev/
[2] Lehrstuhl für allgemeine BWL, Stuttgart: https://www.bwi.uni-stuttgart.de/abt7/mitarbeiter/Baars/

 

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