Cognitive Computing: Der evolutionäre Schritt zur Automatisierung

32 Prozent im Baugewerbe, 49 Prozent im Handel und sogar 55 Prozent in der Produktion – das ist die globale Produktivitätssteigerung durch Automatisierung von 2015 bis 2030, die von Bain & Company Tage prognostiziert worden ist [1]. Naturgemäß profitiert die deutsche Wirtschaft mit ihren führenden Investitionsgüterherstellern massiv von dieser Modernisierungswelle. Branchenübergreifend liegt der Positiv-Effekt, von dem kein Sektor ausgenommen sein wird, bei rund 30 Prozent. Kurioserweise erreichen die Unternehmen diese guten Werte, indem sie aus der Not eine Tugend machen. Denn sie automatisieren in erster Linie, um das Defizit am Arbeitsmarkt zu kompensieren. Das heißt, die Investition in neue Technologien ist eine hocheffiziente Antwort auf den Fachkräftemangel.

Einstiegstechnologien

Das Zahlenwerk sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eines kleinen, aber nicht minder evolutionären Technologieschrittes bedarf, damit sich diese Steigerungsraten tatsächlich erreichen lassen. Denn auch wenn vielerorts bereits laut darüber spekuliert wird, dass der Kollege Roboter in 10 bis 15 Jahren schon durchschnittliche 30 Prozent der Arbeiten übernimmt – so ist diese Grundannahme dennoch falsch. Zumindest dann, wenn man den Status quo in vielen Organisationen im Hinblick auf die dort eingesetzten Technologien betrachtet. Hier gibt es noch gewaltiges Potenzial nach oben.

Die meisten Unternehmen nutzen heute erst Einstiegstechnologien in das Thema – vor allem Robotic Process Automation (RPA). Nach aktuellen Untersuchungen sind in deutschen DAX-Unternehmen jeweils bis zu 1.000 dieser RPA-Software-Tools im Einsatz. Was erledigen diese Werkzeuge? Sie transportieren Daten zuverlässig von A nach B. Das, was zu Zeiten von Magnetbändern und Großrechenanlagen noch händisch von sogenannten Datentypisten durchgeführt wurde, erledigen diese Roboter. Sie sind eine große Unterstützung beispielsweise für Unternehmen mit viel Posteingang oder einer großen Anzahl an traditionellen Back-Office-Systemen. Doch die verlässliche Weiterleitung von Daten anderer Applikationen an das CRM ist nur ein Teilaspekt von RPA-Lösungen.

Neuere Technologien

Erst muss nämlich eine technologische Fortentwicklung stattfinden, damit die Automatisierung erstens die branchenübergreifende Wirkung erzielen und zweitens auch in der Wertschöpfung der Unternehmen tiefgehend verankert werden kann. Dieser Schritt besteht aus einer Verknüpfung der RPA mit neueren Technologien wie Cognitive Computing und künstlicher Intelligenz (KI).

Bildlich gesprochen bedeutet das: Aus dem Datentypist wird ein strategisch und autonom agierender Büromitarbeiter mit erweiterten Qualifikationen und – das ist besonders wichtig – einer besonders ausgeprägten Lernfähigkeit. Er lernt ständig hinzu und entwickelt sich weiter.

Das funktioniert folgendermaßen: RPA war also bis dato in der Lage, Daten zuverlässig zu transportieren. Was aber, wenn es darüber hinaus darum geht, diese Daten nicht nur zu transportieren, sondern auch deren Inhalte zuverlässig zu erkennen? Man veredelt das Tool also von der reinen Transportebene hin zu einer Verständnisebene. Betrachten wir beispielsweise eine Rechnung, die bis dato lediglich vom digitalisierten Posteingang in das SAP-System portiert wurde. Jetzt aber geht es darum zu erkennen, von wem diese Rechnung stammt, welchen Vorgang sie betrifft, ob sie eine besondere Dringlichkeit hat und – last but not least – ob sie überhaupt zuverlässig oder gar ein potenzieller Betrugsfall im Spiel ist. Ist der Empfänger vielleicht »frisiert«? Oder liegt ein internes Problem vor?

Cognitive Computing mit KI

Systeme auf Basis von Cognitive Computing mit KI können in Sekunden aus Millionen an Datensätzen die entscheidenden Fakten erkennen. Sie decken Korrelationen auf und treffen Entscheidungen. Im Fall der Rechnung wäre das, die etwaige betrügerische Post mit einem entsprechenden Hinweis sofort an die zuständige Fraud-Abteilung weiterzuleiten. Das können diese Lösungen leisten, da sie nicht nur genauso akkurat wie bekannte RPA-Lösungen arbeiten, sondern darüber hinaus auch lernfähig sind. Diese Software folgt nicht ausschließlich strengen Wortanalysen oder Regeln. Hier kommen menschliche Verständnismuster zum Zuge, um Big Data und unstrukturierte Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zu interpretieren und einzuordnen.

Eine solche Technologie ermöglicht umfassendes Automatisieren, etwa in Bereichen wie Kundeninteraktion, Extraktion und Klassifizierung von Rechnungsdaten, Schadensmanagement oder Vertragsüberprüfung. Cognitive Computing und KI bringen intelligente Fähigkeiten in die RPA ein und dehnen die Automatisierung auf Aktivitäten aus, die mehr Intelligenz erfordern. Sie senken Kosten und steigern die Kundenzufriedenheit durch natürliche Sprachverarbeitung und Textanalytik. So entsteht ein enormes Maß an Genauigkeit in der Automatisierung bei sich häufig wiederholenden und komplexen informationsbasierten Prozessen.

Enorme Bandbreite

Die Bandbreite an Einsatzszenarien ist dabei vielfältig. Im Handel machen es solche Lösungen den Unternehmen einfacher, ihre Preise anzupassen. Umsatzdaten, saisonale Trends und auch Kunden-Feedback lassen sich auswerten und fließen mit in die Preisfindung ein. Oder Wartungsempfehlungen in der Industrie, das derzeit sehr gehypte Thema »Predictive Analytics«. Gescannte Wartungsprotokolle oder die Kommunikation der Techniker werden hierfür gesammelt und ausgewertet. Und in allen Organisationen profitiert der Kundenservice. Chat-Auswertungen, Text- und Sentimentanalysen oder E-Mails – all das sammelt und analysiert das lernende System und gibt Empfehlungen.

Und nicht nur das: Sicher ist es denkbar, dass Maschinen und Geräte im Internet of Things (IoT) eines Tages ihre Störungen selbstständig beheben. Das setzt allerdings voraus, dass sie den richtigen Input bekommen – also Wissen erhalten. Das können sie nur, wenn RPA mit Cognitive Computing und KI verknüpft wird. Ein evolutionärer Schritt in der Technologie mit großartigen Folgen.

Stefan Welcker, Managing Director DACH bei Expert System Deutschland GmbH

 

Stefan Welcker bekleidet seit März 2017 die Position des Managing Director der Expert System Deutschland GmbH. In dieser Funktion ist er für die Leitung sämtlicher Geschäfte in der DACH-Region verantwortlich. Mit mehr als 20-jähriger Erfahrung in den Bereichen Informationstechnologie und Enterprise Software wird Stefan Welcker den Expansionskurs von Expert System in Deutschland, Österreich und der Schweiz weiter vorantreiben.
Vor seiner Ernennung bei Expert System war Stefan Welcker als Geschäftsführer bei C2FO, einem Finanztechnologieunternehmen, und Lexmark (ehemals Perceptive Software) tätig. Während seines beruflichen Werdegangs leistete er einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung und Optimierung von Prozessen mit Lösungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz für führende Unternehmen wie Airbus, BAT, EADS, E.ON, Nestle, Siemens und Swiss Re.
[1] »LABOR 2030: THE COLLISION OF DEMOGRAPHICS, AUTOMATION AND INEQUALITY«

 


 

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