»Die Digitale Transformation bringt eine der größten Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte«

Interview zum Thema Digitale Transformation in ausgewählten europäischen Ländern mit dem Berliner Prophet-Partner Felix Stöckle und Tobias Bärschneider, ebenfalls Partner im Berliner Prophet-Büro.

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Auf der Cebit 2016 ist die Digitale Transformation das große Thema. Was bedeutet der Umbau der Organisationen für die Unternehmen?

Felix Stöckle: Viele Unternehmen sind große Tanker. Für diese Unternehmen bedeutet die Digitale Transformation eine der größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar die größte Veränderung überhaupt. Ich mag zwar das Schlagwort ›Digitale Revolution‹ selber nicht mehr hören, aber das Ausmaß der notwendigen Transformation spricht am Ende für sich. Überall entstehen neue Möglichkeiten und Kanäle, um mit Kunden zu interagieren und Wachstum zu erzielen. Das alles geschieht in einer Geschwindigkeit, die viele Manager überfordert. Gleichzeitig sind die Konsequenzen für die Unternehmensorganisationen und die Menschen in diesen Unternehmen gewaltig. Geschäftsmodelle sowie alle internen Abläufe müssen neu definiert werden und große Investitionen getätigt werden. Für die Unternehmen bedeutet der Wandel einen gewaltigen Millionenaufwand, er ist aber alternativlos.

Tobias Bärschneider: Die menschliche Dimension der Transformation wird tatsächlich oft unterschätzt. Bei vielen Menschen erzeugt der Wandel durchaus Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Wie gross ist der Anteil unserer Arbeit den Maschinen übernehmen könnten? Menschen haben Zweifel, ob sie mit ihren Fähigkeiten noch in die neue digitale Welt passen. Es ist den meisten klar, dass wir ein Leben lang lernen und Kompetenzen entwickeln müssen. Das ist eine der größten Veränderungen der Arbeitswelt überhaupt – hier kann und muss eine klare digitale Strategie helfen die Furcht vor Undefinierbarem zu nehmen, Menschen in den Wandel einzubinden.

 

Wie kann Arbeitnehmern die Angst vor dem Wandel genommen werden?

Felix Stöckle: Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten ihren Arbeitnehmern deutlich machen, dass die Digitale Transformation für sie nicht zwangsläufig eine Bedrohung sein muss. Entsprechend wichtig ist es, Ängste abzubauen, den Wandel erlebbar zu machen und in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Für einen unseren Klienten, eine spanische Bank, haben wir etwa den Prototypen einer neuen Filiale direkt ins Foyer gebaut. So konnten die Beschäftigten den Wandel erleben, ausprobieren und Feedback geben. Es sollten eben nicht nur Parolen zur schönen neuen Welt verbreitet werden. Die Dinge müssen greifbar gemacht werden. Je mehr ohne Substanz schöngemalt wird, desto größer ist später die Ernüchterung. So verliert man die Menschen, wo man sie für Veränderung gewinnen muss.

 

Eine aktuelle Umfrage von Prophet zeigt, dass die Arbeitnehmer die Notwendigkeit der Transformation erkennen und auch die Führungskräfte die richtigen Argumente finden. Ein Lob für den Wandel?

Jan Döring: Wir haben bereits vor zwei Jahren eine ähnliche Umfrage gemacht. Da fielen die Ergebnisse tendenziell etwas schlechter aus. In den vergangenen 24 Monaten hat sich in den Konzernen viel getan. Das spüren wir auch in unserer Beratungs-Praxis. Die Unternehmen sind aus der Testphase heraus, die Transformation ist eines ihrer zentralen Themen. Der Druck zur Veränderung kommt vor allem aus dem Markt, der nach neuen digitalen Angeboten und Services verlangt. Daher hat die Digitale Transformation eine neue Priorität im Management bekommen, sie wird in den Unternehmen besser umgesetzt und die einzelnen Schritte von den Mitarbeitern positiver beurteilt.

 

Dennoch sind die deutschen Firmen in der Umfrage nur auf dem vierten von fünf Plätzen. Warum ist der Sieger England so viel besser als wir?

Tobias Bärschneider: Viele Entwicklungen um das Internet kommen vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Wir sehen bei unseren Projekten, dass solche Ideen und Geschäftsmodelle oft mit Zeitverzögerung nach ein, zwei Jahren in Deutschland ankommen. Die Umfrage deutet auch drauf hin, dass die Skandinavier näher an neuen digitalen Geschäftsmodellen sind als wir Deutschen. Unternehmen wie zum Beispiel der schwedische Musikdienst Spotify haben sich einen gewissen Vorsprung am Markt erarbeitet. Deutschland ist ein Wirtschaftsstandort mit immernoch stark industriellem Schwerpunkt. Das Thema Industrie 4.0, also die Vernetzung der Fabriken, fängt mit einer gewissen Verzögerung an, hat uns nun voll erreicht und spielt eine immer wichtigere Rolle.

 

Erstaunlich ist auch das gute Abschneiden der Schweiz in Ihrer Umfrage. Was können wir von den Schweizer Unternehmen lernen?

Jan Döring: Ich lebe und arbeite in Zürich. Mein Gefühl ist, dass die junge Generation von Topmanagern in der Schweiz die digitale Welt besser versteht als in anderen Ländern. Das Thema ist hier allgegenwärtig und es scheint, dass es insbesondere in der oft als eher konservativ wahrgenommenen Schweiz eine echte Aufbruchsstimmung erzeugt. Die Kerntreiber in der Schweiz sind aus meiner Sicht der grundsätzlich hohe Innovationsdrang und die im Vergleich zu anderen Ländern weit verbreitete Einsicht im Top-Management, dass eine Digitale Transformation etwas ganz Natürliches und Zeitgemäßes ist und daher in den Unternehmen stark vorangetrieben werden sollte.

 

Auf dem letzten Platz Ihrer 5-Länder-Umfrage ist Frankreich. Wie erklären Sie das?

Felix Stöckle: Ich bin jetzt natürlich versucht, die alten Beispiele zu bringen, als die Franzosen sogar per Gesetz angeordnet haben, dass angelsächsische Begriffe wie Mouse, Compact Disc oder E-Mail ins Französische zu übersetzen seien, um die französische Sprache zu schützen. Das spielt sicherlich eine Rolle. Die Franzosen sind eines der Länder mit den höchsten Verkrustungsstrukturen und dem höchsten Aufholbedarf. Die Spanier und Portugiesen sind durch die Finanzkrise gezwungen worden, ihre Strukturen zu überdenken und effizienter zu gestalten. Jeder Franzose sieht, dass im eigenen Land wenig in diese Richtung passiert. Dieser Frust schlägt sich in unserer Umfrage nieder.

 

Auch in Deutschland gibt es alte Führungskräfte und unnötige Hierarchien. Die Entscheider kommen nicht gerade aus der New Economy.

Jan Döring: Es sind durchaus moderne und digital sehr affine Unternehmensführer nachgewachsen. Das größte Problem sehe ich im Mittelmanagement, das oft zur Bremse wird. Oben ist der Vorstand, der das Problem beziehungsweise die Chance erkannt hat und versucht Initiativen zu starten, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicher zu stellen. Unten sind junge, ambitionierte Mitarbeiter, die häufig Digital Natives sind und es merkwürdig finden, wie konservativ ihr Arbeitgeber ist. Im mittleren Management denken Mitarbeiter allerding weiterhin oft in Silos und haben Angst, etwas zu verlieren. Sie setzen sich zu wenig mit digitalen Themen auseinander. Wer einmal in einem Großkonzernen gearbeitet hat, der weiß, das gerade im Mittelmanagement jegliche Transformation im Keim erstickt werden kann, wenn man die Manager nicht richtig mitnimmt und befähigt.

 

Etliche Arbeitnehmer sehen sich laut Ihrer Umfrage besser positioniert als ihre Arbeitgeber. Könnte das zu einem Konflikt werden? Gehen die guten Leute weg?

Tobias Bärschneider: Einzelpersonen haben es in ihrer Transformation zum Digitalen leichter. Fast wie ein kleines Start-up können sie sich neu positionieren und fertige Tools oder Apps nutzen. In Unternehmen ist die Komplexität natürlich deutlich größer. Deshalb vollzieht sich der Wandel auch langsamer. Natürlich werden sich Arbeitnehmer darüber Gedanken machen, ob ihr Arbeitgeber wettbewerbsfähig bleibt, wenn er sich dem digitalen Wandel verschließt. Probleme können aber auch einen Leidensdruck erzeugen, der Entwicklungen beschleunigt. Auch für junge Menschen bleiben Großkonzerne als Arbeitgeber sehr interessant. Sie bieten mehr persönliche Sicherheit, die Reputation einer bekannten Marke und häufig auch bessere Konditionen für Berufsanfänger.

Das Interview führte Andreas Nölting

 

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