Hannover Messe 2017 – Connect the Unconnected – wir stehen noch ganz am Anfang

Viele produzierende Firmen schlagen sich aus der Vergangenheit mit zwei unterschiedlichen IT-Strukturen, der klassischen kaufmännischen IT und der davon strikt getrennten Produktionstechnologie, herum. Wie die Messe zeigte, gibt es bei der Integration noch sehr viel zu tun. Auch die Anbieterlandschaft erscheint noch stark vom Hintergrund geprägt. Ob IT-Spezialist oder Produktionsspezialist ist immer noch eine Frage von »entweder – oder«, nicht von »sowohl – als auch«.

Insgesamt entstand der Eindruck, dass die klassischen ICT-Provider noch weit davon entfernt sind, die Fabrik flächendeckend digitalisieren zu können. Die Messe war so aufgeteilt, dass man schnell den Eindruck gewinnen konnte, dass es nicht eine war, sondern mehrere. Digitalisierung fand in einer Halle statt, Automatisierung in drei anderen. Dort gab es noch gemeinsame Themen und Überschneidungen. Allerdings unterscheiden sich die Blickwinkel von ICT-Anbietern und Automatisierungsspezialisten.

IT-Generalisten reden von Predictive Analytics – Spezialisten reden von Faster Robotics

Die allermeisten Szenarien die von ICT-Anbietern gezeigt wurden, beinhalten die Fähigkeit, Roboter im Produktionsprozess dadurch zu unterstützen, dass sie ausfallsicherer werden. Automatisierungsspezialisten fokussieren sich im Gegensatz dazu auch darauf, Technologien zu forcieren, die diese Maschinen in ihrer Kernaufgabe schneller machen, ohne an Präzision zu verlieren. So wurde ein Konsortium, EtherCat, gegründet, dem auch das inzwischen von Chinesen gekaufte Automatisierungshaus Kuka angehört.

EtherCat optimiert Roboter Physical Systems, so dass die Maschine beispielsweise schneller drei verschiedene Sorten von Kapseln in ankommende Behälter einsortieren kann, egal in welcher Reihenfolge sie vom Band laufen. Wenn die ICT-Provider Full Services anbieten wollen, müssen sie auch diese Themen verstehen. Wenigstens gibt es starke Schnittstellen. In anderen Bereichen sieht das anders aus. In weiteren Hallen wurden für den Industriesektor wichtige Technologiethemen präsentiert – ohne jeden Bezug von IT.

Optimierung von Messtechnik und Kompressionsverfahren nicht im Zusammenhang mit IoT

Mehrere Aussteller zeigten Apparaturen, die den heutigen Entwicklungsstand von Präzisionsmessanlagen verdeutlichen. Diese Anlagen sehen nicht nur so aus wie die Hexenküchen berühmter Wissenschaftler aus dem letzten Jahrhundert, sie haben auch eine große Gemeinsamkeit. Vernetzung, IoT, Digitalisierung, Analytics sind für die Hersteller bestenfalls Visionen. Ein Sprecher sagte mir ganz offen: »Soweit sind wir noch nicht, derzeit wachsen wir auch so.«

Eine komplette Halle wurde mit Ausstellungsstücken zur Komprimierung von Sauerstoff gefüllt. Nicht nur Hardware, sondern auch Anwendungen und Entwicklungen von Vakuumtechnologien wurden gezeigt. Ein interessantes Anwendungsbeispiel ist die Anlegetechnologie im Hamburger Hafen. Fracht- und Containerschiffe werden an ihren Liegeplatz angesaugt. Auch diese Technologien wurden noch nicht im Zusammenhang mit Industrie 4.0 präsentiert.

Hardware wird im Industriekontext anders verstanden als in der IT

Hardware-Exponate gab es in unzähligen Variationen, von Fabrikationsmotoren bis hin zu Einzelteilen. Teilweise wurden sogar Metallteile zur Schau gestellt, mit denen der Anbieter demonstrieren will, dass er bestimmte DIN-Normen für Kantenschliffe und Materialbeschaffenheit erfüllt.

Ein Exponat machte mehr als andere deutlich, dass in dieser Messe zwei Welten aufeinanderprallten. Ein Besucher sah einen Stand, auf dem gelbe Metallschuhe in der Größe von Backsteinen ausgestellt waren. Er fragte, ob das geschützte Container für Sensoren zur Vernetzung von Anwendungen in der rauen Natur seien. Der Aussteller gab zurück: »Das ist die raue Natur, und die hat nichts mit Vernetzung zu tun. Das sind Notschalteinrichtungen zur Abschaltung von Förderbändern für Kiesgruben, für den Tagebau und alles andere, was Laufbänder hat. Alle zwei Meter muss solch ein Device verfügbar sein, damit das Band jederzeit gestoppt werden kann. In der folgenden Diskussion wurde ersichtlich, dass der Aussteller Vernetzung eher als Bedrohung denn als Chance begriff.

Blick auf die Anbieter

T-Systems kommt über den vertikalen Marktangang und Cases für Manufacturing, Logistics, Automotive und Health sowie Smart Homes. T-Systems kann viele Projekte für Predictive Maintenance vorweisen.

Dann kommt die klassische Integration in horizontale ICT-Lösungen.

Automatisierung der Produktionsprozesse am Beispiel Wartung für Fahrstühle: Service-Techniker werden im Störungsfall automatisch beauftragt, ohne dass jemand dafür die Entscheidung trifft. Ansonsten ist ein Großteil der Anwendungsfälle im Produktionsumfeld vorrangig im Bereich Predictive Analytics anzutreffen und vorrangig zur Erhebung und Aufbereitung von relevanten Daten ausgerichtet, um Maschinen und Anlagen effizient zu betreiben. Ein typisches Beispiel ist die Notifikation bei der Überschreitung von vom Kunden festgelegten Schwellwerten. Kunden sind momentan noch sehr zögerlich, IoT-Vernetzung in Kernprodukte einzubauen. Bei Analytics ist eine Störung noch weniger katastrophal.

IoT-Plattform: T-Systems schaut nach Lösungen mit offenen Standards, Partnerships mit SAP und Microsoft über die Azure-Plattform.

IoT-Strategie: T-Systems ist hungrig und will hier eine Leadership-Rolle einnehmen. T-Systems zieht Kompetenzen im Konzern – MMS, Digital Division, SI und Detecon – zusammen. In der SI werden Informatiker neben Physikern eingestellt, um Digitalisierung ganzheitlich zu verstehen. Vorgestellt wurde das Szenario eines Datenhandschuhs für Server-Administratoren. Die Robustheit und Sicherheit wird auf einer Fregatte der Bundesmarine getestet.

Siemens: Das Unternehmen schlägt im Bereich Industrie 4.0 mit der gesamten Breite und Tiefe seines Manufacturing-Portfolios und Erfahrungsschatzes zu. Der Siemens-Stand war der größte auf der Messe. Allein das Thema Monitoring von systemkritischen Anwendungen im Produktionsablauf führte über zwei Reihen verschiedenster Exponate von Schließmechanismen von High-Secure-Manufacturing-Anlagen über Roboterüberwachung bis zu Dashboards mit Symbolen für die verschiedensten Szenarien, in denen eingegriffen werden muss. Eingriffe werden über Signalschalter ermöglicht, die automatisierte Reaktionen zur Folge haben – von Start/Stop zur Verlangsamung der Produktion, Aktivierung von Wartungsfenstern und Teilebestellung.

Gezeigt wurde auch eine starke Verknüpfung von IoT-Energiemanagement für Gebäude und Produktionsanlagen mit Digitalisierung. Energie ist für Siemens der Einstieg in das Thema; die ersten Stände zeigen Smart-Energy-Management-Systeme – von Transporttechnologie bis zu Energieüberwachungssystemen. Daten werden in der Mindsphere Cloud gebündelt.

ABB: Der schweizerisch-schwedische Mischkonzern zeigt eine ähnliche Strategie wie sein Konkurrent aus München. Energiemanagement, Automatisierung der Robotik und Überwachungssystematik im Produktionsprozess gekoppelt mit der eigenen Expertise von Herstellung über Vernetzung bis Full Service für die Produktionsanlagen wurden gezeigt. Der Stand war wesentlich kleiner und übersichtlicher. Tiefe wurde aufgezeigt, aber nicht so demonstriert wie dies bei Siemens der Fall war.

Dr. Henning Dransfeld, Experton-Group, www.experton-group.de

 


 

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