Industrie 4.0 – neue Wege sind das Ziel

Mit digitalisierten Prozessen können Unternehmen deutlich Kosten sparen. Doch oft fehlt das Know-how, wie eine sich selbst organisierende Produktion systematisch vorangetrieben werden kann. Einem Hersteller von elektrischer Verbindungstechnik ist das mit Hilfe des »Industrie 4.0 Maturity Index« gelungen.

 

Sie wissen um die Vorteile einer sich selbst organisierenden Produktion und trotzdem tun sich deutsche Unternehmen schwer mit der digitalen Transformation. Im internationalen Vergleich fällt Deutschland zurück, wie das IMD Ranking 2017 der 60 wettbewerbsfähigsten Länder der Welt zeigt. Hier belegt Deutschland in puncto Wettbewerbsfähigkeit und digitale Wettbewerbsfähigkeit die Plätze 13 und 17. Ein Grund ist, dass viele Unternehmen glauben, die Produktion aus dem Stand neu aufstellen zu müssen, statt schrittweise vorzugehen. Hinzu kommen Unsicherheiten hinsichtlich passender Technik und anwendbarer Standards.

Zur Industrie 4.0 gehört, dass Unternehmen agiler und resilienter werden. Sie müssen sich schneller weiterentwickeln, um flexibel auf neue Anforderungen reagieren zu können und damit den zunehmend verkürzten und verschlankten Innovations- und Produktzyklen gerecht zu werden. Und auch die Verantwortung verlagert sich – weg vom Management hin zu den Arbeitsteams. Dies führt zu neuen Kompetenzen, neuen Arbeitsweisen und zu einer neuen Denkart für Führungskräfte und Mitarbeiter. Werte wie Verbindlichkeit, Offenheit, Mut, Vertrauen und Respekt stehen im Vordergrund. Agilität braucht daher die passenden Rahmenbedingungen.

Um Unternehmen eine Orientierungshilfe zu geben, hat die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) den Industrie 4.0 Maturity Index entwickelt. Daran beteiligt waren auch deutsche Universitäten und Industriepartner wie TÜV SÜD. Der Index ist ein mehrdimensionales Reifegradmodell. Mit ihm lässt sich nicht nur der Status Quo der digitalen Transformation erfassen, sondern auch eine Roadmap erstellen, die Maßnahmen priorisiert. Er eignet sich vor allem für KMU, die sich schnell zukunftsfähig aufstellen möchten.

Digitale Transformation in allen Bereichen

Der Industrie 4.0 Maturity Index basiert auf einem erweiterten Verständnis von Industrie 4.0. Unternehmen müssen nicht nur ihre Produktionsabläufe digitalisieren, sondern auch ihre Organisationsstrukturen und ihre Kultur den Anforderungen anpassen. Das Ziel ist ein agiles Unternehmen, das durch schnelle und informationsbasierte Entscheidungen auf Veränderungen in seiner Umwelt reagieren kann. Dafür definiert der Index vier Gestaltungsfelder:

  1. Ressourcen: Mitarbeiter und ihre Kompetenzen, Maschinen und Anlagen, Werkzeuge, Produkte
  2. Informationssysteme: soziotechnische Systeme, in denen Menschen und Informations- und Kommunikationstechnologien Daten bereitstellen und verarbeiten
  3. Organisationsstruktur: Regeln und Strukturen, die die Beziehungen innerhalb des Unternehmens, aber auch des Unternehmens mit seinem Umfeld leiten
  4. Kultur: Wertesystem innerhalb des Unternehmens, etwa die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf Veränderungen einzulassen und ihr Verhalten kontinuierlich zu überprüfen.

Die Umsetzung des Maturity Index ist in drei Phasen gegliedert:

Phase 1: Bestandsanalyse. Mithilfe eines Fragebogens, einer Werksbegehung und Expertenworkshops wird ermittelt, welchen Reifegrad das Unternehmen in den fünf Funktionsbereichen Entwicklung, Produktion, Logistik, Service, Marketing und Vertrieb aktuell aufweist.

Phase 2: Zielbestimmung. Ausgehend von der Ist-Analyse werden die unternehmensspezifischen Entwicklungsziele festgelegt. Eine Gap-Analyse zeigt auf, wo Differenzen zwischen Soll- und Ist-Zustand bestehen und in welchen Bereichen das Unternehmen daher handeln muss, um diese Ziele zu erfüllen.

Phase 3: Roadmap. Anschließend werden daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet. Anhand eines Kennzahlensystems und einer Kosten-Nutzen-Matrix prüfen die Experten, welche dieser Maßnahmen besonders geeignet sind, um den Reifegrad des Unternehmens zu erhöhen. Diese halten sie abschließend in der Roadmap fest.

Ein Beispiel aus der Praxis

Seine Roadmap erfolgreich umgesetzt hat ein Zulieferer für Energie- und Signaltechnik. Das Unternehmen produziert an mehreren Standorten Steck-, Anschluss- und Netzwerksysteme, die zur Automatisierung verwendet werden. Zur Produktpalette gehören auch RFID-Lösungen. Die hohe Affinität des Zulieferers zu Informationstechnologien äußert sich etwa darin, dass bereits ein digitales und aktuell gehaltenes Abbild der Produktion existiert (ein sogenannter digitaler Schatten). Die hauseigene Industrie-4.0-Projektgruppe setzt auf dieser Basis bereits regelmäßig neue Use-Cases um. Diese Erfahrung bot eine gute Basis für die Umsetzung des Maturity Index: In nur vier Tagen konnte der Stand der Produktion evaluiert werden. Erwartungsgemäß konnte ein hoher Reifegrad festgestellt werden.

Ein Pilotprojekt des Zulieferers: An mehreren Produktionsstätten wurden Stanzschneiden mit Körperschall-Sensoren ausgestattet, um Vibrationen messen zu können. Damit lässt sich ihr Zustand exakt überwachen und die Anlagen bedarfsgerecht in Stand halten. Denn die ermittelten Messdaten geben in Echtzeit Aufschluss darüber, wann eine Schneide verschlissen ist und die Werkstücke außerhalb der Toleranz geschnitten werden. Bis zum Beginn des Pilotprojekts wurde dieser Prozess allerdings nur lokal überwacht. Die Analysen im Zuge des Maturity Index haben den Nutzen einer vernetzten Auswertung der Daten in Echtzeit deutlich gemacht: Optimierungsmaßnahmen werden nun über Produktionslinien hinweg verglichen, um besonders erfolgreiche Maßnahmen übergreifend zu implementieren.

Insgesamt umfasste die Roadmap über 30 Maßnahmen, mit denen sich die Effektivität der Anlagen deutlich steigern ließ. Auch Liefertreue und Flexibilität der Produktion wurden weiter verbessert. Durch den Maturity Index können zudem Einzelprojekte nun deutlich schneller ausgewählt und bewertet werden. Statt mehrerer Monate, dauert der Prozess nun wenige Wochen. Das spart Zeit und Kosten. Das Fallbeispiel zeigt, wie der Maturity Index Unternehmen hilft, maßgeschneiderte Entwicklungspfade in die Industrie 4.0 zu finden. Die schrittweise Umsetzung ermöglich schnelle Erfolge und erhöht damit die Erfolgschancen für eine langfristige Transformation.

Dr. Bertolt Gärtner, Präsident und CEO von TÜV SÜD ATISAE, Experte für Industrie 4.0-Umsetzung, Madrid

 

 

Bild 1: Für jedes der vier Gestaltungsfelder wird der jeweilige Reifegrad bestimmt.

Quelle: Industrie 4.0 Maturity Index (acatech STUDIE)

 

 


Bild 2: Beispielhafte Reifegrad-Bestimmung im Funktionsbereich Produktion

Quelle: Darstellung aus der beispielhaften Validierung des Projektes

 

 


Bild 3: Die sechs Reifegrade des Maturity Index

Quelle: FIR e.V. an der RWTH Aachen

 

 

TÜV SÜD übernimmt Anbieter für hochsichere Cloud-Lösungen

 Mit der Akquisition der Uniscon GmbH aus München entwickelt TÜV SÜD das Spektrum seiner digitalen Leistungen weiter. Mit der Sealed Cloud hat das Unternehmen eine patentierte Technologie entwickelt, die sichere Datenverarbeitung in der Cloud ermöglicht, wobei selbst der Plattformbetreiber keinen Zugriff auf unverschlüsselte Daten hat, die von den Anwendern auf seiner Plattform gespeichert und verarbeitet werden – ein absolutes Alleinstellungsmerkmal der Cloud-Lösungen von Uniscon. Nach der Eröffnung seines Center of Excellence (CoE) for Digital Services in München im April 2017 erreicht TÜV SÜD mit der Beteiligung an Uniscon einen weiteren Meilenstein seiner Digitalstrategie.

 

 


 

 

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