Industrie 4.0 und Internet der Dinge – Digitalisierte Realität

Industrie 4.0 und Internet der Dinge

Industrie 4.0 und das Internet of Things gehören zu den bestimmenden Themen der IT-Welt. Visionen dieser schönen neuen Welt präsentieren Viele. Wie jedoch der Weg dorthin und das Ziel aussehen sollen, wird selten konkretisiert oder definiert. Ein Unternehmen, dass diesen Weg im Fokus hat, ist die TEC EPM GmbH in Magdeburg, ein Unternehmen der Cosmo Consult Gruppe, dem größten Microsoft-ERP-Partner in Europa und größten Microsoft-Manufacturing-Partner. Geschäftsführer Udo Ramin erzählt seine Sicht der Dinge.

Herr Ramin, Industrie 4.0 und Internet of Things, was steckt dahinter?

Udo Ramin: Das Wichtige, worauf alles hinausläuft, ist die Verknüpfung von realer und virtueller Welt. Industrie 4.0 und das Internet of Things müssen eng zusammen betrachtet werden als allumfassende Digitalisierung der realen und somit auch der industriellen Welt. In der privaten Welt gibt es diese Digitalisierung bereits in hohem Maße: Ich suche mir mein Hotel mit Google Maps, kaufe bei Amazon ein und kommuniziere per Mail oder Skype. In der industriellen Welt gibt es dagegen noch viele weiße Flecken auf der Karte. In der Smart Factory sind die Prozessanlagen heute meist schon durchgängig vernetzt, die ERP-Systeme sind an die Unternehmensprozesse angepasst oder umgekehrt und der Schwerpunkt liegt auf der Prozessoptimierung. Industrie 4.0 beschränkt sich aber nicht nur auf die Smart Factory, sondern betrifft viele weitere industrielle Bereiche, in denen Echtzeitinformationen heute noch undenkbar oder zumindest äußerst schwer zu beschaffen sind. Das betrifft etwa Wartung, Service und intelligente Logistik, also eigentlich die ganze Durchgängigkeit von digital Engineering, digital Manufacturing, digital Constructions und digital Operations.

Was fehlt denn noch zum Glück 4.0?

Wir müssen folgendes überlegen: Was passiert, wenn wir es im Rahmen von Industrie 4.0 und Internet of Things mit kommunizierenden Ausrüstungen – Maschinen, Bauteilen, Werkzeugen, Ressourcen – zu tun bekommen? Wer ist dann führend? Das in real-time kommunizierende Objekt oder der im ERP-System definierte und verwaltete Prozess? Nehmen Sie an, in einem Bauprojekt soll eine Ausrüstung montiert werden. Die Bauteile und das zur Montage erforderliche Material sind registriert und im ERP-System eingetragen. Der Montageauftrag wird vom ERP-System ausgelöst, das nun darauf wartet, nach der Fertigstellung Folgeaufträge auslösen zu können. Auf der Baustelle ist aber ein für die Montage erforderliches kritisches Bauteil nicht vorhanden. Es kann nicht montiert werden. Was würde es jetzt bedeuten, wenn der – in meinen Augen veraltete – fest eingestellte Prozess im ERP-System abläuft oder aber das relevante Bauteil im Internet of Things in real-time mit dem ERP-System kommuniziert?

Welche Auswirkungen hätte das?

Heute müsste man sich in Krisenbewältigung üben. Die Auswirkungen auf die ERP-Systeme sollten also in einer Veränderung der heute weitestgehend geplanten und fest definierten Geschäftsprozesse hin zu Real-time-Prozessen und -Entscheidungen bestehen. Die großen Herausforderungen, aber auch die großen Chancen, bestehen für uns – gerade für ERP-Spezialisten wie Cosmo Consult – in der umfassenden Digitalisierung der realen Welt, in der Einbindung von in Echtzeit kommunizierenden Objekten wie Maschinen, Werkzeugen, Bauteilen und Ressourcen sowie den Menschen. Das erfordert erstens, dass diese Informationen in Echtzeit-Datenbanken erfasst werden. Dann müssen diese Daten analytisch für Entscheidungen aufbereitet und bewertet werden. Dafür bedarf es der Entwicklung entsprechender Modelle. Und schließlich müssen diese aufbereiteten und bewerteten Daten den heutigen klassischen Backend-Systemen wie dem ERP-System für autonome Entscheidungsprozesse zur Verfügung gestellt werden. Dazu müssen auch die ERP-Systeme entsprechend modifiziert werden, ebenso wie die Prozesse in den Unternehmen auf die Auswirkungen solcher Echtzeitdaten anzupassen sind. Schließlich sind ein schnelles Internet, schnelle IT-Systeme und mathematische Analyse- und Bewertungsmöglichkeiten erforderlich, und das alles bei einem sehr hohen Sicherheitsstandard, da es zum großen Teil ja um kritische Daten geht. Die Datenflut, die dann auf die Unternehmen zukommt, wird sich im Endeffekt nur in Cloud-basierten Systemen handeln lassen.

Udo Ramin Zitat

 

Die Cloud gewinnt also auch hier mehr an Bedeutung. Wieso?

Das ist relativ einfach. Wenn Sie sich heute die vernetzten Prozesse anschauen, dann haben Sie stets eine Vielzahl von Beteiligten. Denken Sie an ein Projekt, in dem nur zwei Gewerke tätig sind. Beide bringen ihre Werkzeuge mit. Beide verwalten ihre Werkzeuge im Asset Management ihres ERP-Systems. Beide Werkzeugtypen werden irgendwann kommunizieren. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass sich mit einem Mal der Mittelständler damit beschäftigen muss, wie er örtliche und Real-time-Informationen in seinem Backend-System handelt. Obendrein kommt noch hinzu: das Objekt, an dem er tätig ist, gehört gar nicht ihm. Damit gibt es im Grunde genommen schon drei Beteiligte. Das heißt, bei Real-time-Informationen aus solchen Baustellen haben wir eine Vielzahl von Beteiligten und eine Vielzahl von Eigentümern an den einzelnen Objekten. Da entsteht eine Unmenge von Informationen, die sich allein mit dem eigenen System gar nicht mehr handeln lässt. Also wird man – davon bin ich überzeugt – zu Echtzeitdatenbanken übergehen müssen, die man sich bei einem Provider anmietet. Die Herausforderung an den ERP-Anbieter besteht dann unter anderem darin, dass er das alles in seinem Backend-System verarbeiten muss.

Da werden sich dann aber auch die Abläufe in vielen klassischen Unternehmen verhältnismäßig einschneidend ändern müssen?

Natürlich. Die Verknüpfung von realer und virtueller Welt, die vernetzte Intelligenz stoppt nicht bei der Smart Factory, sondern führt zu völlig anderen Produktionsszenarien. Intelligente, kommunizierende Ausrüstungen – Maschinen, Werkzeuge, Ressourcen – was könnte das bedeuten? Was könnte das bedeuten, wenn man über einen Sensor an einer Standardpumpe mittels Smartphone-App eine Fehlerdiagnose durchführen und eine Online-Auswertung in der Hersteller-Cloud durchführen kann? Standardwerkzeuge signalisieren via Bluetooth-Tags und eingebauten Sensoren, ob das Drehmoment für eine Schraube richtig angezogen ist. Es entwickeln sich völlig neue mobile Assistenzsysteme für Standardberufe, die heute noch traditionell arbeiten – etwa im Industrial-Service, der Montage und im Fertigungsbereich.

Da verändern sich in der Folge aber ganze Geschäftsmodelle?

Und klassische Berufsbilder. Wir haben heute einen ganz klaren Bruch zwischen dem Digital Engineering und der eigentlichen Realisierung beispielsweise im Maschinen- und Anlagenbau. Es gibt Prozessbrüche, weil Informationen nicht digital übergeben werden. Informationen müssen aber neben dem Handwerker auf der Baustelle auch an kommunikationsfähige Objekte übergeben werden, die Informationen zurückliefern. Kurz gesagt: Wenn ich ein traditionelles Werkzeug wie einen Akkuschrauber mit solchen Applikationen versehe, wird sich auch der klassische Beruf des Handwerkers und Monteurs verändern.

Aber – zumindest in Fertigungsbetrieben – handelt es sich doch oft um unternehmenskritische Daten. Wie wird man damit umgehen?

Konzerne werden dafür die Cloud in einem eigenen Rechenzentrum oder bei einem Serviceprovider nutzen. Der Mittelständler ist da eher reserviert, obwohl die Sicherheitsstandards bei einer Cloud-Lösung sicher weitaus am höchsten liegen. Für ihn muss man Security-Konzepte entwickeln, bei denen im IT-Architekturkonzept berücksichtigt wird, wie die Echtzeitdaten gehandelt werden sollen. Man muss den Blick also nicht nur auf die Geschäftsprozesse richten, sondern mehr auf den Ort des Geschehens. Das Unternehmen sollte sich weniger mit Verschlüsselungstechniken beschäftigen, sondern mehr damit, welche kritischen und unkritischen Informationen die digitalisierte Welt liefert und wie es diese Daten verwalten und sichern will.

Es gibt also schon noch Hürden zu überwinden. Welche Chancen räumen Sie dem 4.0/IoT-Markt ein?

Große. Wir versprechen uns beispielsweise, durch die Digitalisierung fast die Hälfte der unproduktiven Zeiten etwa auf Baustellen abbauen zu können. Außerdem sehe ich das ganz pragmatisch – analog zur privaten Welt. Die Smartphones sind jetzt erst rund acht Jahre alt, aber selbst die älteren Generationen nutzen WhatsApp, um die Fotos ihrer Enkel auszutauschen. Sie machen es nicht freiwillig, sondern weil ihre Kinder und Enkel so kommunizieren und sie anders gesellschaftlich nicht relevant wären. Und genau so, wie wir im privaten Bereich durch die Digitalisierung eine komplette gesellschaftliche Veränderung erlebt haben, steht es uns auch im industriellen Bereich bevor. Und genau das ist – wie anfangs erwähnt – das eigentliche Thema: Die allumfassende Digitalisierung.

Herr Ramin, wir bedanken uns für das Gespräch.


 

Das Gespräch führte Volker Vorburg.
Illustration: © Rommel Canlas/shutterstock.com