Interview – Die Herausforderung: Den Absprung finden

Matthias Sartor, Senior Director Business Consulting DACH bei Infor

»manage it« im Gespräch mit Matthias Sartor, Senior Director Business Consulting DACH bei Infor, über ERP in der Cloud, Flexibilität der IT und eine Zeitenwende für Geschäftssoftware.

Cloud-Angebote verändern die ERP-Landschaft. Den ultramodernen Lösungen steht eine hemdsärmelige Realität gegenüber. Selbst heute soll es noch vorkommen, dass Unternehmen im ERP Excel einsetzen. Stimmt das mit Ihren Erfahrungen überein?

Ja. Provisorien wie Excel oder Access kommen dann zum Einsatz, wenn das Geschäft neue Anforderungen an Prozesse stellt, die die interne IT nicht mehr erfüllen kann und keine neue Software angeschafft wird.

In welchen Unternehmen sehen Sie diesen Wildwuchs? 

Die großen Konzerne sind anfälliger. Einzelne Abteilungen kommen mit internen IT-Standards schlecht zurecht und führen dann solche Schattenapplikationen ein. Mittelständler haben weniger Ressourcen und müssen stärker darauf achten, flexibel zu bleiben und die Prozesse in sich schlüssig zu halten. Das ist immer eine Frage der Handlungsfähigkeit und der Flexibilität der IT.

Und in solchen Situationen treten Sie auf den Plan, von der Bestandsaufnahme bis hin zur Umsetzung des Projekts?

Im Business-Consulting geben wir in der Vorentscheidungsphase Kunden ein Bild davon, wie die Lösung bei ihnen aussehen würde, etwa mit Workshops. Die Frage lautet immer: Welchen betriebswirtschaftlichen Nutzen kann eine Umstellung der Firma bringen? Denn der Kunde will seine Prozesse und seine Erträge verbessern und Materialmanagement und Logistik optimieren.

Was empfehlen Sie Kunden, die bereits eine ERP-Lösung einsetzen? 

Klassisches Beispiel ist ein Unternehmen, das ein anderes übernommen hat. Hier muss man mit Augenmaß an die Aufgabe herantreten, denn auch dort haben die Mitarbeiter ja Wertschöpfung betrieben. Wir suchen dann nicht nur Probleme, sondern auch gut ablaufende Prozesse. Letztlich darf man bei einem solchen Projekt nicht die Angestellten vergessen, die hinterher mit der Lösung arbeiten müssen. Deshalb versuchen wir bei jedem Projekt, funktionierende Abläufe gut in die »neue Welt« zu übernehmen.

Sind die Unternehmen in Sachen Cloud aufgeschlossener geworden?

Zahlreiche Großunternehmen sind in letzter Zeit mit Anfragen zu Cloud-Produkten an uns herangetreten. Sie wollen ihre riesigen Serverparks verkleinern, meist in Bereichen, die seit 15 bis 20 Jahren von der Corporate-Strategie vernachlässigt wurden. Mittelständlern geht es eher um Datensicherheit. Die Geschäftsführer wissen, dass sie ihre Daten niemals besser als ein Cloud-Provider absichern können. Sie fordern außerdem weniger IT-Komplexität und mehr Agilität.

Das Safe-Harbor-Urteil und auch die Tatsache, dass viele Rechenzentrumsanbieter Daten nun in Deutschland hosten, haben wohl ein Umdenken bewirkt. Bewegt das die Firmen dazu, schneller umzusteigen?

Teils, teils. Viele Kunden, mit denen ich spreche, haben natürlich über die Jahre gewachsene IT-Landschaften, in denen immer ein bestimmter Grad an Komplexität vorherrscht. Das ist der eigentliche Kostentreiber: Wenn Sie wissen, dass ein Softwareupdate Monate dauern kann, führen Sie es nicht durch. Und je länger Sie warten, desto teurer wird es, denn es kommen weitere Schnittstellen oder Modifikationen hinzu. Dann den Absprung zu finden, ist eine große Herausforderung, die sich aber lohnt.

Die Cloud kann dann ja doch teuer werden. Wie nehmen Sie Ihren Kunden die Bedenken?

Entscheidend ist, wie konsequent die Cloud-Strategie verfolgt werden soll. Je mehr Sie in die Cloud verlagern, desto mehr sinken die laufenden Kosten. Besonders interessant ist die Cloud für Firmen mit außergewöhnlichen Geschäftsmodellen. Einer unserer Kunden ist etwa das Unternehmen, das derzeit die havarierte Costa Concordia zerlegt. Der Organisationsaufwand ist enorm und die Anforderungen sind bei jedem Projekt anders. Hier ist die Agilität der Cloud perfekt. Oder Mittelständler: Da wird eine Firma übernommen, neue Geschäftsbereiche erschlossen, eine Niederlassung am anderen Ende der Welt eröffnet. Dann kommt es darauf an, schnellstens eine Integration aller Systeme zu schaffen.

Es geht ja nicht mehr nur um ERP, sondern auch andere Applikationen. Wächst das nicht alles langsam zusammen?

In unseren CloudSuiten finden sich zum Beispiel auch Lösungen unter anderem für CRM, PLM, Produktdatenmanagement, und Business Intelligence. Wir möchten dem Kunden ein möglichst umfassendes Paket anbieten, das so viel wie möglich vom Geschäft abdeckt – selbst wenn manche Elemente derzeit noch nicht nötig sind.

Könnte er auch ein bestehendes ERP-System bei sich im Haus in die Cloud-Suite integrieren? Auch von anderen Anbietern? 

In einer Infor CloudSuite wird immer nur Infor-Technologie enthalten sein. Für die Anbindung anderer ERP-Software geeignet ist aber unsere offene Middleware Infor ION. Das geht unter Umständen effektiver und preiswerter als ein Komplettumstieg.

Was können Sie zu Mobilität sagen, auch in Sachen »Bring your own device«?

Mittlerweile laufen fast alle Infor-Lösungen auch mobil und wir haben rund 25 Apps zum Download bereit. Den meisten Entscheidungsträgern kommt es darauf an, dass innerhalb der Firma alle Daten synchron sind und Aktivitäten zeitnah ablaufen können. Dafür nötig sind robuste, vernünftige Geräte und gute Prozesse. Im Außendienst ist BYOD durchaus gefragt, wobei aber Sicherheitsaspekte ins Spiel kommen.

Wie geht Infor mit dem Thema BI um, wie mit Big Data?

Beim Design von ION haben wir darauf geachtet, dass die Lösung BODs nicht einfach in einen Topf wirft, sondern kategorisiert und bestehende Informationen nutzt und systemneutral speichert. Bestehender Informationsgehalt muss erhalten bleiben, gleich ob die Daten in der AS/400 oder dem neuesten Infor-Release ihren Ursprung haben. Eine Einkaufsbestellung muss als Einkaufsbestellung erkennbar sein. Der Anwender kann hinterher übergreifend auswerten. Big Data kommt ins Spiel, wenn aus der Masse an entstandenen Daten Rückschlüsse gezogen werden. Generell ist auch hier Geschäftsrelevanz entscheidend.

Wo sehen Sie Infor in fünf Jahren? 

Zum einen werden wir zahlreiche jüngere Mitarbeiter haben, die anders an Aufgaben und Kommunikation herantreten. Darauf stellen wir uns schon jetzt ein. Zum zweiten werden wir uns sehr viel mehr darüber unterhalten, wie Firmen miteinander arbeiten und Informationen austauschen. Dann haben wir noch Unternehmen wie GT Nexus, das Infor kürzlich übernommen hat, die mit ihren Business-Applikationen den Markt aufmischen. Ich bin überzeugt, dass wir an einem historischen Wendepunkt stehen.