Live-Streaming-Dienste sind im Trend

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Im März 2015 sorgte auf der damaligen South by Southwest (SXSW) Digital-Konferenz eine App schnell für Aufmerksamkeit, die es ermöglichte, Live Streams via Smartphone zu übertragen: Meerkat. Der Dienst war eng an Twitter gekoppelt, so dass es nötig war, sich mit seinem Twitter-Account anzumelden, so dass Meerkat auf die Nutzerdaten (Follower-Liste) von Twitter zugreifen konnte und man automatisch allen seinen Twitter-Followern folgte und eine Push-Notification sendete beziehungsweise empfing, wenn man selbst oder diese live sendete.

Twitter sticht den Wettbewerb aus

Nur kurze Zeit später kündigte Twitter die Übernahme von Periscope (einem ähnlichen Dienst) an, kappte den Zugriff von Meerkat auf den Social Graph von Twitter, so dass Meerkat nicht mehr automatisch alle Follower übernehmen durfte und besiegelte damit das vorzeitige Ende von Meerkat. Nach anfänglichen Anstrengungen, ging der Anbieter dann auch im vergangenen Oktober vom Markt. Hierbei offenbart sich das Problem, welches entsteht, wenn Entwickler die vermeintlich offenen Plattform-APIs nutzen, um eigene Dienste zu etablieren. So lange dadurch der Nutzen des ursprünglichen Services gesteigert wird, dürfte dies kein Problem sein. Sobald allerdings Apps entwickelt werden, die grundsätzlich dazu fähig sind, die eigene Plattform zu bedrohen, ziehen Plattform-Betreiber oftmals die Notbremse, um die Konkurrenz schnell zu unterbinden – auch Facebook tat dies schon einige Male gegen Dienste, die den eigenen Messenger bedrohten. Ein entsprechender Absatz findet sich in Twitter’s Developer-Agreement: »Avoid Replicating the Core Twitter Experience«. Ärgerlich für Meerkat, die zum Zeitpunkt der Entwicklung nichts von den Plänen zum Live Streaming von Twitter wussten. Ohne die automatisch bezogenen Twitter-Follower-Listen, was die Voraussetzung für die schnelle Verbreitung von Übertragungen und Channels war, hätte man nun alle einzelnen Accounts in Meerkat hinzufügen müssen, doch zum Zeitpunkt der Nutzungssperre gab es nicht einmal eine Nutzersuchfunktion in der App. Das Ende war nahezu unvermeidlich und Persicope gewann an Bedeutung.

Dann also Persicope – und nun?

Wobei handelt es sich bei der Twitter-eigenen und mittlerweile populärsten Live Streaming App eigentlich? Periscope ermöglicht es, Live-Aufnahmen via Smartphone zu übertragen. Hierzu ist eine Anmeldung via Twitter-Account oder Telefonnummer notwendig. Die Nutzer können andere Streams in Echtzeit ansehen und kommentieren. Die Videos sind dann rund 24 Stunden verfügbar und lassen sich somit auch noch nachträglich ansehen – und der Dienst boomt. Knapp vier Monate nach dem Start erreichte man bereits die 10-Millionen-Nutzermarke. Im vergangenen März – zum einjährigen Geburtstag – meldete der Dienst rund 200 Millionen gesendete Übertragungen und gab an, dass täglich (kein Tippfehler) rund 110 Jahre an Live-Videomaterial angesehen würde. Das muss doch gigantisches Potenzial bieten? Nicht ganz, denn schnell offenbart sich ein typisches Problem neuer Technik: die Möglichkeiten überfordern viele Nutzer zunächst und klare Use Cases fehlen. Denn beim Blick in die App wird klar: den Nutzern ist noch nicht gänzlich bewusst, was man mit der App tun soll, und so finden sich unzählige Live-Übertragungen von Menschen bei der Autobahnfahrt oder von gelangweilten Teenagern in amerikanischen Schulklassen. Auch weitaus kritischere Videos von Straftaten oder aus Kriegsgebieten im Nahen Osten ließen sich bereits finden. Dennoch bietet die App durchaus große Potenziale: Einige Journalisten und Verlagsblätter haben diese Möglichkeiten bereits erkannt und übertragen in Echtzeit von Großereignissen oder ähnlichem. Es gibt mittlerweile angekündigte Führungen durch Museen oder Städte oder aber auch Live-Interviews mit bekannten Persönlichkeiten – alles mit der Möglichkeit der Echtzeit-Kommunikation über die eingebaute Chat-Funktion, obgleich diese natürlich bei hohen Nutzerzahlen nahezu unüberschaubar wird. Die Möglichkeit, dass jeder in Echtzeit zum Reporter werden könnte, birgt jedoch auch Risiken etwa in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Übertragungen. Unklar ist aktuell auch noch, was mit der App eigentlich alles übertragen werden darf. So gab es bereits erste Sport-Events, bei denen den Besuchern untersagt wurde, live zu senden. Ähnliches ist auf Konzerte, Musik generell (GEMA-Thematik), das Filmen von Dritten (Persönlichkeitsrechte) oder Filmvorführungen übertragbar. Es wird spannend, wie der Gesetzgeber künftig auf solche Entwicklungen reagieren wird.

Was macht die Konkurrenz?

Wie bereits erwähnt wurde der zunächst größte und erfolgreichste Rivale Meerkat mit der Sperrung der Twitter-Daten erfolgreich aus dem Markt gedrängt. Doch längst haben auch die etablierten Anbieter die Chancen erkannt und buhlen um die Linsen der Milliarden von Smartphone-Nutzern. Facebook etwa bietet seinen Mitgliedern ebenfalls seit Ende 2015 die Möglichkeit, Live-Inhalte direkt zu übertragen und auf der eigenen Pinnwand zu speichern. Auch Google bietet über Hangouts On Air / YouTube Live entsprechende Funktionen. Hinzu kommen zahlreiche Anbieter, die sich auf bestimmte Geschäftsbereiche konzentriert haben – so etwa Twitch (Amazon) im Gaming-Segment und UStream im Business-Umfeld. Das Marktsegment ist gegenwärtig noch sehr jung und spielt in Deutschland eine geringere Rolle als im US-Markt. Dennoch ist zu erwarten, dass auch dieser Trend allmählich in Deutschland ankommt und sich in neue Geschäftsmodelle überführen lässt.

Oliver Giering, Experton Group, www.experton-group.de

 

Bottom Line (ICT-Anwenderunternehmen):

Gegenwärtig fehlen konkrete Use Cases für Live-Streaming-Dienste, vor allem im Business-Umfeld, so dass sich die Nutzung noch vornehmlich auf das Privatleben oder spontane Ereignisse konzertiert. Unklare Rechtslagen auf Veranstaltungen sowie hinsichtlich Urheberrechten erschweren die Überführung in konkrete Einsatzszenarien. Journalisten sowie Verlagshäuser haben die Möglichkeiten jedoch bereits für sich entdeckt.

Bottom Line (ICT-Anbieterunternehmen):

Der Trend hin zu Live-Streaming-Videoübertragungen hält weiterhin an – vornehmlich jedoch noch beschränkt auf amerikanische und asiatische Märkte sowie auf die private Nutzung. Periscope ist nach erfolgreicher Marktverdrängung von Meerkat gegenwärtig Anbieter der Stunde, doch Google und Facebook ziehen mit eigenen Angeboten nach.


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