Logistik und Mobilität: Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik

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Das Jahr 2035 in Hessen: Die Digitalisierung hat nahezu alle Bereiche unseres Alltags und vor allem die Logistik- und Mobilitätswirtschaft erfasst und tiefgreifend verändert. Mobilität ist heute ein umfassendes Serviceangebot geworden. Die unterschiedlichsten Verkehrsmittel für die nahtlose, häufig emissionsfreie Reise zu nutzen, ohne Fahrpläne studieren oder Tickets persönlich kaufen zu müssen, ist selbstverständlich geworden. Die Warenströme im Land sind fast vollständig transparent. Kundinnen und Kunden können für jedes Endprodukt nicht nur erkennen, wo sich die Ware befindet und bestimmen, wohin die Ware wann geliefert werden soll. Ein modernes Informationsmanagement erlaubt es, Details über den »ökologischen Fußabdruck« der Ware zu erhalten (CO2-Ausstoß für Produktion und Transport).

Davon gehen die Expertinnen und Experten wie auch eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern aus, die an der Umfrage zur Zukunft von Logistik und Mobilität in Hessen teilgenommen haben. Entstanden ist das »Zukunftsbild Logistik und Mobilität in Hessen 2035«, das die House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH und das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in den vergangenen zwölf Monaten erarbeitet haben und das am 16. September von den Herausgebern Michael Kadow, Geschäftsführer der HOLM GmbH, und den Institutsleitern des Fraunhofer IML, Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen und Prof. Dr. Michael Henke, in Frankfurt vorgestellt worden ist [1].

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Herausgeber der Studie (v.l.): Prof. Dr. Michael Henke, Institutsleiter Fraunhofer IML, Michael Kadow, Geschäftsführer der HOLM GmbH, und Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen, Institutsleiter Fraunhofer IML.

Das Zukunftsbild skizziert eine Vielzahl von Themen in sieben Handlungsfeldern, leitet 67 Zukunftsthesen ab und gibt 102 Handlungsempfehlungen für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. An der Studie nahmen knapp 200 Experten und rund 300 hessische Bürgerinnen und Bürger per Onlinebefragung teil, deren Ergebnisse zusätzlich in Workshops und Interviews mit rund 70 führenden Logistik- und Mobilitätsexperten validiert wurden.

Das Bild enthält eine Analyse globaler Trends und dokumentiert weltweite Lösungsansätze im Bereich Logistik und Mobilität. Die Studie leistet einen Beitrag, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes Hessen als eine der wichtigen Drehscheiben für Personen-, Güter- und Informationsströme auch langfristig zu gewährleisten und weiter zu erhöhen.

Einige Ergebnisse der Umfrage unter Experten und Bürgern:

  • Hessen wird auch 2035 nicht staufrei sein, aber es wird weniger Stillstände auf Autobahnen geben, weil Verkehr zunehmend intelligent gesteuert werden kann. Gleichzeitig wird die Zahl der Verkehrsunfälle abnehmen.
  • Autonomes Fahren hat am Gesamtverkehr in Hessen einen Anteil bis zu 25 Prozent. Autonome Fahrzeuge sind in den ÖPNV integriert, der 24-Stunden-Betrieb von autonom fahrenden Bussen in ländlichen Regionen ist möglich.
  • Fast drei Viertel der Befragten möchten auf kreuzungsfreien Fahrradschnellwegen unterwegs sein.
  • Den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wollen die Bürger 2035 häufiger nutzen als heute.
  • In den Unternehmen sind Roboter und autonome Systeme 2035 keine Ausnahmen mehr.
  • Der Flughafen Frankfurt wird trotz Verlagerung von Hub-Verkehren seine Bedeutung behalten. Der Flughafen hat sich bis 2035 zur Airport City gewandelt, die eine wichtige Rolle für standortbezogenen Handel, für Konferenzen, Forschung und für Freizeit spielt.
  • Inlandsflüge werden nicht komplett auf die Schiene verlagert worden sein. Die Reisezeit für Wege etwa von München nach Hamburg ist mit dem Flugzeug immer noch kürzer als mit der Bahn.
  • Der schnelle Schienengütertransport in Europa wird nicht dazu führen, dass Luftfracht auf die Schiene verlagert wird. 80 Prozent halten das für unrealistisch.
  • 80 Prozent der Experten gehen davon aus, dass die Hälfte aller Transportfahrzeuge 2035 emissionsfreie Antriebe nutzt.
  • 75 Prozent der befragten Experten gehen davon aus, dass die Digitalisierung den Bedarf an Fachkräften mit hoher Qualifikation nicht senken wird. Bürgerinnen und Bürger erwarten sogar mit einer Mehrheit von 84 Prozent, dass ihr Arbeitsplatz durch Digitalisierung und Automatisierung nicht wegfällt.
  • Ein persönliches Emissionskontingent für CO2 wird es 2035 – trotz des Klimawandels – vermutlich nicht geben. Dennoch sind drei Viertel der Bürger bereit, im Falle der Einführung eines solchen Kontingentes höhere Abgaben zu zahlen, wenn ihr Kontingent erschöpft ist und zusätzlicher CO2-Ausstoß verursacht wird.
  • Bürger erwarten für 2035, dass sie über alle Großprojekte frühzeitig und umfassend informiert und an Entscheidungsprozessen beteiligt sind.

»Als internationales Logistikdrehkreuz lebt Hessen von der Mobilität, und die Landesregierung will, dass das so bleibt«, sagte Mathias Samson, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, bei der Vorstellung der Studienergebnisse. »Aber damit es so bleiben kann, muss Mobilität nachhaltig werden – ökologisch, ökonomisch und sozial. Darauf arbeitet die Landesregierung hin. Studien wie das Zukunftsbild Logistik und Mobilität sind dabei eine wertvolle Hilfe. Denn wie die Welt in 20 Jahren aussehen wird, hängt auch davon ab, wie wir sie uns heute ausmalen. Zu wissen, dass drei von vier Befragten im Jahr 2035 ohne Verbrennungsmotor unterwegs sein und gerne Radschnellwege benutzen möchten, nehme ich als Ermutigung für die hessische Verkehrspolitik«, so Samson.

Innovationen offen gegenüberstehen.

»Zukunftsfähig sind wir nur, wenn wir langfristig auch wettbewerbsfähig sind«, sagte Michael Kadow, Geschäftsführer der HOLM GmbH, bei der Präsentation. »Die Studie bietet Entscheidern in Wirtschaft und Politik, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern Informationen und Orientierung für die Entwicklung von Logistik und Mobilität. Das Bild, das wir zeichnen, gibt uns auch die Möglichkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um Arbeitsplätze sichern und neue schaffen zu können.« Eines der interessantesten unter vielen anderen Ergebnissen sei, dass die große Mehrheit der hessischen Bevölkerung Innovationen ausgesprochen offen gegenübersteht. »Das ist einer der vielleicht wichtigsten Standortvorteile in einer Zeit, in der wir zunehmend Skepsis und Ablehnung beobachten«, sagte Kadow, der die Studie initiiert hat.

Die hessischen Straßen werden 2035 ihre Kapazitätsgrenze überschritten haben.

65 Prozent der befragten Experten sind der Meinung, dass die zukünftig angestiegene Mobilitätsnachfrage weder vom Straßen- noch vom Bahnverkehr angemessen bedient werden kann. »Niemand steht gern im Stau, sucht Parkplätze oder wartet auf Anschlüsse im öffentlichen Verkehr. Steigendes Verkehrsaufkommen wird vor allem in unseren Metropolen die Straßen und Schienenwege weiter stark belasten. Aber eine Offenheit für andere Formen der Mobilität, neue Technologien, integrierte Planung und intelligente Lösungen in der Verkehrssteuerung bieten auch neue Chancen, um Staus, Emissionen und Verkehrsunfälle zu reduzieren. Dafür brauchen wir die enge Zusammenarbeit von Anbietern und Kommunen, Industrie und Nutzern, Gesetzgeber und Wissenschaft«, erklärt Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen, Institutsleiter am Fraunhofer IML.

Arbeitsplätze der Zukunft

Die Digitalisierung wird nicht dazu führen, dass die Arbeit enthumanisiert wird. Davon gehen 70 Prozent der Experten aus. »Die Digitalisierung wird die menschliche Arbeitskraft nicht ersetzen. Die Arbeitsplätze der Zukunft werden mit Sicherheit anders aussehen als heute, manche werden wegfallen, andere hinzukommen. Wichtig wird es sein, Prozesse und Qualifikationen entsprechend anzupassen«, so Prof. Dr. Michael Henke, Institutsleiter am Fraunhofer IML. Aufgrund komplexer und oft wechselnder Tätigkeiten werden Arbeitnehmer mit Mischqualifikationen besonders gefragt sein. Roboter und autonome Systeme gewinnen an Bedeutung, werden den Produktionsprozess aber nicht vollständig übernehmen. Die Bedeutung von Bildung wird zunehmen, Programmieren gehört zum standardmäßigen Lehrplan.

Die Studie »Zukunftsbild Logistik und Mobilität in Hessen 2035« kommt auch zum Ergebnis, dass die Logistik und Mobilität effizienter, kundenfreundlicher und weniger energieintensiv geworden sind. Dazu beigetragen hat die Offenheit nicht nur der Unternehmen, sondern auch der hessischen Gesellschaft, die sich in der Umfrage für diese Studie technologischen Innovationen und Neuerungen aufgeschlossen zeigt.

[1] Die Studie steht unter https://www.iml.fraunhofer.de/content/dam/iml/de/documents/OE%20983/Presse/Pressemitteilungen/Zukunftsstudie-ES_klein.pdf zum Download bereit.


Handlungsempfehlungen an Wirtschaft, Wissenschaft und Politik (Auszug)

Die Studie »Zukunftsbild Logistik und Mobilität in Hessen 2035«, die von der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH und dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML erarbeitet worden ist, enthält 102 Handlungsempfehlungen, die unter den Stichworten »Kooperation«, »Rechtliche Rahmenbedingungen«, »Neue Geschäftsmodelle«, »Rolle des Menschen« und »Infrastrukturentwicklung« zusammengefasst worden sind.

Im Einzelnen empfehlen HOLM GmbH und Fraunhofer IML (Auszug):

  • Der Forschungsstand zu künstlicher Intelligenz sollte in Kooperationen zwischen Forschungsinstituten und der Wirtschaft unter Berücksichtigung rechtlicher und ethischer Fragestellungen schnell in marktfähige Lösungen transferiert werden. Um dies zu ermöglichen und langfristig den Abstand zu den international führenden Institutionen zu verringern, ist es notwendig, gemeinsame Aus und Weiterbildungskonzepte aufzusetzen und industrielle Anwendungsfälle zu identifizieren.
  • Der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitswelt muss präziser erfasst und begleitende Qualifikationen für Beschäftigte in der Logistik- und Mobilitätsbranche in Kooperation mit Unternehmen, Hochschulen und Landesregierung entwickelt werden.
  • Die Landesregierung, die Industrie, darunter insbesondere die Energiewirtschaft und die Logistik- und Mobilitätsbranche, sollten gemeinsam ein integriertes Konzept für den nachhaltigen Verkehr und die Energiewende entwickeln.
  • Neue Belieferungskonzepte für eine optimierte Güterbündelung und -verteilung (zeitlich, organisatorisch, technisch) sollten entwickelt und umgesetzt werden, insbesondere im Austausch zwischen Wirtschaft und Kommunen.
  • Etablierte Projekte wie die Frankfurter Wirtschaftsverkehre sollten auf die Metropolregion FrankfurtRheinMain ausgedehnt und bundesweit beworben werben.
  • Kommunen sollten bei der Mitentwicklung und Umsetzung autonomer Verkehrsinfrastruktur auf ihrer Gemarkung über ausreichend Handlungsspielraum verfügen und Kooperationen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sollten gefördert werden.
  • Verbundprojekte wie E-Port An sollten mit Blick auf eine nachhaltige Mobilität erweitert und emissionsfreier Verkehr in der künftigen Airport City etabliert werden.
  • Um einen verbindlichen CO2-Fußabdruck für alle Produkte und Dienstleistungen ausweisen zu können, müssen standardisierte Messverfahren etabliert werden.
  • Es ist zu prüfen, ob Umweltkosten in Zukunft internalisiert werden sollten, zum Beispiel durch die Einführung einer CO2-Steuer. So werden umweltfreundliche Herstellungsverfahren und Transportkonzepte wirtschaftlich attraktiver.
  • Die Einbeziehung des motorisierten Individualverkehrs in das Emission Trading System der EU und die langfristige Einführung einer CO2-Steuer sollten von Hochschulen in Kooperation mit Unternehmen geprüft werden.
  • Die Einführung eines Nachhaltigkeitslabels (Sozial, Ökonomisch, Ökologisch) auf Produkten und für Dienstleistungen ist einem reinen CO2-Label vorzuziehen.
  • Hessens Innenstädte sollten als Testfeld für alternative Antriebe vorangetrieben werden.
  • Die Verkehrsplanung sollte in die Planung zur logistischen Erschließung von Großveranstaltungen und Baustellen integriert werden. In diesem Kontext sind neue Geschäftsmodelle zur Ver- und Entsorgung von innerstädtischen Parallelbaustellen zu entwickeln.
  • Bei der zukünftigen Infrastrukturentwicklung in und zwischen Städten ist der Radverkehr stärker zu berücksichtigen und die Anforderungen an die Infrastruktur im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsträgern und –mitteln zu definieren. Hessen sollte sich zu Prototypen und Pilotprojekten hinsichtlich Technologien und Infrastruktur mit anderen Ländern austauschen. Der umfassende Ausbau von Radschnellwegen sollte in Hessen höchste Priorität erhalten.
  • Eine abgestimmte Entwicklung von Siedlungsstrukturen und Infrastruktur muss sichergestellt werden, damit ein gleichmäßig verteiltes Verkehrsaufkommen erreicht wird und überlastete Ballungsräume vermieden werden.
  • Es sollte ein langfristig angelegtes Infrastrukturkonzept auf Grundlage aktueller demographischer Daten erstellt werden, um den Kapazitätsbedarf für den schienengebundenen Personenverkehr bis 2050 zu ermitteln. Im Zuge der Ausarbeitung des Konzeptes sollte geprüft werden, welche Ausbaumaßnahmen beziehungsweise Projekte vordringlich sind, wie beispielsweise ein zweiter S-Bahn-Tunnel in Frankfurt, ein S-Bahn-Ringverkehr FrankfurtRheinMain oder ein Expressbussystem.
  • Die Entwicklung und Einführung von Tür-zu-Tür-Transportkonzepten für Passagiere und Gepäck im Luftverkehr ist anzustreben.
  • Es ist zu prüfen, ob mit dem Einsatz von innovativen Lufttransportmitteln, wie beispielsweise Luftschiffen, bestehende Geschäftsmodelle und Prozesse erweitert werden können beziehungsweise ob dadurch neue Geschäftsmodelle entstehen.
  • Laufende Projekte zu digitalen Straßen, wie das Beispiel »Digitales Testfeld Autobahn auf der A9«, haben eine Vorbildfunktion für die Zukunft. Eine intelligente Vernetzung und Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur sollte neben dem Straßenverkehr auch andere Verkehrsträger wie die Schiene einbeziehen.
  • Im Zuge der digitalen Arbeitswelt müssen neue Aus- und Weiterbildungsprofile unter Berücksichtigung der persönlichen Möglichkeiten und Bereitschaft der Mitarbeiter entwickelt werden, um den Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern zu decken. Es bestehen Tendenzen zu Mischqualifikationen.
  • Die Mitarbeitermotivation sollte zu einem zentralen Element der Unternehmenskultur werden, um die Mitarbeiter langfristig zu binden. Wichtig dabei ist die weitere Entwicklung der Personalorganisation vom internen Dienstleister zum Talent- und Kompetenzmanager. Es sollten noch stärker konzeptionelle Branchenkompetenzen entwickelt und darauf basierend Kommunikationsmaßnahmen im HR-Marketing aufsetzt werden.

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