Solidarisches Grundeinkommen: alternatives Instrument für mehr Teilhabe

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich für die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens ausgesprochen. Ein solches, durch öffentliche Mittel finanziertes Grundeinkommen soll an die Aufnahme einer »gesellschaftlich relevanten« Erwerbstätigkeit geknüpft werden. Ziel der Initiative ist, künftig »Teilhabe« statt »Ausschluss« zu finanzieren, und den Zusammenhalt in Zeiten von Modernisierung und Digitalisierung zu stärken. Dieser Beitrag präsentiert die zentralen Elemente des Reformvorschlags und stellt eine Abschätzung der unmittelbaren Einkommenswirkungen und fiskalischen Kosten vor. Die Berechnungen zu den fiskalischen Wirkungen zeigen, dass bei Inanspruchnahme von bundesweit 100.000 bis 150.000 Fällen – dies erscheint angesichts der Modellausgestaltung und der aktuellen Arbeitsmarktlage realistisch – für die öffentlichen Haushalte mit jährlichen Kosten in Höhe von 500 bis 750 Millionen Euro gerechnet werden müsste. Monetär schwer quantifizierbar sind positive individuelle wie gesellschaftliche Effekte der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Menschen, die lange vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren.

 

Anlässlich der turnusmäßigen Übernahme der Bundesratspräsidentschaft Anfang November 2017 hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller angeregt, über einen grundlegenden Umbau von Teilen des derzeitigen Sozialsystems zu debattieren, und für die Einführung eines »solidarischen Grundeinkommens« (SGE) plädiert.[1]

Müllers Konzept des SGE fußt auf der Grundannahme, dass Arbeit der Schlüssel für soziale Teilhabe ist. Dem gegenwärtigen System um Hartz IV soll etwas Neues entgegengesetzt werden. Insbesondere soll das Sozialsystem, das die Langzeitarbeitslosigkeit oft nur verwaltet, eine Alternative bieten. Eine zentrale Herausforderung dabei besteht darin, Menschen, die schon länger arbeitslos sind, eine nicht-prekäre Beschäftigung anbieten zu können (im Gegensatz zu Leiharbeit, Zeitverträgen oder schlecht bezahlten Praktika). Die Idee des SGE basiert auf der Annahme, dass die öffentlichen Finanzmittel für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit zielführender verwendet werden können. »Warum setzen wir das Geld für die bürokratische Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe nicht besser für ein solidarisches Grundeinkommen ein, das fair bezahlte Arbeit für das Individuum und für die Gemeinschaft schafft?«, so Müller im Wortlaut.

 

Was ist das solidarische Grundeinkommen und wie funktioniert es?

Der Vorschlag eines solidarischen Grundeinkommens (SGE) basiert auf folgenden Grundsätzen:

  1. Das solidarische Grundeinkommen erhalten ausschließlich erwerbslose Arbeitslosengeld-II-BezieherInnen, die freiwillig ein entsprechend gefördertes Arbeitsverhältnis aufnehmen. Denjenigen, die das SGE nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, bleibt weiterhin die Alternative, ALG II oder Sozialhilfe zu beziehen oder sich auf einen alternativen Job zu bewerben.
  2. Nicht jeder Job, sondern nur »gesellschaftliche« Tätigkeiten werden mit einem Anspruch auf ein SGE öffentlich gefördert. Dabei handelt es sich um Tätigkeiten, die vorher überhaupt nicht oder nicht in dem benötigten Umfang finanziert wurden. Es soll keine Konkurrenz zu Tätigkeiten am sogenannten ersten Arbeitsmarkt entstehen und keine reguläre Arbeit verdrängt werden. So sollen beispielsweise Dienstleistungen erbracht werden, für die es gegenwärtig keinen Markt gibt, weil diejenigen, die sie benötigen, sie nicht bezahlen können.
  3. Das Beschäftigungsverhältnis wird regulär und sozialversicherungspflichtig geschlossen. Die Stellen werden ausschließlich durch kommunale oder landeseigene Unternehmen angeboten. Die Arbeitgeber zahlen Beiträge in die gesetzliche Sozialversicherung.
  4. Vorgesehen ist möglichst eine tarifvertraglich abgesicherte Entlohnung, aber auf jeden Fall eine Entlohnung mindestens in Höhe des Mindestlohns.
  5. Die Tätigkeit soll nicht befristet werden. Um gleichwohl Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern, werden auch Umschulungs- und Qualifizierungsangebote unterbreitet.
  6. Die Vermittlung der geförderten Tätigkeiten soll von den Arbeitsagenturen durchgeführt werden mit dem Ziel, kommunale Arbeitsangebote und Arbeitssuchende zusammen zu bringen.

Das SGE grenzt sich damit zunächst deutlich von Konzepten eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ab, das auch ohne die Aufnahme einer Beschäftigung gewährt würde.[2] Das SGE unterscheidet sich aber auch von derzeitigen Fördermöglichkeiten, wie die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Jobs), die gemäß § 16 SGB II von den Arbeitsagenturen angeboten werden.[3] Es unterscheidet sich auch von dem in Berlin kurzzeitig eingeführten Programm eines »öffentlich geförderten Beschäftigungssektors« und vom »Bürgergeld«, das im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP aus dem Jahr 2009[4] verabredet und vom BMAS als Modellprojekt umgesetzt wurde.[5] Auch das ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter nach dem SGB II ist nur bedingt vergleichbar[6], da dort vor allem eine Unterstützung bei der Jobsuche gewährt wird und Betriebe erhöhte Lohnkostenzuschüsse für die Einstellungen erhalten. Zudem übt die Mehrzahl der Geförderten eine befristete Beschäftigung aus.

Eine deutlich höhere Überschneidung mit den Grundsätzen des SGE gibt es bei den in einigen Kommunen oder Ländern erprobten »Passiv-Aktiv-Transfers« (PAT).[7]

Im Koalitionsvertrag für eine neue Bundesregierung vom 7. Februar 2018 wird die Schaffung eines unbürokratischen Regelinstruments im SGB II angekündigt: »Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle«. Zur Finanzierung von bis zu 150.000 Geförderten soll jährlich zwischen 2018 und 2021 eine Milliarde Euro zur Integration in sozialversicherungspflichtig bezuschusste Arbeitsverhältnisse bereitgestellt werden.[8] Zudem ist vorgesehen, den Ländern das oben erwähnte Instrument des Passiv-Aktiv-Transfers zu ermöglichen.

Die Einführung des SGE setzt voraus, dass »gesellschaftlich relevante Tätigkeiten« definiert werden. Gut vermittelte Grundkenntnisse sollen ausreichen, um diese Tätigkeiten auszuüben. Das SGE zielt auch auf künftige Arbeitslose, deren Jobs aufgrund von Digitalisierung und technologischer Veränderungen wegfallen. Die allgemeine Akzeptanz in der Bevölkerung zur Finanzierung eines SGE steigt, wenn die öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse Dienstleistungen im kommunalen Bereich abdecken, die derzeit als unzureichend empfunden werden. Deshalb wird im Folgenden auch unterstellt, dass einem eingeschränkten Kreis an Begünstigten die Dienste weitgehend kostenfrei bereitgestellt werden. Folgende Tätigkeiten kommen für ein SGE in Betracht:

  1. HausmeisterIn in kommunalen Einrichtungen
  2. Betreuung für Kleinkinder (Babysitting) in Privatwohnungen insb. von Alleinerziehenden
  3. Betreuung von Älteren, etwa für Besorgungen, Alltagsbegleitung
  4. Begleit- und Einkaufsdienste für erkrankte Menschen, Menschen mit Behinderung oder mit eingeschränkter Mobilität
  5. Tätigkeiten in der Flüchtlingshilfe, insbesondere Unterstützung bei der Integration
  6. Tätigkeiten in der Jugend- und Familienhilfe
  7. Beratung zu gesunder und ausgewogener Ernährung
  8. ÜbungsleiterIn-Tätigkeiten in Vereinen
  9. Tätigkeiten bei kommunalen Kulturangeboten sowie der kulturellen Bildung

Die Einführung eines SGE soll die Politik nicht von der Aufgabe entbinden, Arbeitslosen wie Beschäftigten ein umfassendes Angebot für Qualifizierung und Umschulungen anzubieten. Nur so wäre mittel- bis langfristig der Übergang von einer SGE-geförderten Stelle in eine reguläre Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor möglich. Dann kann das SGE eine Brücke in den ersten, regulären Arbeitsmarkt darstellen. Der Entwurf des Koalitionsvertrages der zukünftigen Bundesregierung sieht hierzu eine »Nationale Weiterbildungsstrategie für Arbeitnehmer und Arbeitssuchende« vor, bei der SGE-Geförderte ebenfalls einbezogen werden könnten. Ohne solche Begleitmaßnahmen würden sich geförderte Beschäftigungsverhältnisse voraussichtlich stetig ausweiten.

 

Einkommenseffekte und fiskalische Wirkungen: bei 100.000 EmpfängerInnen Kosten von 500 Millionen für den Staat

Die Vorstellung hinter dem SGE – dass die derzeitigen Aufwendungen für (Langzeit-)Arbeitslosigkeit und Grundsicherung bei einem SGE sinnvoller eingesetzt wären – wird hier mittels Modellrechnungen auf den Prüfstand gestellt. Wir quantifizieren den Förderaufwand beim Träger (Arbeitgeber) einer SGE-Stelle, die Einkommenseffekte bei den geförderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie die zusätzlichen Steuer- und Abgabeneinnahmen des gesamten Staatssektors und die Einsparungen bei den bisherigen Sozialleistungen.[9]

Wir ermitteln die Wirkungen für einen Alleinstehenden ohne Kinder (Tabelle 1) und eine Alleinerziehende mit zwei Kindern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren (Tabelle 2). Beide sind bisher nicht erwerbstätig und beziehen Arbeitslosengeld II. Sie nehmen eine SGE-Stelle auf, bei der sie 39 Stunden in der Woche arbeiten und einen Stundenlohn von 9,00 Euro verdienen. Daraus erzielen sie ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.521 Euro. Weitere Lohnbestandteile sind nicht vorgesehen, etwa Urlaubs- und Weihnachtsgeld, zusätzliche Monatsgehälter, betriebliche Altersvorsorge oder sonstige Sachleistungen.

Einschließlich Arbeitgeberbeiträge, Unfallversicherung und Umlagen ergibt sich ein Arbeitgeberbrutto von 1.847 Euro im Monat. Ferner berücksichtigen wir hier einen pauschalen Zuschlag von 40 Prozent auf das Arbeitgeberbrutto, der Sachkosten, sonstige Personalnebenkosten und Gemeinkosten der Träger für die SGE-Stelle abdecken soll. Höhere Sachkosten, etwa für Arbeitsmittel oder Fahrtkostenzuschüsse, werden hier nicht berücksichtigt. Insgesamt ergeben sich Gesamtkosten der SGE-Stelle in Höhe von 2.217 Euro im Monat oder 25.818 Euro im Jahr. Diese Kosten müssten von den Trägern aufgebracht beziehungsweise von staatlichen Förderprogrammen erstattet werden.

Die Einkommenswirkungen bei den Geförderten hängen vom Familienstand ab. Der Alleinstehende erzielt ein Nettoeinkommen von 1.154 Euro im Monat. Anspruch auf Wohngeld oder sonstige Sozialleistungen hat er bei diesem Einkommen nicht mehr. Die Alleinerziehende zahlt etwas weniger Lohnsteuer, bezieht Kindergeld sowie ergänzende Sozialleistungen (SGB II, Kinderzuschlag, Wohngeld), so dass sie insgesamt auf ein verfügbares Einkommen von 2.230 im Monat kommt. In beiden Fällen steigt das verfügbare Einkommen gegenüber dem Arbeitslosengeld II – im Fall des Alleinstehenden ohne Kinder um knapp 200 Euro im Monat, im Fall der Alleinerziehenden um knapp 400 Euro im Monat.

Der Staatssektor spart nicht nur die Leistungen für das Arbeitslosengeld II, sondern auch die Kosten für die Krankenversicherung sowie für die Eingliederung und Verwaltung der LeistungsempfängerInnen. Für die Krankenversicherung nehmen wir Kosten je versicherungspflichtiger Person in Höhe von 100 Euro je Monat an.[10] Die Kosten für Eingliederung und Verwaltung werden hier in Anlehnung an entsprechende durchschnittliche Kosten der Bundesagentur für Arbeit mit 122 Euro je Monat angesetzt. Allerdings könnten für die SGE-BezieherInnen noch zusätzliche Kosten für berufsbegleitende Qualifizierung und Umschulung entstehen, die hier nicht berücksichtigt werden. Ferner müssen für Eltern weiterhin Kindergeld sowie ergänzende Sozialleistungen gezahlt werden. Entlastet wird der Staatsektor durch zusätzliche Beitragseinnahmen für Sozialversicherung und Umlagefonds sowie das Zusatzaufkommen bei der Einkommensteuer. Allerdings kommt von diesen zusätzlichen Steuer- und Beitragseinnahmen nur ein kleiner Teil bei einem Bundesland wie Berlin an – nämlich nur gut die Hälfte der Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer, vorbehaltlich von Anpassungen durch den Bund-Länder-Finanzausgleich.

Insgesamt entstehen für den gesamten Staatssektor nach Abzug der zusätzlichen Steuer- und Beitragseinnahmen und unter Berücksichtigung der verbleibenden Sozialtransfers zusätzliche Kosten der SGE-Stelle von 346 Euro im Monat für den Alleinstehenden und 540 Euro im Monat für die Alleinerziehende. Im Jahr sind dies 3.364 Euro beziehungsweise 5.694 Euro.

Dem stehen die positiven Einkommenseffekte bei den Geförderten gegenüber. Der Saldo der Einkommenseffekte bei Geförderten und Staatssektor in Höhe von 148 Euro im Monat entspricht der Differenz aus gesparten Eingliederungs- und Verwaltungskosten sowie Krankenkassenbeiträgen beim ALG II einerseits und den zusätzlichen Gemeinkosten für die SGE-Stelle andererseits. Er repräsentiert den zusätzlichen Betreuungs- und Verwaltungsaufwand im Rahmen der SGE-Stelle sowie die gesparten Krankenkassenbeiträge, die die LeistungsempfängerInnen nun aus ihrem eigenen Einkommen finanzieren.

Tabelle 1: Einkommenseffekte und fiskalische Wirkung des SGE für einen Alleinstehenden ohne Kinder

 

Tabelle 2: Einkommenseffekte und fiskalische Wirkung des SGE für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern zwischen 14 und 17 Jahren

 

Die Geförderten müssen für ihren Einkommenszuwachs von rund 21 Prozent im Rahmen der SGE-Stelle nunmehr eine Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche leisten. Hier zeigen sich die hohen Grenzbelastungen beim Übergang vom Transferbezug in die Erwerbstätigkeit, die durch den schnellen Abbau der Sozialleistungen sowie die Steuer- und Beitragsbelastungen der Erwerbseinkommen entstehen.[11] Hinzu kommen für die Geförderten weiterer Zeitaufwand sowie Kosten für Arbeitswege oder für die Organisation von Kinderbetreuung. Gemessen an diesen Nachteilen mag der monetäre Zusatznutzen zunächst nur gering erscheinen, aber an dieser Stelle bleiben subjektive Wohlfahrtsgewinne beispielsweise durch höhere soziale Anerkennung und Wertschätzung ausgeblendet.[12] Denn die SGE-Stelle bietet für die Geförderten die Chance, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und einen sicheren Arbeitsplatz zu besetzen, der idealerweise auch Perspektiven für den ersten Arbeitsmarkt bietet. Ferner werden eigenständige Anwartschaften für die gesetzliche Rentenversicherung und das Arbeitslosengeld I erworben, die allerdings beim späteren Leistungsbezug häufig unter der Grundsicherung liegen dürften.

Insgesamt dürften Angebot und Nachfrage nach SGE-Stellen in den nächsten Jahren keine größeren Dimensionen erreichen. Vor dem Hintergrund eines vitalen Arbeitsmarkts ist in den letzten Jahren auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen zurückgegangen, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, auf zuletzt 870.000 Personen (Januar 2018) im Bundesgebiet, im Land Berlin sind es 46.000.[13] Davon sind im Bundesgebiet 492.000 länger als zwei Jahre arbeitslos, in Berlin 22.000. Auch in dieser Gruppe gibt es viele Zu- und Abgänge. GrundsicherungsempfängerInnen stoßen beim Versuch, in bedarfsdeckende Beschäftigung zu wechseln, trotz hoher Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft auf zahlreiche Hemmnisse. Hierzu zählen gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Ausbildungs- und Schulabschlüsse, ein höheres Lebensalter oder unzureichende Deutschkenntnisse.[14] Nur wenige dieser Personen dürften für eine SGE-Beschäftigung in Frage kommen.

Kommunale Unternehmen oder freie Träger werden SGE-Stellen darüber hinaus nur zurückhaltend anbieten, soweit sie für ihre Leistungen keine hohe Vergütung erwarten können. Zudem steigt die Gefahr, dass es bei einem forcierten Einsatz des Instruments leicht zu Konkurrenzen mit bestehenden oder potenziellen Geschäftsfeldern und Aktivitäten der Träger selbst oder kommerzieller Anbieter kommt.

Aus diesen Gründen dürfte das Potenzial von SGE-Stellen bundesweit in den nächsten Jahren bei 100.000 bis 150.000 Personen liegen. Längerfristig könnte das Instrument gleichwohl eine größere Rolle spielen, sofern im Zuge der zunehmenden Aufnahme von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt oder der Digitalisierung und Automatisierung vieler Produktionsprozesse die Langzeitarbeitslosigkeit wieder steigen sollte.

Nimmt man an, dass im Durchschnitt jährliche Nettokosten in Höhe von 5.000 Euro je SGE-Stelle für den Staat entstehen (nach Abzug zusätzlicher Steuer- und Beitragseinnahmen), wäre bei 100.000 Fällen mit fiskalischen Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro, bei 150.000 Geförderten in Höhe von 750 Millionen im Jahr zu rechnen. Einen solchen Betrag sieht der Koalitionsvertrag, wie ausgeführt, bereits durch eine jährliche Erhöhung von rund einer Milliarde vor. Bei dieser ausschließlich monetären Betrachtung bleiben mögliche subjektive Wohlfahrtseffekte ausgeblendet, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass Personen durch die Rückkehr ins Erwerbsleben über einen verbesserten sozialen Status verfügen, eine höhere Wertschätzung und Anerkennung erfahren und mehr am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben.

 

Fazit

Die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens (SGE) zielt darauf ab, Menschen, die schon länger arbeitslos sind, eine Beschäftigung anzubieten. Statt Sozialleistungen zu zahlen und die Arbeitslosigkeit zu verwalten, soll die Hilfebedürftigkeit nachhaltig beendet werden. Mit Hilfe des SGE soll fair bezahlte Arbeit für zusätzliche gesellschaftlich relevante Tätigkeiten im kommunalen Bereich gefördert werden. Zugleich soll das Modell den Beschäftigten Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung eröffnen.

Unsere Modellrechnungen zu den Einkommenseffekten und fiskalischen Wirkungen zeigen, dass ein solches Instrument mit moderaten fiskalischen Kosten umgesetzt werden kann, sofern sich die Bezahlung der Stellen auf Mindestlohnniveau bewegt und keine zu hohen Betreuungs- und Verwaltungskosten bei den Trägern entstehen. Bei einer Inanspruchnahme von 100.000 Fällen – eine Annahme, die in der kurzen Frist angesichts der Arbeitsmarktsituation und der Voraussetzungen für die Beziehung des SGE realistisch erscheint – wäre mit fiskalischen Kosten von 500 Millionen Euro im Jahr zu rechnen, bei 150.000 Geförderten von 750 Millionen Euro.

Eine wissenschaftlich begleitende Evaluierung des SGE würde die Chance eröffnen, Wirksamkeit wie Effizienz wie auch unbeabsichtigte Nebenfolgen zu untersuchen. Damit könnte über mögliche Ausweitungen des Modells auch für andere Gruppen am Arbeitsmarkt oder mit anderen Fördergrundsätzen (zum Beispiel hinsichtlich der Befristung der Fördermaßnahme) auf der Grundlage von evidenzbasiertem Wissen entschieden werden.

Sollten längerfristig die Digitalisierung vieler Produktionsprozesse und die zunehmende Aufnahme von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt auch die Langzeitarbeitslosigkeit wieder erhöhen, könnte das Instrument eine größere Rolle spielen. Wenn es gelingt, auf freiwilliger Basis Langzeitarbeitslose aus der Grundsicherung mit Hilfe des SGE wieder in ein geregeltes Beschäftigungsverhältnis zu überführen, insbesondere dank begleitender Weiterbildung, kann das SGE nicht nur eine wichtige Funktion als Instrument für mehr Teilhabe erfüllen, sondern auch eine wertvolle Brücke zu Stellen im ersten Arbeitsmarkt werden.

 

Fußnoten
[1] Michael Müller (2017): Wandel und Umbruch – in Sicherheit. Gastbeitrag im Tagesspiegel am Sonntag, 29. Oktober 2017 (online verfügbar).
[2] Siehe für einen Überblick zu den ökonomischen Perspektiven eines Bedingungslosen Grundeinkommens Luke Haywood (2014): Bedingungsloses Grundeinkommen: eine ökonomische Perspektive. DIW Roundup 33 (online verfügbar).
[3] Für einen Überblick zu den unterschiedlichen Strategien von Jobcentern, eine möglichst nachhaltige Integration von Langzeitarbeitslosen zu erreichen, vgl. Isabell Klingert und Julia Lehnart (2017): Jobcenter-Strategien zur Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen. IAB Forschungsbericht 3/2017 (online verfügbar) .
[4] »Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP« (2009) (online verfügbar).
[5] Das Modellprojekt wurde durch eine wissenschaftliche Begleitstudie evaluiert. Die erhofften Beschäftigungseffekte blieben unter den Erwartungen. Der Bericht weist auf positive Effekte der sozialen Integration und Teilhabe hin, aber auch auf eine nachlassende Intensität bei der Jobsuche seitens der Teilnehmenden. Da der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt, das eigentliche Förderziel, nur sehr eingeschränkt stattfand, wurde das Projekt nicht verlängert. Vgl. IAW Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. an der Universität Tübingen und ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (2015): Evaluation der Modellprojekte »Bürgerarbeit«. Endbericht. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Forschungsbericht 458 (online verfügbar).
[6] Für Zwischenergebnisse einer Evaluation dieses Programms vgl. IAW Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. an der Universität Tübingen und ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (2017): Evaluation des ESF-Bundesprogramms zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter nach dem SGB II auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zwischenbericht. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Forschungsbericht 485 (online verfügbar).
[7] Bei diesem derzeit in Baden-Württemberg gestarteten Modellprojekt für Langzeitarbeitslose sollen lediglich Mittel aktiviert werden, die sonst passiv ausgegeben würden und dabei kein zusätzlicher Kostenaufwand ausgelöst werden. Das Modell ist auf zwei Jahre begrenzt und ist eine Förderleistung, die an Arbeitgeber ausgezahlt werden. Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2012): Sozialer Arbeitsmarkt Passiv-Aktiv-Transfer. Chronik der Arbeitsmarktpolitik (online verfügbar).
[8] »Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land«. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2018), Z. 2247 ff. (online verfügbar).
[9] Bundesagentur für Arbeit (2018): Statistik nach Themen: Langzeitarbeitslosigkeit (online verfügbar).
[10] Jonas Beste und Mark Trappmann (2016): Der Abbau von Hemmnissen macht’s möglich. IAB-Kurzbericht Nr. 21/2016 (online verfügbar).
[11] Vgl. dazu Andreas Peichl, Florian Buhlmann und Max Löffler (2017): Grenzbelastungen im Steuer-, Abgaben- und Transfersystem. Fehlanreize, Reformoptionen und ihre Wirkungen auf inklusives Wachstum. Inklusives Wachstum für Deutschland 14. Bertelsmann Stiftung (online verfügbar).
[12] Dieser Mechanismus wurde anhand einer Reihe an Studien auf Basis der am DIW Berlin angesiedelten Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) belegt. Vgl. zB Liliana Winkelmann und Rainer Winkelmann (1998): Why Are the Unemployed So Unhappy? Evidence from Panel Data. Economica 65: 1-15 (online verfügbar).
[13] Wir beschränken uns hier auf ein statisches Modell, bei dem mögliche Reaktionen von Arbeitsangebot und -nachfrage ausgeblendet bleiben.
[14] IGES Institut (2017): GKV-Beiträge der Bezieher von ALG II. Forschungsgutachten zur Berechnung kostendeckender Beiträge für gesetzlich krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld im SGB II. Ergebnisbericht für das Bundesministerium für Gesundheit Berlin (online verfügbar).

 


 

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