Studie: Versicherer wollen digitalen »Herrn Kaiser« erschaffen

Illustration: Absmeier, Geralt

Versichern heißt weiterhin »erklären«. Für 79 Prozent der Entscheider der Versicherer in Deutschland ist die persönliche Beratung eine der Top-Erwartungen der Kunden an eine Versicherung der Zukunft. Mehr als jeder Zweite geht davon aus, dass automatisierte Onlineabschlüsse der vorherrschende Kundenwunsch sein werden. 70 Prozent der Unternehmen stellen sich auf weiter wachsende Serviceansprüche ein. Das ergibt die Studie »Branchenkompass Insurance 2017« von Sopra Steria Consulting und dem F.A.Z.-Institut [1].

Digitale oder persönliche Beratung

Die heterogenen Prognosen, welche Beratung sich Versicherungskunden künftig wünschen, spiegeln die Vielfalt des Marktes wider. Es wird einerseits Menschen mit großem Betreuungsbedarf geben, ebenso wie erklärungsbedürftige und risikobehaftete Produkte wie Policen für die Altersvorsorge und zur Absicherung gegen Berufsunfähigkeit. Andererseits spüren 70 Prozent der Versicherer die neuen Erwartungen und ein geändertes Verhalten in Richtung digitale Beratung – vor allem bei jungen Menschen. 54 Prozent der Befragten erwarten deshalb, dass Kunden Abschlüsse über das Internet künftig als Standard erwarten. »Für Versicherer wird es durch diese uneinheitlichen Erwartungen nicht einfacher. Sie müssen ihre Beratungsprozesse zweigleisig aufstellen und Vertriebs- und Beratungsangebote bieten, die alte und neue Welten verbinden«, sagt Petra Weber, Versicherungsexpertin von Sopra Steria Consulting.

Unterschiedliche strategische Ansätze und Maßnahmen

Die Branche reagiert auf diese Herausforderung mit unterschiedlichen strategischen Ansätzen und Maßnahmen. Jeder zweite befragte Entscheider erwartet im Vertrieb gravierende Veränderungen. Das gilt vor allem für das Privatkundengeschäft, das stärker von der Digitalisierung betroffen ist als die Versicherung von Unternehmen. Eine Strategie ist die Spezialisierung: 57 Prozent der Befragten äußern Pläne, sich auf bestimmte Kundensegmente zu fokussieren, zum Beispiel Kunden mit einem ähnlichen Beratungsbedarf. Fast ebenso viele Entscheider wollen sich auf bestimmte Produkte spezialisieren, die eine annähernd gleiche Beratung erfordern. 67 Prozent der Versicherer wollen darüber hinaus die unterschiedlichen Kommunikationskanäle stärker verzahnen. Persönliche Beratung soll damit auch über digitale Wege möglich sein. Jedes fünfte befragte Versicherungsunternehmen setzt beispielsweise bereits auf Videoberatung und Live-Chats, rund jedes Dritte (32 Prozent) plant, diesen Service einzuführen.

 

Zu den weiteren geplanten Maßnahmen zählen Schulungen der Vermittler. Sie sollen die Kunden mehr auf Augenhöhe beraten können, die sich bereits online ausführlich informiert haben. Vier von fünf Kunden besuchen vor dem Vertragsabschluss zwecks Informationsbeschaffung das Internet, zeigt eine Studie des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV) und der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). »Zwei zentrale Stellschrauben sind Digitalisierung und Automatisierung. Versicherer sollten den Zugang zu persönlicher Beratung durch die digitalen Möglichkeiten vereinfachen und durch Automatisierung ihren Beratern und Vertriebspartnern den Fokus auf das fachliche Kundengespräch ermöglichen«, sagt Petra Weber von Sopra Steria Consulting.

 

[1] Die Ergebnisse der Studie Branchenkompass Insurance 2017 wurden in zwei Schritten erhoben. Sopra Steria Consulting und das F.A.Z.-Institut haben Versicherungs-Führungskräfte in einem Think Tank zusammengebracht und mit ihnen über die Themen diskutiert, die die Branche bewegen. Digitalisierung, Schadenmanagement und Compliance standen im Fokus. Im Oktober 2017 wurden darüber hinaus 85 Führungskräfte aus Versicherungen zu den Branchentrends, Herausforderungen und Strategien befragt. Die Online-Befragung wurde mit Führungskräften von Versicherern unterschiedlicher Sparten und Größe durchgeführt.


 

Cyber-Versicherungen: digitale Sorglosigkeit führt zur Unterversicherung

Fast jeder zweite Versicherungsentscheider (46 Prozent) ist der Überzeugung, dass das Geschäft mit Cyber-Security-Policen massiv an Relevanz gewinnen wird. Der Vertrieb äußert sich dagegen zurückhaltender. Hier glauben nur 30 Prozent an den Aufschwung durch IT-Sicherheitsversicherungen. Der Grund: Die Produkte sind neu, komplex und erklärungsbedürftig, die Hürden bei der Bedarfsermittlung sind hoch.


Das Bewusstsein für Absicherung gegen Cyber-Security-Risiken ist in den vergangenen Jahren angewachsen. Die digitale Sorglosigkeit ist auf dem Rückzug. Sechs von zehn Firmen haben eine fundierte IT-Sicherheitsstrategie, bei Großunternehmen sind es acht von zehn, die übrigen arbeiten an der Umsetzung, ergibt die Studie »Potenzialanalyse Digital Security 2017« von Sopra Steria Consulting und dem F.A.Z.-Institut [1].

Trotz steigender Risiken, einer verstärkten Aufmerksamkeit in den Medien und einer sinkenden digitalen Sorglosigkeit in den Chefetagen, hält sich der Absatz von Cyber-Policen in Grenzen. Untersuchungen aus der Versicherungswirtschaft zeigen, dass deutsche Firmen im internationalen Vergleich eher unterversichert sind. Jedes dritte Unternehmen äußert kein Interesse an einem Cyber-Schutzbrief, ergibt eine Studie des Spezialversicherers Hiscox.

»Diese Versicherung ist hierzulande noch relativ neu«, sagt Marco Lange, Versicherungsexperte von Sopra Steria Consulting. »Versicherer und Makler stehen vielfach erst am Anfang, den Markt zu entwickeln. Jedes Unternehmen geht unterschiedlich bei Risikoprüfung vor. Zudem fehlen Erfahrungen bei der Festsetzung einer adäquaten Versicherungsprämie. Das führt teilweise zu horrenden Preisunterschieden«, so Lange. All das verunsichert den Vertrieb beim Erstellen von Angeboten und die Unternehmen, weil sie wenige Vergleichsmöglichkeiten haben.

In den USA dagegen entwickelt sich die Cyber-Versicherung bereits zu einer weit verbreiteten Versicherungsform. Um den Vertrieb besser zu unterstützen, kombinieren US-Versicherer ihr Cyber-Policen mit Serviceleistungen im IT-Sicherheitsmanagement. Sie kooperieren beispielsweise mit Whitehat-Hackern, die für Unternehmen Schwachstellen in IT-Systemen aufspüren. Andere Versicherer wie AON arbeiten mit Technologieunternehmen zusammen, um Cyber-Risikomanagement aus einem Guss anzubieten.

Wandel hin zu Bündelprodukten erkannt
Viele Versicherer in Deutschland haben inzwischen erkannt, dass sie mit einer Cyber-Versicherungspolice allein kein großes Neugeschäft erreichen werden. 47 Prozent der Entscheider sehen in Produktbündelungen und neuen Serviceleistungen den Schlüssel zu mehr Wachstum, so der Branchenkompass Insurance. »Die Versicherungswirtschaft hat hier eine enorme Chance, ihre klassische Aufgabe – Aufklärung und Absicherung – um technische und fachliche Präventionshilfe zu erweitern. Sobald sich diese Gesamtexpertise in den Produkten niederschlägt und es zudem mehr Standards bei den Angeboten und Preisen gibt, werden Vermittler und Makler Cyber-Versicherungen weniger skeptisch bewerten als derzeit«, sagt Marco Lange von Sopra Steria Consulting.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht ebenfalls davon aus, dass Cyber-Versicherungen zu einem wichtigen Wachstumssegment in Deutschland werden. Die Versicherungswirtschaft hat unverbindliche Musterbedingungen für eine Cyber-Versicherungspolice entwickelt, die sich speziell für kleine und mittelgroße Unternehmen eignet. Diese bündelt verschiedene Risiken und sieht nicht nur die Absicherung von Datenklau und Betriebsunterbrechungen vor, sondern übernimmt zugleich Kosten für IT-Forensiker und Krisenkommunikation.

 

[1] Über die Studie Branchenkompass Inusrance:
Die Ergebnisse der Studie Branchenkompass Insurance 2017 wurden in zwei Schritten erhoben. Sopra Steria Consulting und das F.A.Z.-Institut haben Versicherungs-Führungskräfte in einem Think Tank zusammengebracht und mit ihnen über die Themen diskutiert, die die Branche bewegen. Digitalisierung, Schadenmanagement und Compliance standen im Fokus. Im Oktober 2017 wurden darüber hinaus 85 Führungskräfte aus Versicherungen zu den Branchentrends, Herausforderungen und Strategien befragt. Die Online-Befragung wurde mit Führungskräften von Versicherern unterschiedlicher Sparten und Größe durchgeführt.

Über die Studie »Potenzialanalyse Digital Security«:
Für die »Potenzialanalyse Digital Security« wurden im Auftrag von Sopra Steria Consulting im April 2017 mehr als 200 (n=205) IT-Entscheider aus Unternehmen ab 500 Mitarbeitern aus den Branchen Banken, Versicherungen, sonstige Finanzdienstleister, Energieversorger, Automotive, sonstiges Verarbeitendes Gewerbe, Telekommunikation und Medien, Öffentliche Verwaltung befragt. Explizit ausgeschlossen wurden Beratungsunternehmen und Anbieter von IT-Lösungen.

Links:

Potenzialanalyse Digital Security nach Registrierung herunterladenhttps://www.soprasteria.de/newsroom/publikationen/studie/potenzialanalyse-cyber-security

 


 

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