Wahrnehmung der Deutschen negativer als die Realität

In 38 Ländern schätzte die Bevölkerung in einer Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos Zahlen zu gesundheits- und gesellschaftsrelevanten Themen in ihrem Land – und lag dabei teilweise ziemlich daneben [1]. In Deutschland wurde vor allem der Anteil der Teenagerschwangerschaften oder der Diabeteskranken überschätzt. Unterschätzt wurde dagegen die Religiosität der Bevölkerung: an Gott würden nach Meinung der Mitbürger weit weniger Deutsche glauben, als es der Fall ist.

 

 

Auch bei anderen Fragen liegen die Bundesbürger manchmal ganz schön daneben, manchmal aber treffen sie auf den Punkt:

  • Mordrate: ein Drittel (32 %) der Deutschen denkt, die Mordrate im Land sei im Vergleich zum Jahr 2000 gestiegen, 42 Prozent glauben, sie sei gleichgeblieben. Dass sie gesunken ist, schätzen dagegen nur 14 Prozent. Dabei entspricht letzteres der Wahrheit: Im Vergleich zum Jahr 2000 gibt es 33 Prozent weniger Morde.
  • Terrorismus: knapp die Hälfte (44 %) der Deutschen mutmaßt, dass es in den Jahren nach dem 11. September von 2002 bis 2016 mehr Todesopfer auf Grund von terroristischen Anschlägen in Deutschland gegeben habe als in der Zeit zwischen 1985 und 2000. In Wirklichkeit ist die Zahl von 51 auf 36 gesunken. Richtig lagen damit nur 8 Prozent der Befragten, die eine Abnahme prognostizierten. Ein Drittel (34 %) gab immerhin an, die Opferzahl wäre gleichgeblieben.
  • Ausländische Gefängnisinsassen: 45 Prozent der Häftlinge in deutschen Gefängnissen sind nach Meinung der Deutschen Immigranten. Tatsächlich sind es allerdings drei von zehn (31,3 %).
  • Allgemeiner Gesundheitszustand: von wegen Meister im Jammern! Die Deutschen schätzen den Gesundheitszustand ihrer Mitmenschen schlechter ein, als diese es selbst tun. Statt der von den Befragten geschätzten 56 Prozent gaben nämlich knapp zwei Drittel (65 %) der Deutschen an, bei guter oder sehr guter Gesundheit zu sein.
  • Diabetes: die Anzahl der Diabeteskranken im Alter von 20 bis 79 Jahren in Deutschland wird von den Bundesbürgern weit überschätzt. Lediglich 7 Prozent leiden an der Zuckerkrankheit, durchschnittlich vermutet werden jedoch ganze 31 Prozent.
  • Teenagerschwangerschaften: durchschnittlich bringen in Deutschland jährlich 0,6 Prozent der 15- bis 19-jährigen Mädchen und jungen Frauen ein Kind zur Welt. Bei dieser Frage lagen die Deutschen mit ihrer Schätzung ganz schön daneben – ihrer Meinung nach sind es nämlich 16 Prozent.
  • Alkohol: die Deutschen haben weltweit den Ruf, gerne einmal ins Glas zu schauen. Danach gefragt, wer weltweit am meisten Alkohol konsumiere, wurde Deutschland von allen Ländern am dritthäufigsten genannt (28 %). Damit haben die Befragten den Nagel auf den Kopf getroffen, denn tatsächlich liegen wir im weltweiten Vergleich mit 11,03 Litern pro Einwohner pro Jahr auf Platz 3 im weltweiten Ranking. Nur die Franzosen und die Belgier trinken mehr. Immerhin ein Drittel (36 %) der Deutschen schätzte den Durst der Landsleute richtig ein und votete das eigene Land als eines der drei Länder mit dem höchsten Alkoholkonsum.
  • Zucker: auch beim Zuckerkonsum kommen die Deutschen im weltweiten Ranking nicht besser weg: wiederum schätzten die Weltbürger, dass der Zuckerkonsum pro Kopf bei den Deutschen am dritthöchsten ist. In Wirklichkeit liegen wir mit einem Konsum von 103 Gramm pro Tag sogar auf Platz 2 im weltweiten Ranking. Immerhin 60 Prozent der Deutschen wissen um die Zuckervorliebe und schätzten das eigene Land ganz richtig in die Top 3.
  • Smartphone-Besitzer: der Trend zu »Mobile Only« scheint in den Köpfen der Deutschen angekommen zu sein. Sie überschätzen die Zahl der Deutschen, die ein Smartphone besitzen um einiges. Statt 86 Prozent nennen nur 69 Prozent der deutschen Bevölkerung ein Smartphone ihr Eigen.
  • Facebook-Mitglieder: Facebook ist überall – zumindest ist das der Eindruck der Deutschen. Ihrer Meinung nach müssten 72 Prozent ihrer Mitmenschen einen Account bei Facebook haben. Tatsächlich ist es nur ein Drittel (34 %) der Bevölkerung.
  • Glaube an Himmel, Hölle und Gott: mit ihrer Einschätzung, wer von ihren Mitbürgern an den Himmel glaubt, liegen die Deutschen fast richtig: statt der durchschnittlich angegebenen 31 Prozent sind es 28 Prozent. Der Glaube an die Hölle ist bei den Deutschen dagegen weniger verbreitet. 20 Prozent würden an das Fegefeuer glauben, gaben die Befragten an. Tatsächlich sind es 8 Prozent. Die Anzahl ihrer Mitbürger, die an Gott glauben, unterschätzen die Deutschen dagegen stark. Statt 23 Prozent sind es in Wirklichkeit 45 Prozent.

 

Aber die Deutschen sind nicht die Einzigen, die sich verschätzen. Auch die Befragten in den anderen 38 Ländern lagen teilweise ganz schön daneben:

  • Mordrate: nur 7 Prozent der Menschen weltweit denken, dass die Mordrate in ihrem Land seit dem Jahr 2000 gesunken sei. Die tatsächliche Rate sank allerdings in den meisten Ländern signifikant: im Schnitt aller befragten Länder sogar um 29 Prozent. In Südafrika vermuteten beispielsweise 85 Prozent der Befragten, dass die Mordrate gestiegen sei, obwohl diese tatsächlich um 29 Prozent gesunken war. In Italien gaben nur 8 Prozent an, dass die Rate niedriger sei, obwohl es hier ein sattes Minus von 39 Prozent zu verzeichnen gibt.
  • Terrorismus: lediglich 19 Prozent der Befragten in den teilnehmenden Ländern schätzten, dass die Anzahl von Todesopfern infolge von terroristischen Anschlägen in den letzten 15 Jahren zurückgegangen sei. In Wirklichkeit hat sich die Opferzahl in dieser Zeitspanne fast halbiert. Zum Beispiel gab es vor 15 Jahren noch 60 Prozent mehr Terrortodesopfer als heute. Einige Länder liegen hier dennoch richtig, wie Frankreich, wo 65 Prozent der Befragten annehmen, dass die Zahl der Terroropfer in ihrem Land in den letzten Jahren gestiegen sei.
  • Ausländische Gefängnisinsassen: die meisten Länder überschätzten den Anteil der im Ausland geborenen Gefängnisinsassen mit 28 Prozent stark. Denn die reale Quote beträgt im Schnitt der 38 Länder nur 15 Prozent. In den Niederlanden vermuteten die Befragten sogar, dass 51 Prozent der Gefängnisinsassen ausländischer Herkunft seien, in Wirklichkeit sind es nur rund 15 Prozent. Auch in Südafrika, den USA und Frankreich wird diese Zahl stark überschätzt. Nur in Saudi-Arabien wurde die Quote der Gefängnisinsassen mit ausländischen Wurzeln mit 29 Prozent stark unterschätzt. Die amtlichen Angaben liegen bei 72 Prozent.
  • Allgemeiner Gesundheitszustand: in nahezu allen Ländern glauben die Menschen von ihren Mitbürgern, sie seien in schlechterer gesundheitlicher Verfassung, als dies tatsächlich nach deren eigener Einschätzung der Fall ist. So vermutete in Südkorea der Durchschnitt der Befragten, dass es 39 Prozent ihrer Landsleute gut oder sehr gut ginge. Jedoch sind es 80 Prozent, die angeben, sich super zu fühlen. Ein ähnliches Muster ergibt sich auch in Neuseeland und Malaysia. Nur in Japan weicht dieser Wert ins entgegensetzte Spektrum ab. Dort glauben die Befragten, 47 Prozent der Japaner fühlten sich gesund, während nur 35 Prozent tatsächlich angeben, bei guter Gesundheit zu sein.
  • Diabetes: in jedem der befragten Länder wurde vermutet, dass die Diabetesrate bei Menschen zwischen 20 und 79 Jahren deutlich höher sei, als sie es in Wirklichkeit ist. In Brasilien und Indien schätzten die Befragten diese Rate sogar auf 47 Prozent, obwohl in der Realität lediglich 9 beziehungsweise 10 Prozent der Einwohner unter Diabetes leiden. Die durchschnittliche Schätzung des Diabetikeranteils über alle Länder liegt bei 34 Prozent, der tatsächliche Anteil an Diabetikern liegt bei nur 8 Prozent der Bevölkerung.
  • Alkohol: Russland wird als trinkfreudigste Nation mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf gesehen. Tatsächlich belegt Russland in dieser Hinsicht aber nur Platz 7 von allen 38 befragten Ländern. Nur eine Minderheit der Befragten tippte auf den wirklichen Spitzenreiter Belgien, einschließlich der Belgier selbst, von denen sich auch nur 5 Prozent auf diesem Spitzenplatz sehen. Auch die USA werden als trinkfreudiger eingeschätzt, als sie es tatsächlich sind. In der Schätzungstabelle belegten die Vereinigten Staaten sogar Platz 2 hinter Russland, in der tatsächlichen Tabelle nehmen sie nur Rang 13 ein.
  • Zucker: die USA werden hingegen zu Recht von den meisten Befragten (58 %) als das Land mit dem höchsten Zuckerkonsum eingeschätzt. Auch ihre Selbsteinschätzung stimmt in diesem Punkt mehrheitlich, 69 Prozent sehen sich als Zuckerkonsumenten Nr. 1. Anderseits wurden Nationen wie Frankreich und China fälschlicherweise als »Naschkatzen« tituliert. Diese Länder wurden auf die Plätze 3 beziehungsweise 5 gesetzt, in der realen Statistik belegen sie nur die Plätze 16 und 24.
  • Teenagerschwangerschaften: In allen befragten Ländern wird der Anteil an 15-19-Jährigen Schwangeren stark überschätzt. In Brasilien glauben die Befragten, das 48 Prozent aller Frauen im Teenageralter ein Baby gebären würden. In Wirklichkeit liegt dieser Wert nur bei 6,7 Prozent. Auch die anderen südamerikanischen Länder schätzten diese Zahl durchgehend zu hoch ein. Im Schnitt wurde in diesen Ländern angegeben, dass 44 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren ein Baby bekommen würden, obwohl es nach amtlichen Angaben lediglich 4,4 Prozent sind. Allerdings überschätzten auch die Menschen in Ländern mit den niedrigeren Werten, die Teenagerschwangerschaften in ihrer Heimat. So schätzten die Befragten in Dänemark und Norwegen diese Zahl auf 8 Prozent, obwohl es von amtlicher Seite nur rund 0,4 beziehungsweise 0,6 Prozent Schwangerschaften zu verzeichnen gibt.
  • Smartphone-Besitzer: der Besitz von Smartphones wurde weltweit fast überall überschätzt. In Indonesien gaben die Befragten an, dass 85 Prozent der Mitbürger ein Smartphone besitzen. In Wirklichkeit ist es einer von fünf (21 %). Auch in Ländern mit einer höheren Internetdichte wird die Anzahl der Smartphone-Besitzer falsch eingeschätzt. Die Spanier glauben, dass knapp neun von zehn Mitbürgern (88 %) das internetfähige Mobilgerät hätten. Dabei nennen nur etwa sieben von zehn Spaniern (67 %) ein Smartphone ihr Eigen.
  • Facebook-Mitglieder: die Anzahl der Mitmenschen, die einen Facebook-Account haben, wurde weltweit ebenfalls konsequent überschätzt. In Indien gaben die Befragten an, dass rund 64 Prozent der Inder über 13 Jahren Mitglied bei dem sozialen Netzwerk wären. In der Realität haben allerdings nur 8 Prozent einen Zugang. In Italien betrug der Unterschied zwischen Schätzung und Realität immerhin 33 Prozent (76 % vs. 43 %).
  • Der Glaube an Himmel, Hölle und Gott: im Schnitt lagen die Befragten weltweit gar nicht schlecht, bei der Einschätzung der Religiosität ihrer Mitmenschen. Dennoch gab es natürlich auch hier in einigen Ländern gravierende Fehleinschätzungen. Die Japaner überschätzten den Glauben ihrer Landsleute an den Himmel um satte 23 Prozent: statt 42 Prozent glauben nur 19 Prozent daran. In Südafrika wurde diese Frage dagegen unterschätzt: statt 67 Prozent gaben 84 Prozent der Bevölkerung an, an den Himmel zu glauben. Beim Thema Hölle sieht es ähnlich aus. In Spanien sind weniger Menschen von der Existenz des Fegefeuers überzeugt (19 %) als die spanischen Befragten dachten (43 %). Auch beim Glauben an Gott findet sich die Diskrepanz zwischen Schätzung und Tatsache. Die Schweden unterstellen weit mehr Mitbürgern an Gott zu glauben (37 %), als es tatsächlich tun (19 %).

Wenn man nun die Schlüsselfragen betrachtet, kann man feststellen, welche der befragten Länder eine treffende Einschätzung über sich selbst haben. Um dies zu verdeutlichen, berechneten wir den Ipsos »Misperception Index« (Verschätzungsindex) in folgender Tabelle: Südafrika wird die zweifelhafte Ehre zuteil, das Land mit der schlechtesten Selbsteinschätzung zu sein. Gefolgt von Brasilien und den Philippinen auf den Rängen 2 und 3. Schweden, Norwegen und Dänemark hingegen liegen mit ihren Einschätzungen am genauesten.

 

[1] Diese Ergebnisse stammen aus der Studie »Perils of Perception« (etwa: »Wahrnehmungsfallen«), die zwischen dem 28. September und 19. Oktober 2017 unter 29.133 Befragten in 38 Ländern durchgeführt wurde. Teilnehmende Länder waren Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Chile, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Hong Kong, Indien, Indonesien, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Malaysia, Mexiko, Montenegro, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Peru, Philippinen, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Serbien, Singapur, Südafrika, Südkorea, Spanien, Schweden, Türkei, Ungarn und die USA.
In Australien, Brasilien, Kanada, China, Frankreich, Hong Kong, Indonesien, Italien, Japan, Montenegro, Norwegen, Russland, Serbien, Spanien, Großbritannien und Großbritannien wurden ca. 1.000 Personen und in Deutschland ca. 2.000 Personen befragt. In den restlichen Ländern wurden jeweils rund 500 Personen befragt. Die Daten wurden mittels einer Kombination von Online-, Telefon- (CATI) oder Face-to-Face-Methoden erhoben.
Die Daten werden gewichtet, um dem Profil der Bevölkerung zu entsprechen. Der Index of Ignorance berechnet sich aus den durchschnittlichen Abweichungen zu den Vergleichsdaten.
Die »tatsächlichen« Daten für jede Frage werden aus einer Vielzahl von verifizierten Quellen für jede Frage und jedes Land entnommen.

 

Im ‚Perils of Perception‘ Quiz können Sie Ihre eigene Wahrnehmung testen.

 


 

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