Wie ticken Jugendliche 2016?

Analog-Romantik ist keine Option.

Bereits zum zweiten Mal ist die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) Mitauftraggeberin der Studie »Wie ticken Jugendliche 2016?« des SINUS-Instituts. In der aktuellen Untersuchung interessierte die DKJS besonders, welches Bild Jugendliche von der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf ihren Alltag und ihre Zukunft haben; wie bewusst und kompetent sie mit digitalen Medien umgehen; welche Unterschiede es je nach Lebenswelt gibt und was sie sich von den Erwachsenen, vor allem der Schule als Unterstützung wünschen.

 

Die heute 14- bis 17-Jährigen gehören zur ersten Generation, für die Onlinesein der Normalzustand ist. Sie sind, das zeigt die aktuelle SINUS-Jugendstudie, größtenteils kompetente und reflektierte Nutzer digitaler Dienste und Tools. Über alle Lebenswelten hinweg gehören Internet und Smartphone unverzichtbar zu ihrem Alltag. Das Verhältnis zu den Eltern in Sachen Mediennutzung hat sich inzwischen deutlich entspannt, auch weil diese ebenfalls aktivere Nutzer als noch vor einigen Jahren sind.

Digitale Teilhabe bestimmt soziale und gesellschaftliche Teilhabe

Zentrale Funktion digitaler Medien ist für Jugendliche die Pflege und Aufrechterhaltung von Bekanntschaften und Freundschaften. Wer nicht online dabei ist, ist »draußen«. Digitale Teilhabe wird zur sozialen Teilhabe – nicht nur in der Peergroup. Mit Ausnahme der Interviewten aus der prekären Lebenswelt sind alle überzeugt, dass der Umgang mit digitalen Medien auch im späteren Berufsleben eine wichtige Rolle spielen wird.

»Man kommt in Zukunft nicht mehr am Internet vorbei. Wenn man das nicht drauf hat, ist man unten durch, egal ob privat oder beruflich.« (weiblich, 16 Jahre, Experimentalistische Hedonisten)

»Internet und Smartphone sind nicht so wichtig in Zukunft. Also weil später werde ich mich mehr für den Job interessieren, Frau, Kinder und so.« (männlich, 14 Jahre, Prekäre)

  • Chancengerechtigkeit in der digitalen Welt misst sich nicht mehr an der technischen Ausstattung. Entscheidend wird für den Einzelnen wie auch für unsere Gesellschaft sein, ob junge Menschen digitale Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Potenziale nutzen können. Es ist Aufgabe für Bildungssystem wie Zivilgesellschaft, sie dabei zu unterstützen und keine Lebenswelt auszuschließen. Denn auch im Bereich der digitalen Kompetenz sind sozial- und bildungsbenachteiligte Jugendliche oft die, die weniger Wissen zum reflektierten Nutzen und zielgerichteten Einsatz digitaler Tools und Techniken haben.

Weniger Verbote, mehr Kompetenz – das wünschen sich Schüler In Bezug auf digitale Medien erleben Jugendliche in der Schule vor allem erhobene Zeigefinger, Verbote und Warnungen. Dabei formulieren sie großen Bedarf an Unterstützung und klaren Kriterien, wie sie sich sicher und trotzdem frei im Internet bewegen können. Sie wünschen sich von der Schule weniger gefahrenzentrierten Unterricht, sondern auch Möglichkeiten, die Chancen von digitalen Medien besser verstehen zu können und fordern Kompetenz in Sachen Datensouveränität von den Erwachsenen ein.

»Also, weil die erzählen einem immer, dass man aufpassen muss, aber letztendlich gezeigt wird es einem nicht, wie man es macht.« (weiblich, 17 Jahre, Adaptiv-Pragmatische)

Beim Computereinsatz im Unterricht geht es, so die Erfahrung der Jugendlichen, vor allem um korrektes Bedienen von Bürosoftware. Gestalterischer Umgang mit Medien und Technik, Bild- oder Videobearbeitung, Programmieren und Entwickeln kommt höchstens im Informatikunterricht vor und gilt als trocken und zu kompliziert. Wer von Haus aus digitale Medien hauptsächlich zu Entertainmentzwecken nutzt, auch weil die berufliche Sphäre der Eltern kaum digital geprägt ist, dem bietet der Unterricht jedoch nahezu die einzige Möglichkeit, sich weiterführende Möglichkeiten von Rechnern und Laptops zu erschließen.

  • Unser Bildungssystem steht vor der Herausforderung, den digitalen Wandel in der Gesellschaft nachzuvollziehen. Auch wenn in vielen Lehrplänen schon wichtige Bildungsziele dafür formuliert sind, wird im Bildungsalltag noch defensiv agiert. Es geht einerseits um den Einzug neuer Lehr- und Lernformen. Ebenso wichtig ist aber auch der reflektierte und kreative Umgang mit digitalen Medien über die bloße Nutzung hinaus. Das ist eine neue Kulturtechnik, die genau wie Lesen, Schreiben und Rechnen erlernt werden muss. Sie ist unerlässlich, wenn wir nicht nur kompetente Konsumenten, sondern auch kompetente und kreative Gestalter bilden wollen. Schulen haben darüber hinaus eine besondere Rolle. Nur sie erreichen Jugendliche aller Lebenswelten und haben den Auftrag, sozial geprägte Bildungsunterschiede auszugleichen. Aufgabe der Bildungspolitik und der Zivilgesellschaft ist es, Schulen und Lehrkräfte dabei zu unterstützen.

Analog-Nostalgie ist keine Option

Die Faszination der Technik hat im Vergleich zur Vorgängerstudie 2012 nachgelassen und erste Sättigungseffekte treten auf. Einige Jugendlichen empfinden bereits die Nachteile ständiger Verfügbarkeit und entwickeln z.T. mit ihren Eltern Regeln zur Selbstregulierung, insbesondere in den bildungsnahen Lebenswelten. Dort zeigt sich auch angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und Komplexität vereinzelt eine Sehnsucht nach »vergangenen analogen Zeiten«.

  • Junge Menschen entwickeln ihre eigenen Strategien, um die Digitalisierung ihres Alltags zu meistern. Als Erwachsene können wir ihnen dabei helfen, sich in der digitalen Welt zu orientieren und ihre Mechanismen zu verstehen. Und sie motivieren, vor Komplexität nicht zu kapitulieren. Besondere Aufmerksamkeit sollten wir denen schenken, die dabei nicht auf die Unterstützung ihres Elternhauses zurückgreifen können.

»Die Frage analog oder digital ist keine ODER-Frage, sondern eine UND-Frage. Kompetenzen wie Neugier, Entdeckerfreude und demokratisches Miteinander sind in beiden Welten gefragt. Für die Jugendlichen gibt es da schon keinen Unterschied mehr«, so Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

Die vollständige Studie ist als Open Access unter https://www.springer.com/de/book/9783658125325 kostenlos verfügbar.

 

grafik sinus lebenswelten jugendliche

 

Aktivitäten und Projektbeispiele der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

Die Förderung von Kompetenzen für den digitalen Wandel ist bei zahlreichen Programmen der Stiftung ein Querschnittsthema.

  • Die Stiftung ermöglicht Jugendlichen etwa in ihren Projektlerncamps sich nicht nur als Nutzer, sondern auch als Macher zu erleben, sich im Coden auszuprobieren oder hinter die Wirkungsweise von Facebook und Youtube zu blicken.
  • Sie qualifiziert erwachsenene Begleiter.
  • Think Big, das Jugendprogramm der Telefónica Stiftung und der DKJS gemeinsam mit o2, inspiriert und fördert Jugendliche bei eigenen Projekten und unterstützt sie dabei, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden und ihre technologischen Fähigkeiten auszubauen.
  • Mehr unter www.dkjs.de/digitale-bildung

o.camp – Projektlerncamps in den Osterferien für den Sprung in die nächste Klasse mit dem Hessischen Kultusministerium 

Im Projekt WORLD OF MATHCRAFT erstellten Schülerinnen und Schüler mit Hilfe der Lern- und Programmiersoftware Scratch ein eigenes Videospiel. Zusätzlich wurden mit Hilfe von MakeyMakey eigene Controller gebaut. Im Spiel geht es darum, Monstern geschickt auszuweichen und immer neue Matheaufgaben richtig zu lösen. www.ocamp.de/index.php?id=21

Think Big – das Jugendprogramm der Telefónica Stiftung und der DKJS gemeinsam mit o2

humblebees – ist ein Projekt von vier jungen Studenten in Hamburg. Um etwas gegen das Bienensterben zu tun, verteilen sie Bienenhotels und planen jetzt eine Online-Plattform, damit sich die »Bienenhoteliers«, also Kleingärtner und Balkonbesitzer vernetzen und ihr Wissen austauschen können. »Weil wir selbst auch nicht auf jede Frage eine Antwort haben«, sagt Projektmacherin Linah (21). www.think-big.org/projekt/lebeen-retten/

Eine Schule traut sich

Bring your own device – Die Freiherr-vom-Stein-Oberschule in Neumünster hat sich vor einiger Zeit entschieden, nicht mehr mit Verboten zu arbeiten, sondern stattdessen Smartphones und Tablets der Schülerinnen und Schüler produktiv in den Unterricht einzubinden und private Nutzung in den Pausen zuzulassen. Lehrer, Schüler und Eltern haben gemeinsam Regeln ausgehandelt, etwa medienfreie Räume definiert wie Mensa oder die Toiletten, in denen der Gebrauch tabu ist. 400 Schülergeräte wurden ans SchulWLAN angeschlossen und wer kein eigenes Gerät hat, kann in der Schule eines ausleihen. www.steinschule-nms.de

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) setzt sich für Bildungserfolg und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen ein. Für dieses Ziel bringt die DKJS Akteure aus Staat, Wirtschaft, Praxis und Zivilgesellschaft zusammen und entwickelt mit ihnen praktische Antworten auf aktuelle Herausforderungen im Bildungssystem. www.dkjs.de