Krankenpfleger in Deutschland müssen viel mehr Patienten betreuen als in anderen Ländern. Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind der Personalmangel und damit die hohe Arbeitsbelastung hierzulande besonders groß [1].
So müssten Krankenpfleger in Deutschland im Schnitt 13 Patienten betreuen. In der Schweiz kommen dagegen nur rund acht Patienten auf eine Pflegekraft, in den Niederlanden 6,9 und in den USA sogar nur 5,3, wie die Grafik zeigt.
Je mehr Patienten gleichzeitig betreut werden müssen, desto größer ist die Arbeitsbelastung und desto schlechter fällt auch die Qualität der Pflege aus. Als Grund für den Personalmangel nennt die Hans-Böckler-Stiftung die langjährige Unterfinanzierung in den sozialen Dienstleistungsberufen. Frauke Suhr
[1] https://www.boeckler.de/114463_114470.htm#https://de.statista.com/infografik/16676/patientenzahl-pro-pflegekraft-im-internationalen-vergleich/
Personalmangel: Große Offenheit für digitale Helfer in der Pflege
■ 41 Prozent können sich vorstellen, von einem Roboter gepflegt zu werden.
■ Mehr als die Hälfte der Deutschen meint, dass Digitalisierung Pflegenotstand lindern kann.
■ Bitkom veröffentlicht Positionspapier zur Gleichstellung der Vor-Ort-Versorgung mit dem digitalen Arztbesuch.
Die Menschen in Deutschland stehen der Digitalisierung der Pflege aufgeschlossen gegenüber. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter mehr als 1.000 Befragten ab 18 Jahren. Vor dem Hintergrund des eklatanten Fachkräftemangels in der Pflege sehen sieben von zehn Deutschen (71 Prozent) die Digitalisierung der Pflege als große Chance. So sagen 23 Prozent, dass der Pflegekollaps nur vermieden werden kann, wenn die Pflege digitaler wird. 33 Prozent meinen, dass die Digitalisierung der Pflege zumindest dabei hilft, den Pflegenotstand in Deutschland zu lindern. 54 Prozent würden es begrüßen, wenn es zu einem verstärkten Einsatz von digitalen Anwendungen in der Pflege in Deutschland kommt.
»Die Digitalisierung kann in der ambulanten sowie stationären Pflege wertvolle Dienste leisten und in einer immer älter werdenden Gesellschaft zugleich auch der Schlüssel für ein langes Leben in den eigenen vier Wänden sein«, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. »Digitale Technologien können und sollen das Pflegepersonal nicht ersetzen, aber doch sinnvoll unterstützen, um die Qualität in der Pflege langfristig zu verbessern.
»Derzeit schneidet das Pflegesystem bei den Befragten lediglich ausreichend ab, im Durchschnitt geben sie der Pflege in Deutschland die Note 4. 94 Prozent meinen, dass es vor allem an Personal mangelt, 60 Prozent halten das Pflegepersonal für nicht ausreichend qualifiziert, 54 Prozent kritisieren die mangelhafte technische Ausstattung von Alten- und Pflegeheimen. Fast jeder – 92 Prozent – ist der Meinung, dass das Pflegepersonal hoch oder gar sehr hoch belastet ist. Die Digitalisierung bietet hier enorme Chancen, das sehen auch die Befragten.
Pflege 4.0
So sagen jeweils mehr als sieben von zehn Befragten, dass das Pflegepersonal dank digitaler Anwendungen körperlich entlastet werden könnte (71 Prozent) und mehr Zeit für die eigentliche Pflege bliebe (72 Prozent). Als größte Chance sehen 76 Prozent ein länger selbstbestimmtes Leben und Wohnen. 69 Prozent meinen, dass man dank Pflege 4.0 die Sicherheit im Alltag von Pflegebedürftigen erhöhen könnte. Als größte Probleme werden hingegen Datenschutz und Datensicherheit genannt (57 Prozent). Es folgt die Angst vor einer weniger am Menschen ausgerichteten Pflege (55 Prozent) und vor einer Isolation älterer Menschen (49 Prozent). Beinahe jeder Zweite (47 Prozent) meint außerdem, dass digitale Anwendungen für die Pflege noch nicht marktreif sind.
Optimismus
Mit Blick in die nahe Zukunft sind die Befragten aber äußerst optimistisch, was den Einsatz digitaler Anwendungen in der Pflege anbelangt. So meinen 85 Prozent, dass es in zehn Jahren verbreitet sein wird, dass Angehörige in Notfällen automatisch via Smartphone benachrichtigt werden. 82 Prozent glauben, dass die Ortung von Pflegebedürftigen via GPS, zum Beispiel bei Demenz, Standard sein wird. 78 Prozent sehen telemedizinische Angebote wie die Video-Sprechstunde im flächendeckenden Einsatz. Auch Sensoren zur Überwachung am Körper (74 Prozent) und der elektronischen Pflegeakte (73 Prozent) sagen die Befragten eine große Zukunft voraus.
Pflege in den eigenen vier Wänden
Viele Menschen stehen digitalen Helfern in der Pflege, auch was einen persönlichen Pflegebedarf angeht, offen gegenüber. So können sich 41 Prozent vorstellen, sich von einem Roboter zumindest zeitweise pflegen zu lassen. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 51 Prozent, bei der Generation 65 Plus sind es 37 Prozent. Hätten die Befragten im Falle einer Pflegebedürftigkeit die Wahl zwischen der Überwachung dank digitaler Technologien zu Hause oder dem Gang ins Pflegeheim, würden sich knapp zwei Drittel (62 Prozent) für die digitalen Anwendungen in den eigenen vier Wänden entscheiden. Mehr als ein Drittel (35 Prozent) würden dies sogar auf jeden Fall vorziehen. Rohleder: »Die Menschen in Deutschland wollen digitale Anwendungen in der Pflege. Bei der Pflege 4.0 geht es nicht darum, Pflegekräfte einzusparen, sondern um ein Miteinander von digitalen Helfern und menschlicher Zuwendung. Um die Qualität der Pflege in Deutschland langfristig zu sichern und zu verbessern, brauchen wir digitale Helfer.«
Videosprechstunde der Versorgung vor Ort gleichstellen
Dazu müsse der politische Ordnungsrahmen angepasst werden: »Bislang fehlt es noch an einer gesetzlichen Grundlage dafür, dass Kranken- und Pflegekassen die Kosten für digitale Hilfsmittel übernehmen«, sagt Rohleder. Bei der Digitalisierung der Pflege spiele Deutschland daher im besten Fall im Mittelfeld. Andere Länder, darunter auch viele europäische Nachbarländer, demonstrierten bereits, wie digitale Angebote die Pflege sinnvoll ergänzen oder sogar erweitern können. »Um Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarländern einen großen Schritt nach vorne zu bringen, schlagen wir unter anderem vor, digitale Angebote wie die Videosprechstunde der Versorgung vor Ort gleichzustellen«, so Rohleder. Die Vergütung erfolge dann unabhängig davon, ob die Versorgung vor Ort oder digital erbracht wird nach den gleichen Maßstäben. Hier habe jüngst Frankreich einen mutigen Schritt nach vorne gemacht. »Als Voraussetzung für die digitale Pflege braucht es außerdem durchgängig digitale Prozesse. Dazu gehören das elektronische Rezept, die elektronische Überweisung sowie die Möglichkeit, die Pflegeakte aus der Ferne beziehungsweise digital auszulesen«, so Rohleder.
Die ausführlichen Forderungen des Bitkom zur Gleichstellung der Versorgung vor Ort mit dem digitalen Arztbesuch finden Sie in dem heute veröffentlichten Positionspapier unter folgendem Link: https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Gleichstellung-des-digitalen-Arztbesuchs-mit-der-Versorgung-vor-Ort.html
[1] Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine repräsentative Befragung, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 1.004 Personen ab 18 Jahren in Deutschland telefonisch befragt.
Künstliche Intelligenz als Mitbewohner? Häusliche Pflege digitalisieren
Mit intelligenten Systemen halten die Vorzüge der Digitalisierung in private Bereiche bereits Einzug. Immer häufiger kommen beispielsweise Sprachassistenten globaler Player und ausländischer Clouddienste in Haushalten zum Einsatz. Doch die intelligenten Systeme können nicht nur bei alltäglichen Dingen unterstützen, sie bieten vor allem innerhalb der häuslichen Pflege einen immensen Mehrwert in der Versorgung.
»Ältere Menschen erhalten so die Möglichkeit, im Alltag länger selbstständig zu bleiben«, so Karsten Glied, Geschäftsführer der Techniklotsen GmbH. Doch vom Einsatz der Sprachassistenten in der ambulanten Pflege fehlt bisher noch jede Spur. Derzeit befinden sich vielerorts digitale Strukturen auf dem Vormarsch und sogenannte alltagsunterstützende Assistenzsysteme bereichern das selbstständige Leben von Senioren schon heute. Jedoch gilt es weiterhin mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Dazu gehört es auch, etablierte Systeme wie etwa Sprachassistenten in die häusliche Pflege zu integrieren und komplexe Schutzkonzepte für die sensiblen Gesundheitsdaten zu schaffen.
Künstliche Intelligenz für Senioren
Ständig voranschreitende medizinische Versorgung sowie der demografische Wandel führen dazu, dass immer mehr Menschen in hohem Alter auf pflegerische Versorgung angewiesen sind. Das Problem: Einerseits steigt dank der Möglichkeiten moderner Humanmedizin die Lebensdauer und viele möchten im Alter so lange wie möglich selbstständig bleiben, andererseits sinkt die Anzahl an Pflegekräften, die dem steigenden Bedarf gerecht werden und die ambulante Versorgung sicherstellen könnte. Um die Selbstständigkeit im Alter zu ermöglichen, halten immer mehr Systeme und Technologien in private Wohnräume Einzug. In Form von Sensoren, Bewegungsmeldern oder Notrufsystemen erfahren Senioren bereits Unterstützung und Sicherheit im selbstbestimmten Alltag. Im nächsten Schritt sollten jedoch Anwendungen mit künstlicher Intelligenz hinzugezogen werden, um die smarte Unterstützung weiter voranzutreiben.
»Mithilfe von künstlicher Intelligenz lernen die Systeme, Senioren effektiv zu unterstützen, und erinnern diese beispielsweise selbstständig an die Medikamenteneinnahme. Hinzu kommen wichtige Dokumentationen wie zum Beispiel die Bewegungsmuster, sodass Pflegekräfte informiert werden, sollte ein Bewohner innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht nach Hause kommen«, so Glied. Wichtig ist es, das Potenzial bestehender Technologien zu erkennen und diese in alltägliche Abläufe der Pflege miteinzubeziehen. Systeme müssen hierbei offene Schnittstellen und somit Interoperabilität aufweisen, sodass Fachkräfte oder Ärzte bei Bedarf auf die Daten zugreifen können.
»Big Brother« zu Hause?
Damit die Systeme einen echten Mehrwert liefern können, müssen diese viele Informationen sammeln und gegebenenfalls Tagesabläufe der Pflegebedürftigen aufzeichnen. Vor allem mangelnde Auflagen zum Datenschutz der etablierten Systeme und die vermeintliche Angst vor der totalen Überwachung bewirken derzeit noch, dass Technologien wie Sprachassistenten nicht flächendeckend zum Einsatz kommen – hier hat die Branche Nachholbedarf. Mit klaren Regularien, dem fachlichen Know-how sowie der technischen Ausstattung, die Institutionen der Sozialbranche gewährleisten müssen, ließen sich die Daten schützen. Die Nutzung sollte somit nur erfolgen, wenn es dem Wohle des Patienten dient.
»Es bleibt zu hoffen, dass deutsche Start-ups sowie etablierte Anbieter die Chance nutzen, um auch in diesem Technologiesegment überzeugende und sichere Produkte auf den Markt zu bringen«, so Glied. Denn Deutschland hinkt hinterher: In anderen Ländern sind intelligente Sprachsysteme zur Unterstützung der Pflege bereits auf dem Vormarsch. Um den Fortschritt zuzulassen, bedarf es nicht nur vonseiten der Institutionen und Einrichtungen ein Umdenken, auch Pflegebedürftige und nahe Angehörige sollten sich dem Thema annehmen und sich auf den digitalen Wandel einlassen. »Hierbei müssen alle Akteure an einem Strang ziehen, nicht zuletzt um den Einzug von etwa Sprachassistenten und die damit einhergehende bessere Versorgung zu ermöglichen. Denn erst innerhalb der Anwendung erhalten die Systeme, die auf künstliche Intelligenz zurückgreifen, den letzten Feinschliff«, schlussfolgert der Experte der Techniklotsen GmbH.
Weitere Informationen unter: www.techniklotsen.de