Zukunftsmarkt E-Health?!

Die Technik der vernetzten Dinge im Internet, Internet of Things (IoT), bahnt sich in einem immer schnelleren Tempo den Weg durch die Branchen. Aber liegt dort auch wirtschaftliches Potenzial? Dieser Fragestellung hat der Branchenverband Bitkom in Verbindung mit Fraunhofer IAO für den Deutschen Industrie-4.0-Markt eine Studie »Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland« (2014) gewidmet.

Basierend auf den Zahlen dieser Studie hat Experton Group 2014 eine eigene Abschätzung erstellt.

grafik experton industrie 40 branchen

Abbildung: Branchenpotenziale für Industrie 4.0. Quelle: Experton Group AG, 2014.

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Aus dieser Einschätzung ist ablesbar, dass mit einer Brutto-Wertschöpfung in den primären Industrie-4.0-Branchen/-Segmenten Chemie/Pharma, Automotive, Fertigung/Maschinenbau, Elektro und Landwirtschaft in den Jahren 2013 bis 2020 von zusammen 77 Milliarden Euro, bei Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) in Höhe von 6,8 Milliarden Euro, gerechnet werden kann.

 

In den sekundären Industrie-4.0-Branchen/-Segmenten Transport/Logistik, Dienstleistungen, Public, Gesundheitswesen, Versorgung, Handel, Telekommunikation und sonstige Branchen, wird von einer Brutto-Wertschöpfung von 45,8 Milliarden Euro, bei ICT-Investitionen von 4,1 Milliarden Euro, ausgegangen.

Unter den sekundären I4.0-Branchen befindet sich auch das Gesundheitswesen, für das allein eine Brutto-Wertschöpfung von 6,3 Milliarden Euro prognostiziert wird. Es verwundert daher nicht, dass die Industrie das Thema Gesundheitswesen oder auch E-Health für sich entdeckt.

Fitnessarmbänder und digitales Fitnesszubehör sind ein gut gehendes Geschäft. Zumindest war das bislang so. Denn auch hier hält neue Technik Einzug, in Form digitaler Uhren, die mal autark mit SIM-Karte (einige Samsung-Modelle), aber auch mit Kopplung über das Smartphone (einige Samsung-Modelle und Apple Watch) Daten erheben. Durch die in die Uhren integrierten Sensoren werden viele Fitness- und Gesundheitsdaten erfasst, die über Apps aufbereitet werden können. Apple macht aus diesen Kundendaten kein Geschäft. Das heißt die Daten werden zu weiterer Ableitung von Analysen mittels Big Data nicht an andere Unternehmen »verkauft«. Noch nicht?

Die aktuell angebotenen Apple Watches messen u.a. den Puls des Nutzers und bedienen damit Fitnessanwendungen. Während der Entwicklung der Apple Watch wurde spekuliert, ob die digitale Uhr auch weitergehende Gesundheitsdaten, wie beispielsweise den Blutdruck, erfassen könne. Es war dann zu erfahren, dass Apple auf solche Sensoren letztlich verzichtet habe, weil die Messwerte nicht präzise genug gewesen seien. Ein anderer Grund gegen dieses Vorhaben liegt in der erforderlichen Prüfung durch die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA. Dies hätte die zeitkritische Produktentwicklung zu sehr in die Länge gezogen. Apple war auch so schon unter erheblichem Markteinführungsdruck für Apple Watch. Inzwischen ist zu lesen, dass Apple nun doch andenkt, ein Produkt in das FDA-Zulassungsverfahren zu schicken. Ein zusätzliches Feature der Next Generation Apple Watch – oder eine App? Sobald Apple von seinem aktuellen Ansatz der Datenhoheit abweicht, ergibt sich in Kooperation mit dem Global Business Partner IBM ein gewaltiger Fundus neuer Geschäftsmodelle – und dies nicht nur auf dem E-Health-Gebiet. Man denke allein an die Interferenz zwischen der IBM-Analytics-Lösung »Watson« und den Apple verfügbaren Daten.

Neue Geschäftsmodelle

In den USA gibt es gerade rund um das Thema E-Health eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle. Ein namhafter Suchmaschinenanbieter offeriert zum Beispiel die Vermittlung von medizinischen Spezialisten für den Fall, dass Anwender auf seiner Webseite nach Informationen zu Krankheiten suchen. Vorstellbar ganz im Stil von Amazon schon heute praktizierter Herangehensweise: »Kunden die diesen Artikel kaufen, haben sich auch für XY interessiert«, nur in der Variante »Sie suchen nach »Arm-Prellung«? Wir vermitteln Ihnen den Facharzt …«

Mehrere amerikanische Start-ups haben sich auf die Vermittlung medizinischer Online-Beratung bestimmter Krankheits-/Körperschadensfälle spezialisiert und dafür hohe finanzielle Investments erhalten. Da in den USA beim erstmaligen Aufsuchen eines Arztes zunächst 40 Dollar fällig sind, bieten die Unternehmen diese Beratung durch zertifizierte, niedergelassene Ärzte für denselben Betrag als Online-Version an. Nachfolgende Konsultationen fallen in dieser Variante finanziell deutlich günstiger als in der traditionellen Form aus. Der Kunde erspart sich Fahrzeiten, Wartezeiten und zusätzliche Infektionsgefahren in überfüllten Wartezimmern. Er erhält auf diesem Weg Rezepte für Medikamente und Krankschreibungen. Dieses Modell findet sehr viele Freunde, sowohl auf Patienten- als auch auf Ärzteseite. Die Ärzte sind je Einzelberatung finanziell beteiligt. In bestimmten Gesundheitssituationen eine Win-Win-Situation, sowohl für die Patienten, als auch für die Ärzte und den Service-Provider.

In Deutschland sind derartige Ansätze aktuell nicht zu finden. Das liegt sicherlich auch am deutschen Modell der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn überhaupt zieht so ein Modell in Deutschland nur für die privaten Krankenversicherer, denn bislang dürfen Ärzte für die Behandlung von Privatpatienten anders abrechnen. Nach der aktuellen Gebührenordnung können die persönlichen Behandlungen »in der Regel« höchstens mit dem 2,3-fachen und medizinisch-technische Leistungen mit dem 1,8-fachen des jeweils vorgesehenen Gebührensatzes abgerechnet werden. Ein interessantes Modell also für die privaten Krankenversicherer? Stellt sich nur die Frage, worin das Anreizsystem der Privatpatienten besteht, sich potenziell auf dieses Online-System einzulassen? Vielleicht sind es ja andere Tarifmodelle, die zusätzlich mit Fitness-Tracking-Anreizen angereichert werden?

Auf diesem Gebiet der fitness- und gesundheitsorientierten Krankenversicherungstarife hat die Generali Versicherung in Deutschland schon erste Erfahrungen sammeln können. Zwar verhielt sich die Generali mit der Offerte eines entsprechenden Tarifes sehr innovativ, sorgte aber für negative Publicity in der Presse, und Datenschützer meldeten massive Bedenken gegen die Erfassung und Verwertung von Krankenversichertendaten an: »Der gläserne Versicherte’’.

Auch die Deutsche Telekom engagiert sich im Geschäft rund um das das Gesundheitswesen und richtet den Fokus dabei auf Europa und die USA. Die Deutsche Telekom unterscheidet dabei den »kontrollierten« vom »unkontrollierten« Gesundheitsmarkt. Bei letzterem setzt die Telekom auf eine Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Google und Apple. Zielsetzung ist, eine aktive Standardisierung voranzutreiben. Der »kontrollierte« Gesundheitsmarkt ist hingegen ein mit vielen kleineren Playern besetzter, stark fragmentierter Markt. In diesen zerklüfteten Markt kann die Deutsche Telekom die Vorteile eines weltweiten End-to-End-Dienstleisters einbringen. Dies umfasst auch alle erforderlichen gesetzlichen Zertifikate für Gesundheitsprodukte. So können zum Beispiel Patientenakten mit Patientengeräten über eine Open eHealth Composite-Platform der Deutschen Telekom verbunden werden. Erzeugte Daten können in professionelle Lösungen integriert werden. Die Plattform entspricht außerdem internationalen Gesundheitsstandards für IT, beispielsweise Health Level 7 (HL7). Zusätzlich zur Plattform können eigene professionelle Lösungen und Partnerlösungen integriert werden. Beispiele sind u.a. die Gesundheitsüberwachung und Analytik im Bereich der Diabetesprävention, Telepathologie und Tele Nursing. Aber auch die Echtzeitübertragung von kardiologischen Patientendaten lässt sich realisieren und nutzen.

Einen anderen Ansatz verfolgt IBM. Über die in der Watson-Technologie erfassbaren Patienten- und Behandlungsmethoden, die verabreichten Medikamente und deren positive beziehungsweise auch negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf lassen sich schon heute wertvolle Erkenntnisse und Vorschläge für eine zielgerichtete und patientenorientierte Krankheitsbekämpfung erstellen.

Dass derartige E-Health-orientierte Pläne technisch bewanderte Mitbürger und Datenschützer aufschrecken, verwundert nicht, bietet diese Technik, aus kritischer Sicht, nicht zumindest das Potenzial für den transparenten und ausspionierten Bürger?

Der neue Präsident der Bitkom, Thorsten Dirks, sieht das Thema Datenschutz ambivalent und durchaus als Hindernis bei der Umsetzung der Digitalen Agenda der Deutschen Bundesregierung. Die traditionellen Datenschutzregeln sieht er als Hürde für die vernetzte Wirtschaft und äußert, dass sich das Prinzip der Datensparsamkeit in fast allen Lebensbereichen überholt habe. Thorsten Dirks legt seine Hoffnung auf einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen zur Privatsphäre der Bürger im Rahmen einer europäischen Datenschutz-Vereinbarung. Trotzdem sollten Firmen und Behörden transparent machen, welche Daten sie speichern und dem Bürger Kontrolle darüber geben. Konkret wirke sich Datensparsamkeit derzeit etwa auf Start-ups im Bereich E-Health negativ aus. Aber auch der E-Health-Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt aus Dirks Sicht hinter den Möglichkeiten zurück. Werde man diesbezüglich nicht »mutiger«, so bestehe die Gefahr, dass nationale Akteure erneut das Nachsehen haben und amerikanische Unternehmen auch dieses Marktsegment dominieren. Entsprechende Erfahrungen aus dem digitalen Konsumentenbereich existieren dazu bereits.

Das Thema ist aus Experton-Sicht mehr als zweischneidig. Amerikanische Unternehmen, zumeist sind dies auch Global Player, gehen in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutz-Themen deutlich weniger Risiko ein als europäische, beziehungsweise lokale, auf den D-A-CH-Raum fokussierte Unternehmen. Gerade im D-A-CH-Wirtschaftsraum unterliegen die Security- als auch die Datenschutzrichtlinien deutlich höheren Anforderungen als im Rest Europas beziehungsweise der Welt. Da die von Thorsten Dirks referenzierte europäische Datenschutzverordnung noch aussteht, besteht, je nach Ausformulierung und Spezifikation, die Gefahr, für in Deutschland und Österreich agierende Unternehmen die Datenschutz-«Messlatte« entweder zu hoch oder auch zu niedrig gelegt zu haben, was E-Health-IoT-Geschäftsmodelle, angeht. Bis zum Beschluss dieses europaweit verbindlichen Datenschutzgesetzes, die diesbezügliche nationale Gesetzgebung wird dadurch »überreguliert«, entwickeln Unternehmen in Deutschland und Österreich auf »dünnem Eis«.

autor michael weiß experton groupDr. Michael Weiß