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Die Rolle von IT-Supportstrukturen in Unternehmen wandelt sich grundlegend. Digitale Geschäftsmodelle, hybride Infrastrukturen und steigende Erwartungen an Verfügbarkeit und Geschwindigkeit setzen klassische Service-Desk-Konzepte zunehmend unter Druck. Während Prozessoptimierung, Self-Service-Portale und Nearshore-Modelle jahrelang als probate Mittel galten, stoßen sie heute an ihre Grenzen. Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet neue Handlungsspielräume – allerdings nur, wenn sie gezielt, fundiert und integriert eingesetzt wird.
Die Anforderungen an IT-Organisationen haben in den vergangenen Jahren eine neue Größenordnung erreicht. Fachbereiche erwarten reibungslos funktionierende Systeme, mobile Mitarbeitende rund um die Uhr Zugriff auf Cloud-Anwendungen, und das Management kalkuliert Budgets immer enger. Gleichzeitig wächst die technische Komplexität durch hybride Infrastrukturen, SaaS-Abonnements und IoT-Anbindungen. In vielen Organisationen sind die Instrumente zur Effizienzsteigerung im Support ausgereizt. Wer hier den Überblick behalten will, braucht mehr als gut eingespielte Prozesse, Self-Service-Angebote oder zusätzliche Ressourcen. KI setzt an einem anderen Punkt an: Sie verändert nicht nur Abläufe, sondern auch den Charakter der Bearbeitung. Das Unternehmen audius ist spezialisiert auf effizientes IT Service Management und weiß, wo die Vorteile liegen und was es bei der Nutzung zu beachten gilt.
Jenseits klassischer Effizienzsteigerung
Der wohl greifbarste Effekt zeigt sich, wenn man den Weg eines Tickets durch den Support betrachtet. Früher bestand der Ablauf aus einer Vielzahl von Mikrotätigkeiten: E-Mails sichten, Schlagwörter identifizieren, Formularfelder ausfüllen, passende Wissensartikel suchen. In vielen Organisationen summierten sich diese kleinen Handgriffe auf mehrere Stunden pro Tag.
Lernende Modelle erkennen Muster, treffen Wahrscheinlichkeitsaussagen und priorisieren Vorgänge automatisiert. Aufgaben, die früher eine manuelle Prüfung erforderten, übernimmt die KI in Sekundenbruchteilen. Der Effekt: eine höhere Geschwindigkeit, aber auch Konsistenz. Während menschliche Analysten subjektive Einschätzungen vornehmen, gelten für das Modell klare, durchgängige Regeln.
Diese Standardisierung senkt die Fehlerquote, vermeidet Fehlleitungen und verbessert die Einhaltung von Service-Level-Vereinbarungen. Zudem ermöglicht sie die gezielte Weiterleitung an passende Teams oder automatisierte Behandlungsroutinen.
Wenn das Ticket anschließend in die Bearbeitung geht, hilft die KI erneut: Sie vergleicht das aktuelle Problem mit historischen Fällen, schlägt Lösungsschritte vor und verlinkt Tutorials, die in der Vergangenheit erfolgreich waren. Der Agent spart Recherchezeit, und der Kunde erhält schneller eine qualifizierte Rückmeldung.
Self Service im Dialog
Self-Service-Portale haben sich längst etabliert, sind in der Regel jedoch statisch: Der Nutzer hat ein Problem, sucht nach einem Artikel, in dem die Lösung des Problems beschrieben wird und versucht dann, dieses selbstständig zu lösen. Chatbots und interaktive Dialoge ergänzen die klassischen Wissensdatenbanken und gehen einen Schritt weiter. Haben Nutzer Probleme mit VPN, Druckern oder Softwarezugängen, erhalten sie jetzt maßgeschneiderte Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die an ihre Systemumgebung und Fehlermeldung angepasst sind. Im Unterschied zu den statischen Artikeln reagieren die Systeme auf Rückfragen, erklären Begriffe und dokumentieren die Interaktion für eine mögliche Eskalation.
Für IT-Teams bringt das mehrere Vorteile: Die Zahl einfacher Tickets sinkt, ebenso wie der Frust bei den Endnutzern. Wenn der Mitarbeiter eine Anweisung nicht versteht, kann er nachfragen. Der Bot erklärt geduldig, passt das Wording an und merkt sich im System, an welcher Stelle er Verständnisschwierigkeiten hatte. Später lassen sich diese Erkenntnisse nutzen, um die Wissensdatenbank zu optimieren. Gleichzeitig sammelt der Bot strukturierte Daten über den Vorfall. Kommt es doch zur Eskalation, kann der menschliche Agent mit einem lückenlosen Protokoll starten, ohne erneut Basisfragen stellen zu müssen.
Vorausschauender Support durch Predictive Analytics
Während Chatbots die sichtbare Kundeninteraktion revolutionieren, wirkt Predictive Analytics eher im Hintergrund. Anhand historischer Nutzungsdaten erkennt Predicitve Analystics ungewöhnliche Muster – etwa einen sprunghaften Anstieg fehlgeschlagener Logins oder ungewöhnlich lange Antwortzeiten bei Cloud-Anwendungen. In solchen Fällen erstellt das System automatisch einen Incident, der den Service Desk über eine zentrale Störung beim Login informiert, noch bevor Endnutzer die Störung überhaupt bemerken.
Durch proaktive Erkennung und frühzeitige Maßnahmen wie interne Benachrichtigungen, vorbereitete Workarounds oder Eskalationen an technische Fachabteilungen lassen sich viele Vorfälle so bereits entschärfen, bevor sie sich spürbar auf den Geschäftsbetrieb auswirken. Der proaktive Charakter zeigt sich auch in den konkreten Handlungsempfehlungen, die der audius Service Desk direkt mitliefert. In einem Pilotprojekt eines großen Service Desks konnte so die Zahl der großen Störungen (Major Incidents) um 18 Prozent gesenkt werden – und das bereits nach nur drei Monaten aktivem Einsatz von Predictive Analytics.
KI als Orchestrator für eigenständige Gegenmaßnahmen
Die höchste Stufe der Automatisierung ist die automatische Behebung erkannter Probleme. Statt lediglich zu warnen, greift das System aktiv ein – etwa durch das Ausführen von Skripten, das Neustarten von Diensten oder das Skalieren von Containern. Voraussetzung dafür ist eine Bibliothek geprüfter Maßnahmen sowie eine logische Verknüpfung mit Monitoring- und Diagnosedaten.
Ein typisches Beispiel ist die Behandlung von Druckerdienst-Abstürzen. Früher musste ein Supportmitarbeiter den Fehler analysieren und manuell beheben. Heute erkennt das System das Muster, validiert die Ursache und führt das passende Skript aus. Die Folge: Der Fehler wird in Sekunden behoben, ohne dass der Nutzer es bemerkt – und der Support spart dadurch Zeit für komplexere Aufgaben.
Saubere Daten, offene Plattformen und klare Rollen als Faktoren für den Erfolg
Bevor KI im Service Desk Wirkung entfalten kann, müssen technische und organisatorische Grundlagen geschaffen werden. An erster Stelle steht dabei die Datenqualität. Unvollständig befüllte Kategorien, unstrukturierte Freitexte oder fehlende Kontextinformationen führen zu fehlerhaften Ergebnissen. Ein initiales Data-Cleansing-Projekt schafft hier Abhilfe.
Ebenso wichtig ist die technische Offenheit der Systeme. Ohne programmatischen Zugriff auf Tickets, Monitoringdaten oder Workflow-Trigger bleibt die Integration fragmentiert. APIs, Event-Streams und ein durchdachtes Schnittstellenkonzept sind darum zentrale Voraussetzungen.
Nicht zuletzt braucht es klare Rollen. In erfolgreichen Projekten übernehmen erfahrene Supportkräfte die Rolle von AI Service Desk Coaches. Sie kennen die fachlichen Prozesse, beherrschen die Grundbegriffe des maschinellen Lernens und achten darauf, dass Trainingsdaten gepflegt und Modellupdates ordnungsgemäß dokumentiert werden. Ergänzt wird diese Rolle durch einen Data Steward, der die Datenqualitätsergebnisse regelmäßig überprüft, sowie durch einen Automation Owner, der die Skriptbibliothek für Auto Remediations verantwortet. So entsteht eine Struktur, die kontinuierliche Weiterentwicklung ermöglicht – auch ohne Großprojektcharakter.
Zahlen, die überzeugen
Ein kritischer Erfolgsfaktor ist die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse. Dabei reicht es nicht aus, technische Kennzahlen wie Ticketlaufzeiten oder Fehlerraten zu verbessern. Entscheidend ist auch das Erleben der Nutzer.
In einem mittelgroßen Finanzinstitut sank nach Einführung KI-basierter Klassifizierungsmodelle, Chatbot und Auto Remediations die durchschnittliche Lösungszeit von sieben auf knapp fünf Stunden – auf das Jahr hochgerechnet bedeuten diese zwei Stunden einen Unterschied von mehreren Tausend gewonnenen Produktivstunden im Business. Gleichzeitig stieg die Erstlösungsquote von 62 auf 78 Prozent. Außerdem verbesserte sich die Nutzerzufriedenheit messbar – vor allem hinsichtlich Reaktionsgeschwindigkeit außerhalb der Kernzeiten und Verständlichkeit der Lösungen.
Auch betriebswirtschaftlich zeigte sich der Nutzen. Einsparungen durch vermiedene Überstunden, reduzierte Eskalationen und geringere SLA-Strafzahlungen summierten sich auf rund 300.000 Euro jährlich – das Projekt amortisierte sich damit innerhalb von zwölf Monaten.
Erfolgreiche Umsetzung: Iteration statt Ausnahmezustand
Ein häufiger Fehler in KI-Projekten liegt in der Einmaligkeit der Einführung. Erfolgreiche Service Desks setzen stattdessen auf wiederkehrende Modellpflege, Feedbackschleifen mit den Teams und verbindliche Governance.
Wichtiger als die Regelwerke ist jedoch die gelebte Praxis. Kurze Retrospektiven mit den Support-Agents, in denen sie Rückmeldung zur Unterstützung durch die KI geben, haben sich vielfach bewährt. Denn auch ein gut trainiertes Modell braucht kontinuierliches Feedback, um zuverlässig zu bleiben.
Ausblick: Vom Reaktionszentrum zur Steuerungsinstanz
Die Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz schreitet rasant voran. In den kommenden Jahren werden wir voraussichtlich zwei große Strömungen im Service Desk beobachten. Erstens werden Sprachmodelle und Prozessautomatisierung stärker verschmelzen. Der Chatbot von morgen wird nicht nur Fragen beantworten, sondern gleich im Hintergrund Aufträge an RPA Bots oder Cloud Functions vergeben, wenn er erkennt, dass eine technische Einstellung geändert werden muss. Zweitens rückt der Kontext in den Vordergrund. Systeme begnügen sich nicht mehr mit reinen Tickets oder Logs. Sie ziehen Telemetriedaten aus Endgeräten, nutzen Sensordaten aus Büroumgebungen und vernetzen sich mit Business KPIs, um den Einfluss technischer Probleme auf Umsatz oder Kundenerlebnis zu kalkulieren.
KI im IT-Support ist kein Allheilmittel, aber ein mächtiges Werkzeug. Richtig eingesetzt, reduziert sie nicht nur Bearbeitungszeit und Fehlerquoten, sondern steigert auch die Zufriedenheit der Nutzer und Effizienz der Prozesse. Entscheidend für den Erfolg sind nicht einzelne Tools, sondern ein ganzheitlicher Ansatz. Unternehmen, die bereits heute die Grundlagen – saubere Daten, APIs, Rollen, Governance – legen und sich für den intelligenten Weg entscheiden, werden diese Möglichkeiten weit schneller nutzen können als Wettbewerber, die KI noch als ferne Spielerei abtun.
Oliver Pflug, Head of IT Service Desk, audius
Oliver Pflug leitet seit über zwanzig Jahren Service Desk Teams und bringt tiefgehende Erfahrung in Service und Wissensmanagement, Prozessgestaltung sowie professionellem Krisenmanagement mit. Als Head of IT Service Desk bei der audius verantwortet er den stabilen Betrieb, steuert Transformationsprojekte und baut Supportorganisationen so aus, dass sie auch unter Hochdruck verlässlich funktionieren. Seine praxisnahen Einblicke reichen von der strategischen Roadmap bis zum operativen Troubleshooting.