
Illustration: Absmeier – Riedelmeier
Organisationen werden mehr denn je gefordert, sich noch schneller bestmöglich auf veränderte Situationen einzustellen und dabei die unterschiedlichsten Erwartungen der verschiedenen Stakeholder zu erfüllen. Das betrifft einerseits die Märkte und Wettbewerbssituationen (Kunden und Lieferanten), in denen sie sich bewegen, andererseits Gruppen wie Mitarbeitende, Partner, Eigentümer oder Interessensvertreter.
Die Ansatzpunkte für notwendige Veränderungen sind vielfältig. Sie betreffen die beteiligten Menschen, bestehende Prozesse, eine etablierte Kultur, langjährig erworbene Fertig- und Fähigkeiten und eine Vielzahl an Produkten und Services. Gängige Methoden stoßen dabei an ihre Grenzen. Die Gründe dafür sind ebenfalls vielfältig. Teilweise verfolgen diese Methoden kurzfristige Ansätze, teilweise kommen sie mit Vorschlägen, die nicht passgenau genug sind und teilweise fehlt eine eindeutige Nutzenargumentation für den jeweiligen Einsatz. Wie kann es also gelingen verschiedene Einflüsse und Abhängigkeiten nicht nur zu berücksichtigen, sondern langfristig und nachhaltig zu verändern und zu bewältigen?
Value Stream Management im »Big Picture«
Dieser Artikel möchte den Lösungsansatz Value Stream Management als eine übergreifende Perspektive darstellen. Er soll aufzuzeigen, wie sich die Komplexität und Unsicherheit damit erfolgversprechender überwinden lassen. Unter Value wird dabei nicht nur der monetäre Erfolg verstanden, sondern die Orientierung an Wert und Kunde im Sinne von Qualität und Funktionalität. Unter » Value Streams« sind Wertströme in Organisationen zu verstehen, in denen Anforderungen der Kunden in Wert durch Erfüllung dieser Anforderungen erzeugt wird. Aufgabe des Value Stream Managements ist es diese Value Streams auf Effektivität und Effizienz auszurichten und wertschöpfend zu gestalten. Demzufolge ist es unumgänglich sich zuallererst mit dem Gesamtsystem des Value Streams, welches aus acht Bausteinen besteht, auseinander zu setzten:
- Value-Stream-Ziele
- Ressourcen und Fähigkeiten
- Produkte und Services
- Menschen
- Kultur
- Transformation
- Lieferanten
- Kunden
Sechs dieser Bausteine finden sich innerhalb eines Unternehmens. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Bausteinen zu, wenn es darum geht den Denk- und Ordnungsrahmen der Organisation auszurichten. Value-Stream-Ziele sind Grundlage für die Ausrichtung auf maximale Wertschaffung und die Optimierung des Value Streams. Hinzu kommen die Ressourcen und Fähigkeiten, welche die Leistungserstellung erst ermöglichen. Diese sind der Input und die Grundlage für Produkte und Services, die das Unternehmen ihren Kunden bereitstellt. Trotz des Wandels der digitalen Welt bleiben die Menschen in einer Organisation ausschlaggebend. Ihr Mindset, Prinzipien und Verhalten prägen wiederum die Kultur der Organisation und spiegeln somit die Offenheit für Veränderung wider. Als letzter Baustein innerhalb jeder Organisation ist die Transformation zu berücksichtigen, welche die Wandlung des Istzustands zu einem gewünschten Sollzustand beschreibt.
Die Summe der sechs Bausteine stellt das Gesamtsystem der Value Streams innerhalb einer Organisation dar. Nichtsdestotrotz gibt es Untersysteme zwischen einzelnen oder mehreren Bestandteilen. Richtet man den Blick über die Ränder eines Unternehmens hinaus, lassen sich zwei weitere Bausteine – Lieferanten und Kunden – benennen. Die Wertschöpfung beginnt nicht erst in einem Unternehmen selbst und endet auch nicht mit der Bereitstellung eines Produkts oder Services. Durch eine ganzheitliche Betrachtung findet eine Verlängerung und Ausweitung auf real existierende Lieferketten statt. Dabei sollte man sich bewusst machen, dass die erstgenannten sechs Bausteine auch in den Organisationen der Lieferanten und Kunden vorhanden sind.
Grafik: Das Gesamtsystem des Value Streams
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die Ausrichtung auf Value Stream Management erfordert die Berücksichtigung der beschriebenen acht Bausteine. Darüber hinaus bestehen Verbindungen zwischen einzelnen oder mehreren Bausteinen innerhalb eines Unternehmens und zu Lieferanten und Kunden. Wertschöpfung muss im Zentrum jedes einzelnen Bausteins stehen, damit der Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Dynamik der Umwelt gelingen kann. Wie das möglich ist, wird im Folgenden durch Erläuterung des Bezugs zwischen Value Stream Management und den verschiedenen Ansatzpunkten verdeutlicht.
Unterschiedliche Perspektiven des Value Stream Management
Es gilt den Blick auf Geschäftsbereiche, Rollen und Verantwortungen zu schärfen oder sogar neu zu definieren. Zudem besteht ein enger Zusammenhang mit bestehenden Konzepten und digitalen Trends. Es lassen sich zehn Kernaussagen dazu formulieren, welchen Themen besondere Aufmerksamkeit zukommen muss, um erfolgreich Value Stream Management in der Praxis umzusetzen.
- Business und IT sind ein Team
- Value Streams ungleich Prozesse
- Gelebte Prinzipien prägen die Unternehmenskultur
- Value Stream hilft bei der Automatisierung
- Value Stream unterstützt Agilität
- Value ist eine Frage der Perspektive
- Value Stream bringen neue Arten der Verantwortung
- Value und Compliance sind kein Widerspruch
- Value Stream nur mit Informationstechnologie
- Services sind digitale Produkte
Im Folgenden werden exemplarisch vier dieser zehn Aussagen detaillierter erklärt und ihr Zusammenhang zum Thema Value Stream Management herausgestellt.
Value Stream Management hilft bei der Automatisierung
Die moderne, digitale Welt fordert immer stärker »schneller« und »besser« zu werden. Im Value Stream Management wird die Basis gelegt, Qualität zu steigern und Durchlaufzeiten zu verkürzen. Eine Betrachtung von Wertströmen führt zu einem besseren Verständnis derselben und kann für eine nachhaltige und erfolgreiche Optimierung genutzt werden. Abläufe lassen sich zunächst standardisieren und in der Folge automatisieren.
Es geht nicht darum, die elektronisch neu erfassten Formulare mittels E-Mail an die zu bearbeitenden Stellen zu senden, sondern den gesamten Value Stream Ende zu Ende zu betrachten.
Bei einer Value-Stream-Betrachtung beantwortet man zunächst die Frage, wie der gesamte Wertstrom und dessen Ziel aussieht. Danach werden die beteiligen Prozesse und Praktiken sichtbar gemacht und ermittelt, was sie zur Schaffung des Werts beitragen. Mit Blick auf das Ziel von Automatisierung können wir dann klären, wie Tools und Datenströme harmonisiert werden können und wie sich Medienbrüche aufheben lassen. Das führt zur Beantwortung der Frage, wie der optimale, sinnvolle Wertstrom gestaltet sein sollte. Als Ergebnis haben wir eine valide Basis, wie der Wertstrom automatisiert werden kann.
Value ist stets eine Frage der Perspektive
Wird jemand nach der Bedeutung von »Wert« und »Wertschöpfung« gefragt, so beinhaltet die Antwort immer eine subjektive Einschätzung. Die Definition ist abhängig von der Situation, dem Nutzen und den Präferenzen des Gefragten. So stellt sich auch im Zusammenhang mit Value Stream Management die Frage, welche Sicht und Definition von Value entlang des Value Streams maßgebend sein soll.
Zum einen gilt es die Perspektive der Stakeholder zu betrachten. Je nach gewählten Systemgrenzen, Detaillierungsgrad und Standpunkt im Value Stream unterscheidet sich das Verständnis von Wert. Diese Perspektive sollte so gestaltet werden, dass jeder Beteiligte den Wertbeitrag der eigenen Arbeit zum gesamten Value Stream versteht und kennt. In einem weiteren Schritt gilt es die Währungsperspektive der Stakeholder in Betracht zu ziehen. Dabei handelt es sich nicht zwangsweise um eine monetäre Größe. Es können verschiedenste Verständnisse von Value wie beispielsweise Freizeit, Wissen oder auch Sinnhaftigkeit ausgedrückt und bemessen werden. Die folgende Abbildung zeigt mögliche Arten von Wert.
Nun stellt sich die Frage: Was ist die Betrachtungsweise des Kunden auf den Wert und in welcher Währung wird dieser bemessen? Um dies zu beantworten, bedarf es die Perspektive der Kunden herauszuarbeiten. Dabei geht es darum, die Anwendung und den Nutzen der Kunden möglichst genau und langfristig zu erfassen.
Gelebte Prinzipien prägen die Unternehmenskultur
Im Rahmen von Value Stream Management gilt es Prinzipien zu definieren, die auf die Anforderungen der Arbeitswelt angepasst sind. Diese dienen als Grundlage für Denkweise, Mentalität und Verhaltensmuster der Menschen und somit auch der Organisation. Prinzipien müssen nicht nur festgelegt, sondern von Mitarbeitenden gelebt werden. Im Idealfall stimmen die Werte des Unternehmens mit denen der einzelnen Mitarbeitenden überein und schaffen durch Identifikation die Grundlage für Teilhabe, Vertrauen und Sicherheit in der Organisation. Als Folgeerscheinung von Prinzipien und Verhalten entsteht die Unternehmenskultur.
Nur wenn die Unternehmenskultur von Offenheit, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft geprägt ist, kann eine weitgehend vollkommene Ausrichtung im Sinne des Value Streams stattfinden. Ständige Veränderung, hohe Geschwindigkeit und Dichte von aufeinander folgenden Ereignissen müssen nicht nur akzeptiert, sondern aktiv von den Mitarbeitenden bewältigt werden. Die Value-Stream-Sicht fordert demnach eine Betrachtungsweise, die sich nicht gegen die Wandlungsfähigkeit und Entwicklung eines Unternehmens sträuben. Die Unternehmenskultur – bestehend aus Verhalten und Prinzipien – kann ein Indikator für die gelebten Werte der Organisation sein. Unternehmenskultur kann als kritischer Erfolgsfaktor für die Wertschöpfung und den Umgang mit Veränderung sowie neuen Geschäftsmodellen ausgemacht werden.
Value Streams unterstützen Agilität
Organisationen, die ihre Wertströme kennen und wissen, wann welche Schritte zu tun beziehungsweise einzuleiten sind, treffen mehr gute Entscheidungen. Sie können die Konsequenzen einzelner Maßnahmen frühzeitig für den Wertstrom abschätzen und im Sinne echter Agilität leichter und zielgerichteter auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren. »Echte« Agilität bedeutet in diesem Zusammenhang, Organisationen zu schaffen, die auf jede Art von Veränderung von außen reaktionsfähig sind. Value Stream Management ist dabei weder dogmatisch noch vorschreibend.
Value Streams können ermittelt, betrachtet, bewertet und verglichen werden.
Das Zielbild des Value Stream Managements
Im Value Stream Management werden acht verschiedene Bausteine in Betracht gezogen und auf die Wertschöpfung ausgerichtet. Dies geschieht nicht von heute auf morgen. Der Value-Stream-Ansatz muss das Gesamtsystem von Organisation, Lieferanten und Kunden durchdringen. Dazu muss die Perspektive klar gewählt und neue Verantwortungen verteilt werden. Wenn das gelingt, ist es möglich maximale Wertschöpfung in verschiedenen Währungen zu erlangen und Optimierungen an den richtigen Stellen vorzunehmen. Dabei hilft die Automatisierung und der Einsatz moderner Technologie. Es entsteht ein Unternehmen, das nicht mehr in Silos, sondern ganzheitlich und agil denkt sowie agiert. In diesem Unternehmen existiert eine Unternehmenskultur, die Veränderung nicht mit Ablehnung und Skepsis, sondern Offenheit und Tatendrang begegnet. Zwischen klassischen Unternehmensbereichen wie IT und Business besteht ein neues Verständnis und auch Unternehmensbereiche wie beispielsweise die Compliance fördern das Zielbild des Value Streams.
Folkert Jung, Dierk Söllner, Finja Enke, Martin Andenmatten, Bernd Ebert, José Silva, Thomas Pröpper
WERTVOLL!
Eine Value Stream Story
1. Auflage BusinessVillage 2022
228 Seiten
ISBN 978-3-86980-654-9 24,95 Euro
ISBN-EPUB 978-3-86980-656-3 19,95 Euro
ISBN-PDF 978-3-86980-655-6 19,95 Euro
http://www.businessvillage.de/1147.html
»Wir müssen die Kosten senken und nicht erhöhen!« – mit dieser Aussage startet der packende Roman über die Transformation des Hamburger Saftherstellers Jacobsen. Nach dem Generationenwechsel in der Geschäftsführung will Alexander Jacobsen die längst überfällige Modernisierung in Gang setzen. Dabei stößt er auf eine aussichtsreiche Managementmethode: Value Stream Management. Wird damit der Turnaround gelingen? Der Leser erfährt, wie ein Team mit gemeinsamen Kräften neue Wege beschreiten lernt und überraschende Lösungen entdeckt.
Dieses Buch ist eine Kombination aus Roman und Fachbuch – jedes Kapitel steht für sich selbst. Im zweiten Teil des Buches zeigen die Autoren, was sich konkret hinter dem Value Stream Management verbirgt und wie sich dieser Ansatz in der Praxis umsetzen lässt.
In Zeiten der digitalen Transformation gehen zunehmende Geschwindigkeit und steigende Komplexität bei abnehmender Planungssicherheit einher. Genau hier setzt das Value Stream Management an und liefert einen Ordnungsrahmen und eine Werkzeugkiste, um nachvollziehbar und transparent Abläufe in Organisationen zu analysieren und zu gestalten.
Dieser übergreifende Ansatz zeigt auf, dass Value in verschiedenen Währungen definiert werden kann: Geld, Sinn, Erfahrung und Wissen, Nachhaltigkeit, Aufträge, Zeit, Image, Freizeit, Zugehörigkeit oder Compliance. Dieses Buch vermittelt hierfür den Sinn, das Verständnis und das Praxiswissen.
Die Autoren
Folkert Jung
verfolgt als Executive Consultant, Projektleiter, Workshopmoderator und Coach das Ziel, die Kunden in Richtung Wertschöpfung, Wandlungsfähigkeit und Serviceorientierung zu befähigen.
Dierk Söllner
unterstützt Organisationen, Teams und Menschen in Veränderungsprozessen als kompetenter und empathischen Begleiter durch professionelles Training und Coaching.
Finja Enke
hat 2022 ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie abgeschlossen und strebt an durch einen Masterabschluss sowie weitere praktische Erfahrungen ihre Expertise zu vertiefen.
Martin Andenmatten
ist Geschäftsführer und Gründer der Glenfis AG. Seit 22 Jahren unterstützt er Kunden dabei, ihre Betriebsmodelle an die Herausforderungen der Zukunft auszurichten.
Bernd Ebert
Bernd Ebert entwickelt als Management Berater, Coach & Trainer mit seinen Kunden Wege besserer Zusammenarbeit und Wertschöpfung im Dreieck Organisation, Team und Personen.
José Silva
ist langjähriger und leidenschaftlicher Service Management Enthusiast. Seine umfangreiche Expertise nutzt er, um ein ganzheitliches Service-Value-Erlebnis zu entwickeln.
Thomas Pröpper
vereint umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen aus den Bereichen IT-Service Management und IT Financial Management.