Chinas Medien sehen EU-Krisen als Zeichen für das Scheitern des »westlichen Systems«

Überfordert vom Brexit, rechten Parteien, Flüchtlingsansturm?

Am Dienstag und Mittwoch treffen ranghohe Vertreter der EU und Chinas zu ihrem 18. bilateralen Gipfel in Peking zusammen. Chinas Regierungschef Li Keqiang wird mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zusammentreffen. Der Gipfel wird überschattet von der jüngsten Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen. Dieser Schritt dürfte auch die Beziehungen der EU zu China beeinflussen.

grafik merics china media eu crisis

Im Vorfeld des Treffens in Peking hat das Mercator Institut für China Studien (MERICS) analysiert, wie chinesische Medien über die EU berichten. Die schweren Krisen der vergangenen Jahre haben das bislang positive Image des Kontinents in China in Frage gestellt, so das zentrale Ergebnis. Bislang sahen viele chinesische Kommentatoren die EU als Vorbild für politische Kontinuität. Durch die Brexit-Entscheidung der Briten ist dieses Bild jedoch ins Wanken geraten. Auch die Schwierigkeiten der EU, der Flüchtlingskrise und Terroranschlägen in europäischen Hauptstädten zu begegnen, werden in China als Resultat eines Mangels an Einigkeit und Schlagkraft interpretiert. Es gelte, einer drohenden Image-Krise entgegenzuwirken, lautet die Empfehlung der Autoren der MERICS-Studie, die am Dienstag (12. Juli) am EastWest Institute in Brüssel vorgestellt wurde.

 

Vor allem von Staat und Partei gesteuerte Medien instrumentalisieren EU-Krisen, um das »westliche System«, etwa demokratische Entscheidungsprozesse oder Pressefreiheit, pauschal zu kritisieren, wie die MERICS-Autoren Jasmin Gong, Bertram Lang und Kristin Shi-Kupfer in ihrer Analyse »Questioning not the EU, but the ›Western System‹« ausführen. Diese Strategie ist auch in der chinesischen Außenpolitik angekommen: Chinesische Diplomaten nutzen in Gesprächen mit EU-Kollegen bereits die Flüchtlingskrise, um Kritik an der Menschenrechtssituation oder politischer Unterdrückung in China zurückzuweisen.

 

Für ihre Analyse, die als Teil der Serie MERICS China Monitor veröffentlicht wurde, haben die Forscher rund 75.000 Artikel untersucht, in denen die griechische Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise, der Aufstieg rechter Parteien in der EU, die terroristische Bedrohung und das Brexit-Referendum aufgegriffen wurden. Die Artikel stammten aus parteistaatlichen Medien wie der »Volkszeitung«, aus kommerziellen Medien wie »Southern Weekly« und sozialen Medien wie dem Sina Blog. Rund 300 Meinungsbeiträge wurden qualitativ analysiert.

 

Die Betrachtung ergab ein gemischtes Bild: Gut ein Drittel der analysierten Meinungsstücke (34 Prozent) sahen vor allem in rechtsextremen Parteien, der Flüchtlingskrise sowie terroristischen Anschlägen eine ernste Herausforderung für die EU. Zugleich gaben sich viele Kommentatoren aber auch zuversichtlich, dass die Union stabil bleiben wird, auch wenn Ereignisse wie der Brexit sie auf die Probe stellen.

 

Parteistaatliche Medien führen die Krisenszenarien oft als Beleg eines allmählich zerfallenden europäischen Kontinents an. Im Sinne der in China geltenden politischen Linie, die Defizite westlicher Demokratien anzuführen, um die Überlegenheit der eigenen politischen Konzepte zu betonen, verweisen die Staatsmedien häufig auf die »Schwächen und die Fehlerhaftigkeit ›westlicher Werte‹« und westlicher politischer Ordnungsvorstellungen. Kommerzielle und soziale Medien beschrieben die Lage in Europa dagegen differenzierter, schlussfolgern die MERICS-Autoren.

 

Der Diskurs in chinesischen Medien ist ein besserer Frühindikator für eine sich möglicherweise ändernde Haltung Chinas gegenüber der EU als offizielle diplomatische Erklärungen, heißt es in der MERICS-Studie. Die Autoren empfehlen den Handelnden in den EU-Mitgliedsstaaten, sich den »bestehenden guten Willen und das ehrliche Interesse« nicht-staatlicher Medien an der EU zunutze zu machen und genau dort ein »authentisches und ehrliches Bild« der Herausforderungen zu vermitteln, vor denen die EU derzeit steht.

Link: https://www.merics.org/index.php?id=1108

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