Mentale Gesundheit: Mitarbeitende brauchen mehr als nur Lippenbekenntnisse

Illustration: Absmeier Geralt

Unternehmen, die den Bedarf erkannt haben, reagieren und starten Initiativen für mentale Gesundheit.

 

Die Corona-Pandemie, aber auch die anderen aktuellen Krisen, haben zu starken psychischen Belastungen geführt. Bemerkbar macht sich das auch bei den Krankenständen in den Unternehmen. Durchschnittlich drei Tage pro Jahr ist jeder Angestellte in Deutschland aufgrund von psychischen Problemen krank [1]. Dennoch nehmen viele Unternehmen das Thema nach wie vor nicht ernst genug. Bei Prior1 gibt es seit Februar 2022 die »Initiative für mentale Gesundheit«, die Unterstützung für psychisch belastete Mitarbeitende anbietet.

 

Die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen und Veränderungen haben bei vielen Menschen zu einer hohen seelischen Belastung geführt. Die Sorge um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen, die Ungewissheit über die Zukunft sowie Homeoffice und Isolation erzeugten bei vielen Menschen Stress, Angstzustände und Depressionen. Zahlreiche Studien zeigen die Dramatik der Situation auf. So berichtet der Psychreport 2022 der DAK-Gesundheit [2] von einem neuen Höchststand bei Fehltagen durch psychische Erkrankungen im Jahr 2021. Auch die Dauer der Krankschreibungen war so hoch wie nie zuvor: Durchschnittlich 39,2 Tage dauerte ein psychischer Krankschreibungsfall im letzten Jahr. Psychische Erkrankungen ziehen beträchtliche Folgen für die betroffenen Personen und ihre Familien nach sich, aber auch die Unternehmen nehmen Schaden. Durch Fehlzeiten und Leistungseinbußen sinkt die Produktivität, andere Mitarbeitende müssen die Arbeit mit erledigen, was zu Konflikten und zu übermäßiger Belastung führen kann.

 

Keine Unterstützung durch die Unternehmen

Dennoch nimmt die Mehrheit der deutschen Unternehmen das Thema noch nicht ernst genug. Psychische Erkrankungen gehören immer noch zu den Tabuthemen in der Arbeitswelt. Über mentale Gesundheit und psychische Störungen gibt es in den deutschen Unternehmen keine offene Kommunikation. Diese Erkrankungen werden nach wie vor als reine Privatsache gesehen. Und das obwohl Unternehmen bereits seit 2013 verpflichtet sind, Gefährdungsbeurteilungen auch zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz durchzuführen und ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. 2021 hat die Jobseite Indeed gemeinsam mit dem Arbeitspsychologen Prof. Dr. Hannes Zacher von der Universität Leipzig eine Studie [3] durchgeführt, bei der mehr als 2.000 Arbeitskräfte in Deutschland zum Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz befragt wurden. Zwei der Ergebnisse: Mehr als die Hälfte der Befragten (63 Prozent) gab an, dass es in ihrem Unternehmen keine konkreten Angebote für den Erhalt der psychischen Gesundheit gibt. Nur 18 Prozent der Unternehmen boten ihren Arbeitnehmenden mehr Unterstützung als Reaktion auf die Belastungen der Corona-Pandemie.

 

Wohlbefinden und berufliches Engagement hängen eng zusammen

Mittlerweile sind zur Corona-Pandemie weitere Stressfaktoren dazugekommen. Der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation, die Weltklimakrise – all diese Themen erzeugen Belastungen, die sich negativ auf das psychische Wohlbefinden und damit auch auf die Arbeit auswirken können. So definiert die WHO psychische Gesundheit als einen Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann. Psychische Störungen dagegen zeigen sich oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen [4]. Und: Die mentale Gesundheit ist eben nicht eine reine Privatsache. Die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen werden, so die WHO, nicht nur durch individuelle Merkmale beeinflusst, sondern auch durch soziale Umstände der Umgebung. Die psychische Gesundheit trägt nicht nur zu einem guten Betriebsklima und Wohlbefinden bei, sondern hat auch Einfluss auf die Produktivität. Beschäftigte mit einem hohen psychischen Wohlbefinden können ihre Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen und sich stärker in der Arbeit engagieren.

 

»Initiative für mentale Gesundheit« bei Prior1

Auch bei Prior1 haben sich die massiven Belastungen der letzten Jahre bemerkbar gemacht. Einige von psychischen Erkrankungen Betroffene und die kontinuierliche, aktive Auseinandersetzung des Unternehmens mit Gesundheitsthemen (Prior1 hat ein Kompetenzteam Gesundheit, das die Entwicklung im Unternehmen laufend beobachtet und Maßnahmen vorschlägt) lenkten die Aufmerksamkeit auf die mentale Gesundheit. Als gemeinwohlorientiertes Unternehmen handelt Prior1 aus der tiefen Überzeugung heraus, dass ein Unternehmen nicht zum Selbstzweck da ist. Es soll Menschen beim Wachsen helfen. Und es soll einen Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft schaffen. Dementsprechend war schnell klar, dass im Bereich mentale Gesundheit Maßnahmen gesetzt werden müssen, um die Entwicklung psychischer Erkrankungen nach Möglichkeit zu vermeiden.

 

Kostenloses Coaching-Programm für alle Mitarbeitenden

Prior1 bietet allen Arbeitskräften seit Februar 2022 ein kostenloses Coaching-Programm. Einerseits stehen innerhalb des Unternehmens vier Mitarbeitende den Kolleginnen und Kollegen als erste Ansprechpartner zur Verfügung, wenn etwa Schlafstörungen bestehen, Gefühle von Traurigkeit entstehen oder die allgemeine Grundstimmung beziehungsweise das Verhalten einer Person sich deutlich ändert. Betroffene können diese Kollegen, die eigene Erfahrungen mit psychischen Problemen gemacht haben, ansprechen und das vertrauliche Gespräch suchen. Darüber hinaus bietet das Unternehmen kostenlose Unterstützung durch vier externe Coaches. Dazu gehören eine Psychologin sowie drei Expertinnen aus den Bereichen persönliche Entwicklung und Beratung in Bezug auf Organisationsstrukturen. Im Intranet des Unternehmens finden Mitarbeitende unter dem Motto »Wie geht’s dir?« Informationen zum Thema mentale Gesundheit allgemein sowie über Warnsignale, die auf psychische Belastungen hinweisen. Zudem werden hier auch die vier unterschiedlichen Angebote der Coaches, inklusive Videos, vorgestellt. Mitarbeitende können diese anonym und kostenfrei in Anspruch nehmen. Die Coachings sollen dabei helfen, die eigenen Gedanken sortieren und Lösungsaspekte erkennen zu können. Sollte nach der Expertise der Spezialistinnen ärztliche Unterstützung notwendig sein, wird den Betroffenen ein Arztbesuch empfohlen.

 

Kickoff, Mitarbeiterbefragung, konkrete Maßnahmen

Gestartet wurde die Initiative mit einer Kickoff-Veranstaltung, einem Workshop, bei dem auch die für den Arbeitsschutz Verantwortlichen und der Betriebsarzt involviert waren. Im nächsten Schritt wurde eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, die u.a. zeigte, dass die Belegschaft Interesse an weitergehenden Informationen zum Thema hat. Zusätzlich zum Coaching-Angebot wurde daher auch eine Vortragsreihe, an der alle Mitarbeitenden teilnehmen können, initiiert. Externe Spezialisten informieren dabei unter anderem zum Thema »Innere Balance durch gesunde Selbstversorgung«. Ziel der Vorträge ist die Stärkung der psychischen Belastbarkeit und die Förderung des eigenverantwortlichen Handelns zur nachhaltigen Gesundheitserhaltung aller Beschäftigten. Das Unternehmen hofft, durch die Angebote dazu beizutragen, dass mentale Belastungen nicht unbeachtet bleiben und sich dadurch nicht zu ernsthaften Erkrankungen entwickeln. Die letzten Monate haben gezeigt: Das Angebot wird gebraucht und angenommen.

 

Maßnahmen für mentale Gesundheit als Recruiting-Argument

Prior1 ist es wichtig, den Mitarbeitenden zu zeigen, dass sie wahrgenommen und ihre Bedürfnisse und Probleme ernst genommen werden. Die Maßnahmen für die mentale Gesundheit tragen aber nicht nur zum Wohlbefinden der bestehenden Belegschaft bei. Sie verhindern auch Krankenstände und sind ein Recruiting-Argument. Wie bereits der AXA Mental Health Report 2020 [5] zeigte, beschäftigen sich besonders junge Erwachsene seit der Krise vermehrt mit der eigenen psychischen Gesundheit. Gleichzeitig wissen nur etwa 50 Prozent der unter 34-Jährigen in Deutschland, wo sie psychologische Hilfe bekommen können [6]. Angebote wie das von Prior1 tragen dazu bei, dass Bewerberinnen und Bewerber sich für das Unternehmen entscheiden. Denn Bewerber informieren sich mittlerweile sehr genau über das Unternehmen. Sie suchen sinnstiftende Arbeit in einer wertschätzenden Umgebung.

 

Kurse zu zielführender, wertschätzender Kommunikation

Eine häufige Ursache für die Entstehung von psychischen Belastungen in Unternehmen ist unachtsame Kommunikation, bei der – wenn auch zumeist unabsichtlich – die Bedürfnisse und Gefühle der anderen Person nicht berücksichtigt werden. Das kann zu Missverständnissen, Konflikten und Frustrationen führen. Prior1 ist dezentral organisiert, was den direkten Austausch der Mitarbeitenden untereinander erschwert. Daher bietet Prior1 jetzt auch Kurse für interessierte Mitarbeitende, in denen sie sich der Thematik der wertschätzenden Kommunikation besser bewusstwerden und achtsame Kommunikation trainieren können. So können idealerweise Konflikte und weiterführende Probleme bzw. psychische Erkrankungen vermieden werden.

Anja Zschäck, Teamkoordination Marketing und Personal bei Prior1

 

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[1] https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2429400.html#/
[2] https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2022-2533048.html#/
[3] https://www.totalrewards.de/bav-benefits/vorsorge-gesundheit/psychische-gesundheit-belastung-steigt-doch-unternehmen-unterstuetzen-zu-wenig-70001/
[4] World Health Organization (WHO), Regionalbüro für Europa, Psychische Gesundheit – Faktenblatt, 2019, abrufbar unter https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/404853/MNH_FactSheet_DE.pdf .
[5] https://www.axa.de/presse/mediathek/studien-und-forschung/mental-health-report-2020
[6] https://www.axa.de/site/axa-de/get/documents_E-2126364820/axade/medien/medien/studien-und-forschung/mental%20health%20report/axa-studie-mental-health-report-high-2022.pdf