Herausforderungen an der Stromzapfsäule – Halten unsere Stromnetze Millionen Elektrofahrzeuge aus?

Autos mit Verbrennermotor stehen vor dem Aus, die EU-Umweltminister haben sich Ende Juni darauf geeinigt, dass ab 2035 in der Europäischen Union nur noch klimaneutrale Neuwagen verkauft werden dürfen. Aber die Umstellung wird nicht einfach sein, denn der Erfolg steht und fällt vor allem mit der Verfügbarkeit des »Treibstoffs« Strom. Das Hitachi-Projekt Optimise Prime untersucht mit Datenanalysen die Auswirkungen kommerzieller Elektrofahrzeuge auf das Stromverteilungsnetz.

Eine Analyse des Verbands der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) hat gezeigt, dass die Hälfte aller Ladepunkte für Elektroautos in der EU auf nur zwei Länder konzentriert sind – die Niederlande (90.000 Ladepunkte) und Deutschland (60.000). Es gibt noch zu viele inkompatible Adapter, zu komplizierte und oft zu teure Abrechnungsmodelle sowie häufig defekte Ladestationen. Oft weiß man als Fahrer auch nicht, wie lange der Ladevorgang wirklich dauern wird und steht bisweilen in Staus an den Ladesäulen, weil alle zur selben Zeit ihr Auto laden wollen.

Andere Probleme sind die Auswirkungen auf das Stromnetz und die Kosten in der Hauptnutzungszeit. Was passiert, wenn jeder E-Auto-Besitzer um 18 Uhr nach Hause kommt und sein Ladegerät zu Hause ansteckt, um sich für den nächsten Tag vorzubereiten? Was passiert mit einem Flottennutzer wie einem Metrobus, der morgens und abends für die Spitzenlast bereit sein muss, oder einem Uber-Fahrer, der nie weiß, wann die nächste Spitzenlast anfällt? Wo werden Ladestationen benötigt und hält unser Stromnetz den Belastungen stand? Um diese Fragen zu beantworten sind Daten erforderlich.

Mit »Optimise Prime« Stromfressern auf der Spur. Da Großbritannien noch früher als die EU, nämlich 2030, alle Verbrenner als Neuwagen verbannen will, wurde 2019 das Gemeinschaftsprojekt Optimise Prime angestoßen. Mit Unterstützung der britischen Energieregulierungsbehörde Ofgem arbeiten Hitachi Vantara, UK Power Networks, Royal Mail, Centrica, Uber, Nuvona und Scottish and Southern Electricity Networks zusammen, um Ladedaten kommerziell genutzter E-Fahrzeuge zu sammeln und zu analysieren.

Als weltweit größter kommerzieller Test für Elektrofahrzeuge nutzt Optimise Prime IoT-Technologie, um Ladevorgänge von rund 3.000 Fahrzeugen zu verfolgen. Ziel ist es, potenzielle Probleme im Zusammenhang mit der großflächigen Einführung von E-Fahrzeugen zu identifizieren und Lösungen für das intelligente Aufladen in Depots und zu Hause zu entwickeln. Hitachi Vantara hat die IoT-Plattform für das Projekt entwickelt und betreibt sie. Darüber hinaus koordiniert Hitachi auch die Arbeitsabläufe in dem Projekt und entwickelt Lösungen zur Optimierung des intelligenten Aufladens von E-Fahrzeugflotten in Depots, so dass mehr Fahrzeuge mit der vorhandenen Netzkapazität aufgeladen werden können.

Das Ergebnis wird der weltweit größte Datensatz für kommerzielle Elektrofahrzeuge sein, der den Projektpartnern helfen wird, praktische Wege zur Überwindung der Vorlaufkosten zu finden, die derzeit eine weit verbreitete Einführung von E-Fahrzeugen verhindern, und gleichzeitig die Kosten für die Umstellung für die Zahler der Stromrechnung zu senken. Der Datensatz wird öffentlich zugänglich sein und es Stadtplanern, Stromnetzingenieuren und natürlich den Fahrzeugnutzern ermöglichen, sich auf Elektrofahrzeuge in großer Zahl besser vorzubereiten.

Die praktischen Versuche mit Optimise Prime begannen am 1. Juli 2021. Seitdem wurden Fahr- und Ladedaten von Tausenden kommerziellen E-Fahrzeugen in ganz Großbritannien gesammelt, um ein klares Bild von den potenziellen Auswirkungen des Wachstums der E-Fahrzeuge auf die Verteilungsnetze zu erhalten. Im Fokus von Optimise Prime stehen drei Versuchsreihen:

  • Return-to-Home-Charging, basierend auf der Flotte von British Gas
  • Depot-Charging, basierend auf den Zustellfahrzeugen der Royal Mail sowie
  • Mixed-Charging (Aufladen von E-Fahrzeugen an verschiedenen Orten), basierend auf der Analyse der Fahrdaten von Ubers elektrischen Mietfahrzeugen (PHVs – Private Hire Vehicles) in London.

Erkenntnisse aus den gesammelten Daten. In den Return-to-Home-Versuchen wurde festgestellt, dass die Nachfragespitze für das Laden von Fahrzeugen, die nach Hause zurückkehren, zwischen 17:00 und 19:00 Uhr auftritt, was mit der generellen Nachfragespitze im Verteilungsnetz zusammenfällt. Es wurde jedoch modelliert, dass intelligente Ladevorgänge die Nachfragespitzen von Fahrzeugen, die zu Hause abgestellt werden, erheblich reduzieren können, sofern die Last über einen längeren Zeitraum ausgeglichen und nicht nur auf später am Tag verschoben wird.

Im Rahmen von Depot-Charging wurden verschiedene Szenarien modelliert, die zeigen, dass intelligentes Laden zu einer Verringerung der Spitzennachfrage in den Netzen sowie zu Energie- und Anschlusskosteneinsparungen für den Depotbetreiber führen sollte. Erste Versuche und Modellierungen haben gezeigt, dass es möglich sein sollte, das Laden von Elektrofahrzeugen so zu steuern, dass die Standorte innerhalb eines vereinbarten Profils bleiben.

Bei Mixed-Charging konnten anhand der Daten von Uber-Fahrten die Ladevorgänge und die Nachfrage im Großraum London modelliert werden. Der Ladebedarf dieser Fahrzeuge erreicht dem Modell zufolge am Abend seinen Höhepunkt, wenn einige Fahrer nach Hause kommen und andere auftanken müssen. Es gibt ein klares Muster bei der Art der Fahrten und dem Ladebedarf innerhalb eines Tages und über mehrere Tage hinweg. Im Projekt wurde eine beträchtliche Anzahl von Orten im Großraum London identifiziert, an denen die Fahrer weit fahren müssen, wenn sie während ihrer Schicht aufladen müssen, da die Verfügbarkeit von Schnellladestationen begrenzt ist – und an den beliebtesten Orten übersteigt die Nachfrage die Kapazität der Ladestationen zum Teil deutlich.

IoT und Data-Analytics machen den Unterschied. In einem groß angelegten Feldversuch wird Optimise Prime die Auswirkungen der kommerziellen Nutzung von E-Fahrzeugen auf das Verteilungsnetz analysieren. Dabei werden Tausende von Elektrofahrzeugen überwacht, um zu verstehen, wann, wo und wie sie laden. Die Daten der Fahrzeuge werden mit den Netzdaten in Hitachis Kernplattform kombiniert, wo moderne Datenanalyseverfahren dabei helfen, die Auswirkungen auf das Stromnetz jetzt und in Zukunft zu quantifizieren.

Sobald die potenziellen Auswirkungen bekannt sind, können innovative Strategien zu deren Abmilderung entwickelt und erprobt werden. Eine Kombination aus Simulationen und Praxistests wird es ermöglichen, die optimale Kombination aus intelligenten Lösungen und Infrastruktur zu implementieren, mit der sowohl Flotten- als auch Netzbetreiber den Übergang zu E-Fahrzeugen bewältigen.

Optimise Prime versucht vor allem, drei Kernfragen zu beantworten, die sich auf die Elektrifizierung von kommerziellen Flotten und PHVs beziehen:

  • Wie lassen sich die Auswirkungen kommerzieller E-Fahrzeuge auf das Netz quantifizieren und minimieren?
  • Welchen Wert haben intelligente Lösungen für E-Flotten und Autovermietern?
  • Welche Infrastruktur (Netz, Ladestationen und IT) wird benötigt, um den Übergang zum Elektroauto zu ermöglichen?

Während des gesamten Projekts ist sowohl die Infrastruktur der Ladestationen als auch die durchschnittliche Reichweite der Fahrzeuge in der »Mixed Charging Studie« kontinuierlich gewachsen. Diese beiden Faktoren müssen bei der Modellierung zukünftiger Lademuster berücksichtigt werden. Für die kommenden Studien wurde daher die Testgruppe auf 4.000 Fahrzeuge erweitert und um ein Jahr verlängert. Eines zeigt sich allerdings bereits nach einem Jahr – IoT und Data Analytics sind die optimale Basis, um neue Techniken im Straßenverkehr zu analysieren und zu optimieren.

 

Was genau die Studien bisher alles ans Tageslicht gefördert haben, steht Interessierten als kostenlose Reports beziehungsweise Präsentationen auf der Projekt-Webseite zur Verfügung:

https://www.optimise-prime.com

 

 


Bastiaan van Amstel,
EMEA Corporate & Sustainability
Communications Manager,
Hitachi Vantara

 

 

 

Illustration: © Marina Akinina/shutterstock.com