Raus aus der Servicewüste bei Callcentern: der Nutzen des Nearshoring

Was das Mindset mit der Qualität von Callcentern zu tun hat.

Illustration: Absmeier, Strikers

Es scheint, als hätte der Fachkräftemangel Deutschland fest im Griff. Kaum eine Branche, die nicht darunter leidet. Sehr schwierig ist die Situation auch in den Callcentern. Der Mangel an Attraktivität, kurze Beschäftigungszeiten und eine hohe Fluktuation der Agenten sind einige der Faktoren, die sich negativ auf die Servicequalität auswirken. Gleichzeitig möchten Unternehmen ihre Kunden aber bestmöglich umsorgt wissen. Ein hervorragendes Callcenter-Erlebnis bieten – das ist heute Pflicht. Die Realität sieht allerdings anders aus. Die Erfahrung zeigt, dass die Qualität der Callcenter-Landschaft in Deutschland im Schnitt allenfalls ein mangelhaft verdient. Dabei gäbe es Alternativen, die derzeit noch viel zu wenig Beachtung finden. Ein naheliegender Ausweg heißt: Nearshoring. Auf Callcenter-Dienstleistungen von Anbietern in Osteuropa oder in Kaukasien zuzugreifen, löst viele Probleme, die Unternehmen mit deutschen Callcenter-Services haben.

 

Schon wegen disruptiver Marktentwicklungen und neuer Wettbewerber sind Unternehmen heute darauf angewiesen, einen guten und persönlichen Service sicherzustellen – um die Abwanderung von Kunden zu verhindern, die Kundenloyalität zu steigern und die Wahrscheinlichkeit von Weiterempfehlungen zu erhöhen. Aber deswegen inhouse ein eigenes Callcenter aufbauen? Es ist schon die schiere Zahl an einfachen Verwaltungsaufgaben, die die eigenen Mitarbeiter oft überlastet. Da geht es beispielsweise um Bestellannahmen, Beschwerdemanagement, Umbuchungen, Paketnachverfolgung, Rücksendungen, Retourenvermeidung, Kontenklärung, Mahnwesen, Produktberatung, Kundenberatung oder technische Beratungsleistungen – und all dies über verschiedenste Kanäle, per Telefon, E-Mail oder im Chat. In der Kundenkommunikation zu 100 Prozent auf Digitalisierung und Technik zu setzen, kann gegebenenfalls eine Option sein, ist aber meist mit Einschränkungen bei der Qualität der Kundenbetreuung verbunden.

 

Qualität und Flexibilität

Genauso kann sich auch ein Outsourcing von Callcenter-Services als problematisch erweisen. Viele Mitarbeiter von Callcentern in Deutschland sind nicht sonderlich motiviert. Sofern es sich um Ferien- und Studentenjobs handelt, sind Verweildauer und Motivation der Agenten ohnehin eingeschränkt. Anderen wiederum fehlt der Bildungshintergrund, der für ihre Tätigkeit wünschenswert wäre. Gleichzeitig bedeuten höhere Mindestlöhne in der EU, dass Callcenter-Services für Unternehmen grundsätzlich teurer werden als früher. Zudem brauchen die eigenen Mitarbeiter vielleicht nur punktuell und saisonal Unterstützung durch einen externen Callcenter-Dienstleister, etwa zu typischen Nachfrage-Peaks oder im Weihnachtsgeschäft. Letztlich geht es bei der strategischen Frage, wie ein Unternehmen seinen Callcenter-Bedarf angemessen abbildet, immer um drei Ziele: Qualität, Kostenreduktion und Flexibilität.

 

Nearshoring als strategische Lösung

Für viele Unternehmen ist die im Grunde naheliegende Antwort auf diese Herausforderungen immer noch ein Tabu: Nearshoring. Das Outsourcen von Callcenter-Services an Anbieter in Osteuropa oder Kaukasien ist noch von zahlreichen Mythen und grundlosen Vorbehalten umstellt. So stehen allzu oft Sorgen etwa um Ausbeutung, Sprachqualität, Datenschutz oder Rechtssicherheit einer Nearshoring-Entscheidung im Weg. Dabei gibt es gerade in diesen Regionen Callcenter-Anbieter, die ausdrücklich deutschen Rechtsstandards entsprechen und sogar über eine TÜV-Zertifizierung verfügen. Ein besonders wichtiger Vorteil – neben den obligatorischen Sprachkenntnissen – ist die hohe Motivation der dortigen Mitarbeiter. Denn an vielen dieser Nearshoring-Standorten schätzen die Callcenter-Agenten ihren Job als attraktive, weil überdurchschnittlich gut bezahlte Arbeit. Die Fluktuation in diesen Callcentern ist gering und das Engagement entsprechend hoch. Callcenter-Agenten in Osteuropa und Kaukasien bringen aber nicht nur die erforderliche Motivation mit. Oft sind sie auch sehr gut ausgebildet. Der Akademikeranteil an diesen Nearshoring-Standorten ist hoch.

 

Das bessere Mindset

Grundsätzlich unterscheidet sich die Einstellung, das Mindset der Agenten deutlich von dem in deutschen Callcentern. Diese Mitarbeiter in Callcentern außerhalb der EU sind freundlich, engagiert und den Kunden zugewandt. Kundenorientierung ist für sie keine hohle Phrase, sondern Alltag. Für diese höhere Motivation gibt es Gründe. Man muss sehen, dass sich in Nearshoring-Locations wie etwa Nordmazedonien, Georgien oder Armenien eine Callcenter-Tätigkeit sehr positiv von den meisten anderen Erwerbsmöglichkeiten unterscheidet, die es in diesen Ländern gibt. So genießen die Betreiber der dortigen Callcenter den Ruf, besonders gute Arbeitgeber zu sein – die Jobs sind begehrt. Vorstellungen von Ausbeutung oder gar einem modernem Sklavendasein sind für die osteuropäischen und kaukasischen Callcenter völlig verfehlt. Im Gegenteil: Die Mitarbeiter schätzen das motivierende Setting, das ihnen dort geboten wird – mit allem, was man sich in Sachen Familienfreundlichkeit, Urlaub, Krankenversorgung, Arbeitssituation und Raumangebot auch in westeuropäischen Callcentern wünscht.

 

Schnelles Onboarding

All dies trägt zur positiven Grundhaltung der Beschäftigten bei. Und diese Motivation ist wiederum ein wesentlicher Faktor für die hohe Qualität der dortigen Callcenter-Dienstleistungen. Das Engagement der Mitarbeiter sorgt zusammen mit dem oft hohen Bildungsgrad auch dafür, dass sich die Zeit für Schulungen und das Onboarding neuer Unternehmenskunden deutlich reduziert. Wenn deutsche Firmen die Zusammenarbeit mit den Callcentern in dieser Region oft als hervorragend empfinden, hat dies auch damit zu tun, dass die dortigen Callcenter meist inhabergeführt sind – mit flachen Hierarchien und entsprechend kurzen Reaktionszeiten. Im Vergleich zu einem Callcenter etwa in Indien ist zudem die geographische Entfernung noch überschaubar. Auch dies vereinfacht die Zusammenarbeit: Nearshoring-Standorte in Osteuropa und Kaukasien sind innerhalb von vier Flugstunden erreichbar.

 

Die Verbindung von Flexibilität und Qualität

All dies sorgt dafür, dass für deutsche Unternehmen Callcenter-Ressourcen in dieser Region schnell verfügbar sein können – genau dann, wenn sie benötigt werden. Die kurzen Entscheidungswege, die verlässliche Einarbeitungsmethodik und einschlägiges Branchen-Know-how von Handel bis E-Commerce tun ein Übriges, um Auftraggebern eine Qualität und Flexibilität zu sichern, wie sie viele deutsche Entscheider bei Callcenter-Services außerhalb der EU vermutlich nicht erwarten würden. Bei allen bedeutenden Vorzügen, die eine Nearshoring-Strategie hat: Für deutsche Unternehmen ist es wichtig, bei der Auswahl ihres Dienstleisters immer die Rechtslage im Blick zu haben. So empfiehlt es sich etwa in Sachen Datensicherheit, die Einhaltung deutscher Standards vertraglich zu fixieren.

 

Fazit: Die bessere Option

Eine geeignete Callcenter-Strategie zu finden, ist für deutsche Unternehmen eine Herausforderung. Mitunter erweisen sich Dienstleistungen, die außerhalb der EU erbracht werden, als ideal. In vielen Fällen gibt Nearshoring die ebenso naheliegende wie überraschende Antwort auf den konkreten Bedarf eines Unternehmens. In etlichen Callcentern in Osteuropa und Kaukasien stimmen die Rahmenbedingungen. Dort gibt es das Mindset, die Motivation, die Qualität und die Sicherheit, die kundenorientierte Unternehmen von ihren Callcenter-Dienstleistern zu Recht erwarten. Es ist höchste Zeit, Nearshoring nicht mehr als Tabu zu betrachten, sondern als potenzielle Lösung.

 

Christoph Ebner, Geschäftsführer der CMX Solutions GmbH (www. cmx-solutions.com/de/)

Christoph Ebner ist seit 2012 als Managing Director bei der CMX Solutions GmbH (https://cmx-solutions.com) in Berlin tätig. Das Outsourcing-Kundendienstunternehmen ist in drei Ländern in Osteuropa und Kaukasien aktiv. Ebner verfügt über einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg.