Interview mit Prof. Dr. Peter Gentsch – Von Big Data, Smart Data und Social CRM

Interview mit Prof. Dr. Peter Gentsch

 

Was online geschieht, passiert vor den Augen von Millionen. Wie man den Internetdschungel zum Wohl seines Unternehmens und seiner Kunden auswerten und nutzen kann, zeigt Prof. Dr. Peter Gentsch, Gründer und Teilhaber der Berliner BIG Social Media GmbH, die inzwischen mehrheitlich zur USU-Gruppe gehört.

 

Herr Professor Gentsch, das BIG im Unternehmensnamen bedeutet ja Business Intelligence Group. Wie ist nun Social Media dazugekommen?

Wir gründeten uns 2002 als BI-Unternehmen. BI versucht ja, in großen Datenbeständen interessante Muster – Insights – zu finden. Einer unserer Kunden war IKEA, die wollten über Kundenkarten jede Menge Daten sammeln. Die Aufgabe lautete: Wie kann man mit intelligenten Algorithmen Insights finden? Wie kann man mehr über den Kunden und über seine Präferenzen und das Kaufverhalten verstehen, um Kampagnen oder auch die IKEA-Karte zu optimieren?

Als logische Erweiterung kamen später immer mehr die digitalen Medien ins Spiel, man konnte seine Kundenkarte nun auch online oder auf Facebook nutzen. Da haben wir nichts anderes gemacht als unsere Dienstleistung in die Social Media, in die digitalen Medien hinein zu erweitern. So wurde BIG zur BIG Social Media umfirmiert um zu signalisieren, dass wir uns weitgehend auf Daten aus den digitalen sozialen Medien spezialisiert haben.

 

Und dafür haben Sie auch eigene, spezielle Werkzeuge entwickelt?

BI-Tools zum Analysieren von Daten gab es ja bereits in den 1960er und 70er Jahren. In der klassischen BI-Welt hatten wir nur strukturierte Daten gehabt. Der Kunde X hat das und jenes gekauft. Die sozialen Medien haben dagegen extrem unstrukturierte Daten. Da äußern sich Kunden auf Twitter oder auf Facebook. Da braucht man Instrumente, die aus den unstrukturierten strukturierte Daten machen, damit man dann wieder mit den klassischen BI-Werkzeugen arbeiten kann. Da haben wir sehr spezifische Tools entwickelt, um soziale digitale Daten in analysefähige Datenbestände umzuwandeln.

 

Sie sagen, »Social Media fügt allen Geschäftsbereichen eine Informationsdimension hinzu«. Können Sie das einmal veranschaulichen?

Nun, das lässt sich am Beispiel Kundendaten festmachen. Meistens weiß man vom Kunden: was hat er gekauft und wo wohnt er. Aber auf einmal erfahre ich viel, viel mehr über ihn, auch psychografische Daten. Wenn es mir gelingt, zum Beispiel mit Facebook-Daten zu mappen, dann habe ich vielleicht auch Lifestyle-Informationen. Welche Hobbies hat er? Was macht er gerne? Wie ist sein sozialer Kontext? Welche Freunde hat er?

Das heißt für das CRM: Im Marketing bekomme ich jetzt viel weichere Informationen. Es gibt ja diese schöne Metapher vom Eisberg. Die harten Daten habe ich über der Wasserlinie: Wie heißt der Kunde, was hat er gekauft und wo wohnt er? Das ist aber nicht wirklich spannend. Unter Wasser steigt die Spannung: Wie tickt er? Was interessiert ihn? Welche Präferenzen und welche Ängste hat er? Diese Informationen sind wichtig, um Kunden zu verstehen.

Ein anderes Beispiel: Wett-bewerbs-informationen. Ich kann in den sozialen Medien viel über meine Wettbewerber erfahren. Das Thema »Wettbewerbsanalyse« bekommt eine ganz andere Dimension, weil ich in Echtzeit erfahre, was mein Wettbewerber macht. Also für alle Bereiche einer unternehmerischen Wertschöpfung können Social Media eine neue Informationsdimension hinzufügen, und zwar sehr unverfälscht, sehr schnell und mit einer Qualität, die es vorher so nicht gab.

 

Welche Unternehmen gehören zu Ihrer Zielgruppe?

Prinzipiell sind unsere Werkzeuge für jedes Unternehmen sinnvoll. Vor allem für die B2C-Firmen. Da gibt es gewaltige Datenmengen im Social-Media–Bereich, weil sich Konsumenten in den sozialen Medien viel leichter publik machen, wo sich viel beschwert wird, wo man Medien als virtuellen Pranger benutzt und Unternehmen unter Druck setzen will. Telekommunikation, Finanzdienstleistung, Versicherung, das sind solche Bereiche. Ebenso dort, wo ich Marken habe, die vielleicht emotionalisieren. Über Coke oder Nike wird mehr gesprochen, als über einen Zementhersteller. Aber wir haben auch eine Wacker Chemie oder den Heizungsbauer Viessmann als Kunden.

 

Viessmann kennen wohl die meisten. Die Relevanz leuchtet mir aber nicht gleich ein. Viessmann und Facebook?

Social Media ist ja nicht immer gleich Facebook. Es gibt ein stark frequentiertes Forum, das heißt HeiztechnikDialog. Da äußern sich Experten und Konsumenten holen sich Rat. Hier kommen wir zu dem Punkt »Glaubwürdigkeit der sozialen Medien«. Ich glaube der Community mehr als der Broschüre des Herstellers. Und wenn ich mir ein Häusle baue und überlege, welchen Heizkessel ich da reinstelle, dann will ich wissen: Wie sind andere damit umgegangen? Wir haben auf Face-book ja oft so ein bisschen Gossip. Bei HeiztechnikDialog habe ich eine extrem hochwertige Diskussion, die einen Impact auf den Kaufentscheidungsprozess hat.

 

Okay, jetzt wissen wir, wie relevant der Auftritt in den sozialen Medien – sei es Facebook, Twitter oder ein Spezialforum – sein kann. Aber wie sieht jetzt Ihre konkrete Arbeit dabei aus?

Da gibt es einmal unsere Monitoring- und Analyselösung mit den Tools BIG Screen und BIG Insights. Außerdem haben wir noch das Social-Media-Interaktionstool BIG Connect entwickelt. BIG Screen wertet aus, wie über bestimmte Themen, Marken oder Wettbewerber gesprochen wird. Dort werden zum Beispiel verschiedene Heizungen gemonitort: Wie viel wird über eine bestimmte Heizung gesprochen? Positiv oder negativ? Dazu gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, welche Wörter häufig benutzt werden, etwa »defekt«, »Verschleiß« oder »Tempe-raturabfall«. Weiter gibt es ein monatliches Reporting, wie das Unternehmen dasteht. Das reicht vom Sponsoring – Viessmann etwa sponsert sehr viel im Wintersport – bis zum Service. Also: Wie wird über den Service gesprochen? Wird der Service als kompetent wahrgenommen?

 

Was machen jetzt Ihre Werkzeuge genau?

Wir haben zwei Analyseschritte. Einmal die sogenannte Social-Media-Monitoring-Lösung. Das ist Realtime–Analytics mit der Klassifizierung eines Beitrags in Echtzeit. Da werden Millionen Beiträge etwa nach den Keywords Viessmann und Vitodens, einem Produktnamen, durchsucht. Daraus können Sie dann Beitragskurven generieren: Wann wurde besonders viel gesprochen, wann besonders wenig? Automatisch wird definiert, auf welchen Webseiten gesprochen wird und wer die wichtigsten Autoren sind.

Wenn Sie jetzt die Hauptkritikpunkte definieren wollen und wie relevant die Kritik ist, ob sie überhaupt ernst zu nehmen ist, brauchen Sie einen Analysten. Diesen Service bieten wir als Reporting an. Wir haben eine Redaktion, die in Form eines Managements auswertet, was letzten Monat besonders wichtig war, Handlungsempfehlungen gibt und so weiter. In diesem zweiten Schritt werden mit den Methoden des Online Analytical Processing (OLAP) die gesammelten Daten und Metadaten von einem Team analysiert. Da kommen die aus der Datenanalyse bekannten OLAP-Cubes zum Einsatz.

 

Zu Ihren Kunden gehören neben Viessmann auch Telefonica, Dell, Microsoft, BMW und Bosch. Für welche Unternehmensgröße ist ein Social-Media-Monitoring denn überhaupt interessant?

Da gibt es keine bestimmte Größe. Wenn über ein kleines Unternehmen vielleicht nur 50 Beiträge im Monat online erscheinen, braucht man natürlich keine Analysetools. Aber es kommt auf die Fragestellung an. Was für ein Unternehmen wirklich spannend und wichtig sein kann, sind zum Beispiel Produktentwicklungen oder Wettbewerberbeobachtungen. Es gibt ja Wettbewerber, die sind größer als ich und über die wird positiv/negativ gesprochen und daran kann ich mich orientieren. Das heißt, ich kann das Monitoring als Markt- und Trendforschung für meine eigene Entwicklung nutzen. Darum bieten wir unseren Kunden als dritte Komponente ja auch eine kompetente Beratung an.

 

Was ist Gegenstand dieser Beratung? 

Dabei geht es nicht nur um Möglichkeiten und Aufgabenstellungen. Natürlich müssen Sie in den sozialen Medien anders kommunizieren. Darin trainieren wir die Leute. Ein Callcenter-Agent wollte einmal eine Antwort bei Twitter mit »Sehr geehrter Herr« anfangen. 140 Zeichen sind aber schnell weg. Da muss man anders kommunizieren. Die Reaktionszeit ist ebenso wichtig: Ich kann auf Twitter oder Facebook nicht drei Tage auf Antwort warten. Die Frage ist also, wie interagiere ich mit meiner Gruppe.

Das was ich im Callcenter mache, nämlich antworten, wenn jemand anruft oder eine E-Mail schickt, das muss ich jetzt zunehmend auf Facebook und Twitter tun. Wenn Sie also heute eine Frage auf Facebook an Viessmann haben, dann erkennt unser Monitoring diese Frage und leitet sie an den Callcenter-Agent weiter. Der antwortet dann ohne Medienbruch aus demselben System heraus. Aber dabei braucht man auch ein Gefühl für die Volumina. Auf den Facebook-Seiten von O2 oder Vodafone haben wir es täglich mit tausenden von Beiträgen zu tun und müssen unsere Kunden in die Lage versetzen, nicht erst nach drei Tagen, sondern nach wenigen Stunden antworten zu können.

 

Wir brauchen nicht  Big Data, sondern  Smart Data.Gibt es schon klare Trends oder Visionen?

Ein Trend, den wir mit unserer Technologie unterstützen, ist das Social CRM, das verstärkte Verzahnen der Insel Social Media mit Geschäftsprozessen. Wir entwickeln gerade eine SAP-Integration, bei der unsere Tools in die Businessinfrastruktur eines Unternehmens eingegliedert werden. Ruft heute jemand ein Callcenter an, lässt die Rufnummernerkennung ein Fenster aufpoppen: Was hat er gekauft? Wie war die bisherige Kommunikation? Künftig sollte ich aber auch das Facebook-Profil meines Kunden kennen. Ich brauche eine 360-Grad-Brille für den Kunden, um ihm noch besser helfen zu können.

Eine andere Geschichte ist der viel strapazierte Begriff Big Data. Ich sage: Wir brauchen nicht Big Data, sondern Smart Data. Darunter verstehe ich Daten, die mir wirklich helfen, Entscheidungen zu optimieren. Ich glaube, das ist jetzt aber weniger ein technologischer, als eher ein konzeptioneller Schritt.

 

Worin besteht der Unterschied?

Wir haben im Moment in den Unternehmen den Trend: sammeln, sammeln, sammeln. Wir messen überall, aber es fehlt das Analysekonzept dahinter. Und dann wundert man sich, dass Big Data eine Täuschung ist. Es geht aber nicht darum, blind Daten zu sammeln und irgendwann kommen dann die Nuggets raus. Man muss vielmehr überlegen, welche Daten sind relevant? Und wie verdichte ich nun die Big Data? Smart Data sind für mich die Daten, die entscheidungsrelevant sind. Ich muss nicht alle Daten aus Face–book oder Google+ sammeln, sondern die Daten, die für mich relevant sind. Entscheidungsrelevante Daten informieren mich über die Wünsche meiner Zielgruppe, sie zeigen mir, wie und wo ich mein Produkt verbessern kann oder lassen mich frühzeitig eine Krise erkennen. Die Kunst ist also, Analysekonzepte zu haben, um aus Big Data Smart Data zu machen.

 

Was wünschen Sie sich für das Jahr 2014?

Das Social Media Monitoring ist leider bei vielen negativ konnotiert, hat einen Touch von »Big Brother«. Wir müssen aus dieser Schmuddelecke heraus kommen: Die sammeln ja nur Daten, weil sie uns etwas verkaufen wollen. Hier müssen wir mehr kommunizieren, dass der Kunde im »Driver’s Seat« sitzen soll. Dass er die Kontrolle haben muss. Die Menschen haben zu Recht vor Datenmissbrauch Angst, darum brauchen wir Transparenz und einen klaren Datenschutz. Denn eigentlich haben wir es ja mit einer Win-Win-Situation zu tun. Der Kunde profitiert in hohem Maße.

Schließlich sollten die Konsumenten viel stärker die Medien nutzen, um einen besseren Service zu bekommen. Probieren Sie mal, bei der Telekom die Hotline anzurufen. Da werden Sie wahnsinnig. Gehen Sie mal auf Twitter und sehen Sie, wie schnell Ihnen da geholfen wird. Ich verstehe nicht, warum die Kunden nicht viel stärker dieses positive Moment nutzen und merken: he, hier habe ich ja ein ganz anderes Gehör. Ich bekomme eine viel smartere Kommunikation.

 

Herr Professor Gentsch, vielen Dank für das Gespräch.


 

Das Gespräch führte Volker Vorburg

Prof. Gentsch hat den Innovationspreis der Deutschen Marktforschung, den internationalen Digital Communication Award, gewonnen. Zudem verantwortet er den exklusiven Social Media Excellence-Circle zu dem Unternehmen wie Bosch, Coca-Cola, Daimler, Deutsche Post, Lufthansa, Microsoft, Telekom, Otto Group und O2 gehören.

 

 

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