Berufseinsteiger und Geringqualifizierte haben höheres Risiko der Scheinselbstständigkeit

Berufseinsteiger und Geringqualifizierte befinden sich häufiger in einem scheinselbstständigen Vertragsverhältnis als andere Erwerbstätige. Das geht aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor [1].

Erwerbstätige unter 25 Jahren haben ein sechs Prozent höheres Risiko, scheinselbstständig zu sein, als eine Vergleichsgruppe von 35- bis 44-Jährigen. Das Fehlen eines beruflichen Abschlusses erhöht das Risiko einer scheinselbstständigen Beschäftigung um drei Prozent. Bei Personen, die zuvor arbeitslos waren, steigt mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit das Risiko einer scheinselbstständigen Beschäftigung um etwa ein Prozent je Jahr der Arbeitslosigkeit. Personen mit Migrationshintergrund weisen ein zwei Prozent höheres Risiko auf, scheinselbstständig zu sein, als Personen ohne Migrationshintergrund. Auch Frauen haben im Vergleich zu Männern ein zwei Prozent höheres Risiko, eine scheinselbstständige Erwerbstätigkeit auszuüben.

»Erwerbstätige mit ungünstigeren Arbeitsmarktvoraussetzungen üben mit höherer Wahrscheinlichkeit eine scheinselbstständige Beschäftigung aus als andere Erwerbsgruppen«, schreiben die IAB-Arbeitsmarktforscher Hans Dietrich und Alexander Patzina.

Scheinselbstständig Beschäftigte erzielen durchschnittlich niedrigere Erwerbseinkommen als Personen, die vergleichbare Tätigkeiten entweder als regulär Selbstständige oder in abhängiger Beschäftigung ausüben. Die Einkommensdifferenz beträgt rund 20 Prozent gegenüber abhängig Beschäftigten und 22 Prozent gegenüber Selbstständigen.

Der IAB-Studie zufolge waren im Jahr 2014 rund 235.000 Erwerbstätige im Hauptgewerbe als potenziell scheinselbstständig Beschäftigte einzustufen. Die Einschätzung basiert dabei auf dem sogenannten Bundesarbeitsgericht (BAG)-Modell, das sich an der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte auf Länder- und Bundesebene orientiert.

In einer früheren IAB-Studie wurden bezogen auf das Jahr 1995 rund 170.000 Erwerbstätige als potenziell scheinselbstständig Beschäftigte im Hauptgewerbe eingestuft. »Bei der Bewertung der Befragungsbefunde ist die deutlich gestiegene Zahl der Erwerbstätigen insgesamt sowie insbesondere die steigende Zahl der Solo-Selbstständigen zu berücksichtigen«, so Dietrich und Patzina. Der Zuwachs der Zahl scheinselbstständig Beschäftigter bleibe klar hinter dem Anstieg der Zahl der Solo-Selbstständigen zurück.

Deutlich gesunken ist die Zahl der von den Forschern als potenziell scheinselbstständig eingestuften Nebentätigkeiten. Sie ist von 329.00 im Jahr 1995 auf 158.000 im Jahr 2014 zurückgegangen.

[1] Die Studie ist im Internet abrufbar unter https://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0117.pdf . Sie beruht auf einer telefonischen Befragung von 4.500 Personen, die aus insgesamt 33.000 kontaktierten Personen ausgewählt wurden. 1.500 der 4.500 telefonisch befragten Personen befanden sich in der Grauzone aus abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, die übrigen 3.000 Befragten bildeten die Vergleichsgruppen der Selbstständigen und abhängig Beschäftigten.

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Freelancer richtig und rechtskonform einsetzen

Aufgrund steigender Personalkosten gewinnt der Einsatz von Freelancern für viele Unternehmen an Bedeutung. Dabei ist erhöhte Vorsicht gefragt. Wie Firmen freie Kräfte langfristig engagieren und böse Überraschungen vermeiden.

Immer mehr Unternehmen stöhnen über den Kostenfaktor Personal. Nicht wenige forcieren den Einsatz selbstständiger Kräfte, um den Mindestlohn und Sozialabgaben zu umgehen. Die Rentenversicherer haben auf diese Entwicklung reagiert und prüfen den Status selbstständiger Dienstleister besonders kritisch. Der Einsatz von Freelancern will gut geplant sein, betont die Wirtschaftskanzlei WWS aus Mönchengladbach. Sonst steht schnell der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit im Raum.

Organisation und Ablauf der Zusammenarbeit

Bewerten Prüfer Freelancer als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, hat dies fatale Folgen für die Arbeitgeber. Die ursprünglichen Kosten können leicht um mehr als die Hälfte ansteigen, ganz zu schweigen von Bußgeldern und strafrechtlichen Konsequenzen. Viele Unternehmen wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Schnell erfüllen Freelancer die Merkmale eines versicherungspflichtig Beschäftigten. »Es ist zweitrangig, wie ein Dienst- oder Werkvertrag ausgestaltet ist«, sagt Rebekka De Conno, Rechtsanwältin der WWS. »Maßgeblich sind die tatsächliche Organisation und der Ablauf der Zusammenarbeit.«

Die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung vermuten eine Scheinselbstständigkeit immer dann, wenn Freelancer dauerhaft in den Betriebsablauf eingegliedert sind. Verdächtig ist auch, wenn sie über Ort, Zeit und Art ihrer Tätigkeit nicht frei entscheiden können. Dafür spricht etwa, wenn eine regelmäßige Anwesenheitspflicht besteht und detaillierte Arbeitszeitnachweise erstellt werden. Kritisch ist auch, wenn freie Mitarbeiter die gleichen Arbeiten erbringen wie feste Angestellte oder bei einem Auftraggeber mehr als 80 Prozent des Jahresumsatzes erwirtschaften.

Vorsicht Kostenfalle

Der Einsatz von Scheinselbstständigen kann für Unternehmen eine immense Kostenfalle werden. Firmen müssen bis zu vier Jahre rückwirkend alle Sozialversicherungsbeiträge sowie die Lohnsteuer abführen. Besonders prekär: Der Betrag wird meist sofort und auf einen Schlag fällig. Für alle Nachzahlungen werden zudem saftige Säumniszuschläge von einem Prozent pro Monat erhoben. Wurden die Abgaben erwiesenermaßen vorsätzlich nicht abgeführt, kann das Finanzamt Firmen für die letzten zehn Jahre in Regress nehmen, die Rentenversicherung sogar für die letzten 30 Jahre. In besonders schweren Fällen droht ein Strafverfahren, das eine Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren nach sich ziehen kann. Bei Verstößen gegen das Mindestlohngesetz drohen zudem Bußgelder von bis zu 500.000 Euro.

Schriftlicher Rahmenvertrag

Auch zwischen Unternehmen und Freelancer kann es Ärger geben. Scheinselbstständige können vor dem Arbeitsgericht ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber einklagen. Aus dem vermeintlichen Freelancer wird womöglich ein Angestellter mit Anspruch auf Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz. Unternehmen sind gut beraten, sich im Vorfeld einer Zusammenarbeit mit Selbstständigen rechtlich zu schützen. »Firmen sollten mit Freelancern immer einen schriftlichen Rahmenvertrag abschließen«, rät WWS-Anwältin De Conno. »Zudem ist es wichtig, vor der ersten Beauftragung den sozialversicherungsrechtlichen Status abzuklären. So ist für Rechtssicherheit gesorgt.«

Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung

Wie können Unternehmen den Status von Freelancern prüfen? Einen entsprechenden Antrag können Firmen kostenlos bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) stellen. Das erforderliche Formular steht online unter www.clearingstelle.de bereit. Die DRV teilt daraufhin mit, welche Informationen und Unterlagen sie für die Prüfung benötigt. Die Entscheidung wird den Beteiligten abschließend schriftlich mitgeteilt. Bei Bestätigung des Freelancer-Status gilt: »Firmen sollten die ausgefüllten Antragsformulare und den Bescheid zusammen mit den Vertragsunterlagen aufbewahren«, sagt WWS-Anwältin De Conno. »So lässt sich im konkreten Einzelfall immer nachvollziehen, welche Bedingungen für die Statuseinordnung maßgeblich waren.«

Eine von der DRV bestätigte Selbstständigkeit ist kein dauerhafter Freibrief. »Steigt das Auftragsvolumen, kann schleichend ein Beschäftigungsverhältnis entstehen«, warnt WWS-Expertin De Conno. »Firmen sollten daher die Zusammenarbeit mit Freelancern immer hinterfragen, wenn sich Art und Umfang der Tätigkeit ändern.« Wer auf Nummer sichergehen will, sollte besser fachlichen Rat einholen. So ist gewährleistet, dass der Einsatz von Freelancern keine Stolperfallen birgt.

Quelle: WWS Wirtz, Walter, Schmitz GmbH, www.wws-gruppe.de


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