Entspannung und Regeneration messbar machen

Illustration: Absmeier Geralt

Teile unserer Gesellschaft werden immer fitness- und gesundheitsorientierter. Auf beruflicher Ebene sieht man immer häufiger eine Vita oder ein Social-Media-Profil in dem erwähnt wird, dass die Bewerber oder Manager in ihrer Freizeit auch (Halb-)Marathons laufen, Peloton-süchtig sind oder regelmäßig SUP-Yoga machen. Golfen und Segeln sind nicht mehr »in«, um sich als dynamische und resiliente Führungskraft zu positionieren. Keine Frage, Sport ist wichtig als Gegengewicht zur Arbeit. Bei zunehmendem Stress und Überarbeitung, bis hin zu Burn-out-Syndromen, sind Regenerationsphasen allerdings mindestens genauso wichtig. Aber wie lässt sich Regeneration quantifizieren? Sportmediziner Dr. Lutz Graumann und Medizintechnikexperte Antti Näykki von Bittium erläutern, wie sich Regeneration dank einer neuen Generation medizintechnischer Geräte und Software messbar machen lässt.

 

Besonders bei Jobs, die überwiegend am Schreibtisch oder im Konferenzraum stattfinden, ist es wichtig, ein Gegengewicht zu schaffen. Dieses sollte aus Sicht medizinischer Experten sowohl Bewegungs- als auch Entspannungsphasen beinhalten, um Stress abzubauen und körperlich sowie geistig gesund und fit zu bleiben. Zu den wichtigen Regenerationsprozessen gehören das Wiederauffüllen der Energiespeicher (Glykogen) und der verlorenen Mineralstoffe, die pH-Wert- und Entzündungsregulation, die Ausschüttung von Sexual- und Wachstumshormonen, die mentale Erholung sowie motorische und kognitive Lerneffekte. Für den Part »Bewegung und Sport« gibt es eine sehr aktive Forschung mit Erkenntnissen dazu, wie Training noch besser dosiert, gesteuert und individualisiert werden kann. Die Variable »Regeneration« ist dagegen nach wie vor eine »Unbekannte«, mit nur wenigen gut erforschten Konstanten. Und dies, obwohl seit 2012 eine Studie [1] unter Leitung des Bundesinstituts für Sportwissenschaften zu diesem Thema läuft.

Dabei ist das Thema laut Medizinern wie Dr. Graumann gerade heute so aktuell wie noch nie: »Die Zeit im Home-Office und die Unsicherheiten durch die Covid-Pandemie haben zusätzliche Stressfaktoren ausgelöst. Die Kombination mehrerer Faktoren, wie noch weniger Bewegung, weniger Trennung zwischen Arbeit und Freizeit und somit das Fehlen klar definierter Ruhephasen, psychische Belastungen durch Isolation, oder die Doppelbelastung Arbeit und Kinderbetreuung sowie unklare Zukunftsperspektiven haben unter anderem einen starken Anstieg von Schlafstörungen verursacht.«

Unterstützt von zunehmend populären Ansätzen wie »Mindfullness« (Achtsamkeit), raten viele Mediziner sowie Sport- oder Management-Trainer ihren Patienten und Klienten daher genügend Schlaf und Entspannungstechniken in ihren Tagesablauf einzubauen. Das Problem war jedoch bisher, dass sich kaum »messen« ließ, ob Entspannungsmethoden auch zum Erfolg führen. Wie lässt sich beurteilen, ob die Meditations- oder Yoga-Übungen bei einer bestimmten Person wirklich einen entspannenden Effekt haben oder ob ein halbstündiger Spaziergang eine viel größere Wirkung hätte?

 

Regeneration quantifizieren – wie geht das?

Es gibt derzeit unterschiedliche Ansätze, um Regeneration, Stress und Schlaf mit Zahlenwerten zu belegen. »Sehr viele Gadgets auf dem Markt geben heute eine pseudowissenschaftliche Genauigkeit in puncto Schlafmessung vor. Überprüft und hinterfragt man die von Wearables, Pulsgurten oder Smartwatches gelieferten schön anzusehenden Grafiken, bleibt jedoch oft nicht mehr viel von deren Aussagekraft übrig«, erläutert Dr. Graumann. »Daher raten Mediziner vom Einsatz solcher Wearables ab, die nur mittels Accelerometrie die Regeneration quantifizieren. Bei Wearables und Smartwatches, welche die Belastung und Regenration mittels Accelerometrie und Photoplethysmographie (PPG) bestimmen – also Bewegung und Herzfrequenz integrieren – nimmt die Genauigkeit im Zuge des technischen Fortschritts zu. Aktuell ist allerdings die Herzfrequenzvariabilität (HRV) einer der vielversprechendsten Marker für die Regulation des autonomen Nervensystems (ANS) und somit auch für den Wechsel von Belastung und Regeneration. Sie erfordert jedoch die Aufzeichnung eines EKG-Signals, um die RR-Intervalle zuverlässig zu erfassen.«

Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) ergibt sich aus den unterschiedlichen zeitlichen Variationen zwischen den einzelnen Herzschlägen – dem sogenannte R-R Intervall aus dem EKG. Die Variabilität nimmt ab, wenn der Puls durch Stress, Bewegung oder aber auch Erkrankungen ansteigt. Durch Entspannung, Atemtechniken oder Meditation hingegen steigt die HRV wieder an. Ein gesundes Herz schlägt auch in Ruhephasen nicht so rhythmisch wie ein Schweizer Uhrwerk, sondern variiert ständig und passt sich so den physischen und psychischen Umständen an.

Faktoren, die die HRV beeinflussen, umfassen: Physische Aktivität (Bewegung / Sport), Stress-Empfinden, Emotionale Prozesse, Regeneration, Lage- oder Richtungswechsel, Atmung (forciertes Ein- oder Ausatmen) sowie das autonome Nervensystem (ANS).

Da sowohl psychische als auch physische Effekte die HRV beeinflussen, eignen sich Langzeitmessungen am besten für die Analyse und Diagnose, da hier kurzzeitige Effekte nicht zu falsch positiven oder negativen Ergebnissen führen. Für ein möglichst genaues Bild der HRV sollte das verwendete Gerät zudem Daten mit einer Frequenz von mindestens 250 Hz, besser jedoch von 500 Hz erfassen.

 

Langzeit-EKGs werden alltagstauglich

Medizinisch genaue Daten für eine aussagekräftige HRV-Analyse liefert die neueste Generation von EKG-Rekordern, wie beispielsweise Bittium Faros. Mit solchen Lösungen lassen sich nicht nur der Puls und die Herzströme (EKG), sondern auch die Atmung, der Kreislauf und die Bewegung überwachen. Die Atemfrequenz wird mittels respiratorischer Sinus-Arhythmie aus dem EKG abgeleitet, und ein Accelerometer im Gerät erfasst die Bewegung.

Die Entwicklungsfortschritte zeigen sich nicht nur in den Möglichkeiten zur Datenerhebung und -auswertung. Früher wurden Langzeit-EKGs in der Regel nur für kritische medizinische Diagnosen, wie Herzprobleme, durchgeführt, denn die Untersuchung war nicht nur aufwändig und teuer, sondern die EKG-Holter waren auch klobig, unbequem zu tragen und mit vielen Elektroden versehen, die von Fachpersonal angelegt werden mussten. Durch die neue Gerätegeneration wird der Einsatz von Langzeit-EKGs auch für neue Anwendungsgebiete attraktiv. Die wasserdichten Bittium Faros 180 und 360 EKG-Rekorder sind sehr kompakt und ermöglichen zusammen mit einer Patch-Elektrode Langzeit-EKG-Aufnahmen für jeweils bis zu sieben Tagen. Dabei können die Anwender körperlich aktiv sein, Sport treiben und duschen, ohne den Rekorder entfernen oder die Aufnahme stoppen zu müssen. Die Geräte sind zudem sehr einfach zu bedienen, sodass die Anwender zum Beispiel auch eigenständig einen Zeitstempel setzen können, wenn sie selbst eine Veränderung – wie Herzpochen – feststellen.

 

Vereinfachen der Datenanalyse und neue Erkenntnisse durch Analysesoftware

Nicht nur die verwendete Messmethode, sondern auch die gezielte Auswahl der Algorithmen beeinflusst die Aussagekraft von Schlaf- und Regenerationsanalysen. Hier eignet sich der Einsatz einer speziell auf die Auswertung der Schlaf und Stressanalyse ausgelegten Software, wie Bittium Cardiscope. Die kritische Betrachtung eines geschulten Experten liefert somit verständlicherweise eine bessere Basis für gezielte Empfehlungen zur Optimierung der Regenerationsmaßnahmen als der Blick eines Nutzers auf ein Consumer Gadget.

Aber auch Experten profitieren von der Unterstützung durch eine Analyse Software bei der Auswertung von EKG-Daten. »Die Bittium Cardiac Navigator Software ermöglicht es durch eine klare grafische Darstellung und eine KI-gestützte Vorbewertung der Ergebnisse, lange EKG-Messungen effizienter auszuwerten. Das unterstützt die medizinischen Fachkräfte und beschleunigt die Diagnose«, erläutert Antti Näykki, Senior Vice President Bittium Medical Technologies.

»Ein weiterer Vorteil bei der Nutzung von Software eines Medizintechnik-Experten wie Bittium ist es, dass die Softwareplattform durch die anonymisierten Werte tausender Analysen Vergleichswerte schafft. Auf diese Wiese kann man sehen, ob eine Person im Vergleich zu Peers mit ähnlichem Alter und Lebensumständen besser oder schlechter abschneidet«, ergänzt Dr Graumann.

 

Individualisierte Beratung und skalierbare Services

Die neuen, kompakten und einfach bedienbaren EKG-Rekorder zeichnen sich dadurch aus, dass sie genauso qualitativ hochwertige Daten liefern wie kompliziert verkabelte Holter-EKG früherer Generationen. So sind sie für medizinische Diagnosen, beispielsweise bei Herzkrankheiten einsetzbar. Gleichzeitig können sie aber auch für Coaching und Lifestyle-Beratungen eingesetzt werden. Zum einen sind sie günstiger als Vorgängergenerationen, sodass Ärzte und Coaches mehrere Geräte zeitgleich einsetzen können. Auf der anderen Seite ist die Bedienung so einfach, dass die Anwender sie selbst anlegen und bedienen können. »Wir arbeiten mit Ärzten und Gesundheitsdienstleistern, die die Holter-EKGs sogar mit einer kurzen Video-Anleitung per Post an Anwender versenden«, bestätigt Antti Näykki. »So wird der Service skalierbar, während Patienten bei Langzeit-EKGs bisher oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten.«

Die im Langzeit-EKG gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine datengestützte personalisierte Diagnose und Beratung – nicht nur bei akuten Krankheitsbildern, sondern auch wenn es darum geht zu ermitteln, ob Regenerationsstrategien wirken oder angepasst werden sollten.

Weitere Informationen zu modernen Holter-EKG-Lösungen und deren Einsatzmöglichkeiten gibt es auch unter: https://www.bittium.com/medical
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[1] Der aktuelle Forschungsstand ist unter www.regman.de verfügbar