Freelancer: Lösung für den Mangel an Fachkräften im öffentlichen Dienst?

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dbb-Chef Silberbach: »Problem ist ein Flächenbrand«

 

Digital zur Wahl, einen neuen Wohnsitz anmelden oder die Rente beantragen: Was etwa in Estland längst Standard ist, klingt in Deutschland noch nach Zukunftsmusik. Ein Grund für die schleppende Digitalisierung der Verwaltung: Im öffentlichen Dienst klafft eine riesige Personallücke – vor allem bei Spezialisten für IT, Software und Digitalisierung. Könnten nicht Freelancer dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu überwinden oder zumindest aufzufangen? Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender der dbb beamtenbund und tarifunion, Thomas Maas, Geschäftsführer der Freelancing-Plattform freelancermap sowie einige IT-Experten mit Projekterfahrung in der Verwaltung kommentieren die Frage aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Über fünf Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im öffentlichen Sektor, seit 2009 ist die Zahl der Beschäftigten kontinuierlich gestiegen. Dennoch ist der Fachkräftemangel auch im öffentlichen Dienst ein riesiges Problem: 2030 werden hier etwa eine Million Spezialisten fehlen. Besonders groß ist die Personallücke in den digitalen Berufen und dort vor allem im Bereich der Informationstechnik: Es mangelt schon jetzt an knapp 40.000 Experten, bis 2030 werden es mehr als dreimal so viele sein.

Davon besonders betroffen sind wichtige Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Aber nicht nur, wie Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender der dbb beamtenbund und tarifunion, weiß: »Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst ist längst kein Problem einzelner Berufsgruppen mehr, sondern ein Flächenbrand. Uns fehlen aktuell 360.000 Beschäftigte. Hinzu kommt, dass ein Drittel der Kollegen und Kolleginnen – die Generation der Babyboomer – innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Ruhestand geht. Wir brauchen alle: IT-Spezialisten, Ingenieure, aber auch Lehrkräfte, Pflegekräfte und Erzieher, um nur einige wenige Berufsgruppen zu nennen.«

 

Passen Freelancer in den öffentlichen Dienst?

Aktuell arbeiten nur etwa drei Prozent der sozialversicherungspflichtigen IT-Spezialisten im öffentlichen Sektor – zu wenige, um dem Fachkräftemangel in der Verwaltung auch nur ansatzweise zu begegnen. Den können natürlich auch Freiberufler nicht komplett auffangen, betont Thomas Maas von freelancermap, der größten Freelancing-Plattform im deutschsprachigen Raum. »Aber viele sind durchaus interessiert daran, im Staatsdienst zu arbeiten, wie eine Umfrage unter unseren Mitgliedern mit über 1.000 Teilnehmer ergab: Über die Hälfte der Befragten hat schon einmal für den Staat gearbeitet, mehr als drei Viertel sind einer Tätigkeit in diesem Bereich gegenüber aufgeschlossen.«

Die befragten Freelancer bewerten die Zusammenarbeit sogar als sehr positiv, obwohl manche Gepflogenheiten im Vergleich zur freien Wirtschaft auf sie zunächst gewöhnungsbedürftig wirkten: »Ich musste erst einmal lernen, Geduld bei anstehenden Veränderungen zu entwickeln, und mir darüber klar werden, dass Gewinnmaximierung im Staatsdienst nicht der wesentliche Treiber ist«, erzählt beispielsweise der IT-Spezialist Norman Brehme. Dennoch beschreibt er seine Erfahrung insgesamt als gut: »Ich bin sehr gerne für den öffentlichen Dienst tätig. Die Aufgaben sind sehr interessant und herausfordernd.« Auch IT-Freelancer Martin Stoll zieht eine ermutigende Bilanz: »Die pragmatische, lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den Ansprechpartner hat mich positiv überrascht. Ich arbeite gerne für den öffentlichen Sektor, man darf sich von den bürokratischen Hürden nicht zu sehr abschrecken lassen.«

 

Pooling oder projektweise: Wie verbinden sich beide Welten?

Für den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber hat die Zusammenarbeit mit freiberuflichen Spezialisten einige Vorteile: Das Recruiting, etwa über formlose Ausschreibungen auf einschlägigen Plattformen wie freelancermap, ist generell weniger (zeit-)aufwendig als bei Festangestellten. Dadurch können Freiberufler auch kurzfristige Engpässe ausgleichen. Zudem ermöglichen sie eine externe Sicht auf eingefahrene Arbeitsformen und starre Strukturen – und bringen ihr in der Wirtschaft gewachsenes Know-how ein, das sie in der Regel sofort gewinnbringend anwenden können, wie Thomas Maas betont: »Gerade freischaffende IT-Spezialisten sind in der Regel ›Early Adopter‹, die in Bereichen wie Digitalisierung und Zukunftstechnologien nicht nur über hervorragende Expertise verfügen, sondern diese auch kontinuierlich erweitern – alleine um selbst im Wettbewerb bestehen zu können.«

Von diesen Stärken profitieren etwa das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) schon seit Jahren: Sie setzen bei der Anwerbung von IT-Sicherheitsexperten auf das sogenannte »Pooling and Sharing«-Prinzip, um externe Spezialisten für sich zu gewinnen. Hierbei teilt sich der öffentliche Dienst Fachkräfte mit Unternehmen aus der freien Wirtschaft – oder man bildet einem gemeinsamen Spezialisten-Pool, aus dem sich staatliche Institutionen und Wirtschaftsunternehmen bei Bedarf gleichermaßen bedienen können. Durch diese zeitlich begrenzten Tätigkeiten sind keine langfristigen Verträge nötig, ein nachhaltiger Wissenstransfer ist dennoch möglich.

 

Viel Handlungsbedarf für die Zukunft

Der Fachkräftemangel wird für die öffentliche Verwaltung auch in Zukunft brisant bleiben – es sei denn, viele der bisher geltenden Rahmenbedingungen würden radikal verändert: Denn IT-Spezialisten können aufgrund häufig fehlender hoher Bildungsabschlüsse – trotz umfassender Berufserfahrung und dringend benötigtem Expertenwissen – bisher nur in relativ niedrige Tarifgruppen eingestuft werden. Die freie Wirtschaft lockt hier mit interessanteren Verdienstmöglichkeiten, Weiterbildungsangeboten sowie nichtmonetären Kompensationsformen. Auch sind die konservativen Arbeitsformen im öffentlichen Sektor gerade für die Nachwuchsgewinnung ein Hemmschuh, wie Ulrich Silberbach betont: »Die jungen Leute fragen nach Homeoffice und mobilem Arbeiten – und wollen vielleicht auch nicht mehr 40 Stunden arbeiten und nicht fünf Tage in der Woche. Wenn dann die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sagt, bei uns gibt es aber nur die Fünf-Tage-Woche, Anwesenheitspflicht und die Digitalisierung geht auch nur langsam voran – dann springen viele Bewerber sofort ab.«

Die verstärkte Einbindung von Freiberufler ist für dbb-Chef Silberbach trotz der guten Noten der Beteiligten dennoch nicht der Königsweg. Vor allem müsse der Bedarf der Verwaltung langfristig gedeckt werden: »Freelancer können punktuell helfen, etwa bei bestimmten Forschungs- und Entwicklungsprojekten«, räumt er ein. »Für eine nachhaltige Digitalisierung des Staates benötigen wir den entsprechenden Sachverstand im dauerhaften Dienst- und Loyalitätsverhältnis zum Arbeitgeber Staat.« Maas sieht es pragmatisch: »Der öffentliche Dienst hinkt bei der Umsetzung der Digitalisierung bereits heute um Jahre hinterher. Unter den bestehenden Bedingungen wird es nicht gelingen, diesen Rückstand kurz- oder mittelfristig aufzuholen«, so der freelancermap Geschäftsführer. »Früher oder später müssen die Behörden umdenken und neue Lösungen finden. Eine wertvolle und bei Weitem noch nicht ausgeschöpfte Ressource können hierbei freischaffende Experten sein.« Eine Ressource, von deren Einsatz die Arbeitgeber, die Bürger und natürlich auch die Freelancer selbst profitieren können.

 


 

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Schleppende Digitalisierung im öffentlichen Dienst. Wo liegen die Probleme und wie kann es schneller gehen?

Die Digitalisierung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Sie bietet enorme Chancen für Innovation, Effizienz und Bürgernähe, aber auch Risiken für Datenschutz, Sicherheit und soziale Teilhabe. Der öffentliche Dienst steht vor der Aufgabe, die Digitalisierung aktiv zu gestalten und zu nutzen, um seine Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und seine internen Prozesse zu optimieren.

Doch wie steht es um die Digitalisierung im öffentlichen Dienst in Deutschland? Laut dem Digital Government Index 2020, der die digitale Reife von 36 Ländern vergleicht, belegt Deutschland nur den 21. Platz. Das bedeutet, dass es noch viel Nachholbedarf gibt, um mit den Spitzenreitern wie Dänemark, Estland oder Südkorea mitzuhalten. Woran liegt das und wie kann es schneller gehen?

Ein wesentliches Problem ist die föderale Struktur Deutschlands, die zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten, Standards und Systeme führt. Es gibt keine einheitliche digitale Strategie oder Plattform für den gesamten öffentlichen Dienst, sondern viele verschiedene Initiativen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die oft nicht miteinander kompatibel oder vernetzt sind. Das erschwert den Austausch von Daten und Informationen, die Zusammenarbeit zwischen Behörden und die Nutzung von Synergien.

Ein weiteres Problem ist der Mangel an finanziellen, personellen und technischen Ressourcen für die Digitalisierung. Der öffentliche Dienst leidet unter einem hohen Investitionsstau, einem Fachkräftemangel und einer veralteten IT-Infrastruktur. Die Corona-Pandemie hat diese Defizite noch deutlicher gemacht, als viele Behörden auf Homeoffice umstellen mussten und dabei auf Schwierigkeiten stießen. Um die Digitalisierung voranzutreiben, braucht es mehr Investitionen in Hardware, Software und Netzwerke, mehr qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit digitalen Kompetenzen und mehr Innovationen in Form von neuen Anwendungen und Dienstleistungen.

Um diese Probleme zu lösen und die Digitalisierung im öffentlichen Dienst zu beschleunigen, sind mehrere Maßnahmen notwendig. Zum einen muss es eine stärkere politische Steuerung und Koordination geben, die eine gemeinsame Vision, Ziele und Leitlinien für die digitale Transformation des öffentlichen Dienstes festlegt. Zum anderen muss es eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den verschiedenen Ebenen und Akteuren des öffentlichen Dienstes geben, die auf gemeinsamen Standards, Schnittstellen und Plattformen basiert. Schließlich muss es eine stärkere Beteiligung und Einbindung der Bürgerinnen und Bürger geben, die als Nutzerinnen und Nutzer der digitalen Angebote des öffentlichen Dienstes ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Erfahrungen einbringen können.

Die Digitalisierung im öffentlichen Dienst ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck: Sie soll dazu dienen, den öffentlichen Dienst moderner, effizienter und bürgernäher zu machen. Das erfordert einen kulturellen Wandel im öffentlichen Dienst, der Offenheit, Flexibilität und Lernbereitschaft fördert. Nur so kann der öffentliche Dienst die Chancen der Digitalisierung nutzen und die Herausforderungen meistern.

Genki Absmeier

 

Wie kann die Digitalisierung im öffentlichen Dienst umgesetzt werden?

Die Digitalisierung ist eine der größten Herausforderungen und Chancen für den öffentlichen Dienst in Deutschland. Sie bietet die Möglichkeit, die Verwaltung effizienter, transparenter und bürgernäher zu gestalten. Doch wie kann die digitale Transformation gelingen? Wo liegen die Probleme und wie kann es schneller gehen?

Ein wichtiger Schritt ist die Schaffung einer einheitlichen und modernen IT-Infrastruktur, die den Anforderungen der digitalen Welt gerecht wird. Dazu gehört auch die Sicherstellung eines hohen Datenschutz- und Sicherheitsniveaus, das das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die digitale Verwaltung stärkt. Die Bundesregierung hat dafür das Onlinezugangsgesetz (OZG) verabschiedet, das vorsieht, dass bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen online verfügbar sein sollen.

Ein weiterer Schritt ist die Entwicklung und Nutzung von innovativen digitalen Lösungen, die den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen. Dazu gehört auch die Förderung von Open Data, also der Bereitstellung von öffentlichen Daten für die Allgemeinheit, die neue Geschäftsmodelle und gesellschaftlichen Nutzen ermöglichen können. Die Bundesregierung hat dafür die Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) beschlossen, die den Einsatz von KI im öffentlichen Sektor vorantreiben soll.

Ein dritter Schritt ist die Qualifizierung und Motivation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die die Treiber und Gestalter der digitalen Transformation sind. Dazu gehört auch die Schaffung einer offenen und lernenden Organisationskultur, die den Wandel unterstützt und fördert. Die Bundesregierung hat dafür das Programm „Digitale Kompetenzen für den öffentlichen Dienst“ aufgelegt, das verschiedene Maßnahmen zur Weiterbildung und Vernetzung der Beschäftigten umfasst.

Die Digitalisierung im öffentlichen Dienst ist eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung. Sie erfordert einen gemeinsamen Willen und eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten auf allen Ebenen. Nur so kann es gelingen, den öffentlichen Dienst fit für die Zukunft zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern einen besseren Service zu bieten.

Genki Absmeier