Eines ist sicher: Führung muss »neu« gedacht und gelebt werden. Wenn wir die digitale Zukunft gestalten wollen, dann brauchen wir zur Realisierung neuer Geschäftsmodelle, Prozesse und (KI) Systeme auch die Menschen dazu, die dieses Denken in den »Köpfen« nicht nur leben, sondern auch realisieren können.
Wir brauchen eine neue systematische Ausbildung in (Hoch-) Schulen, Kirchen, Familien, Verwaltung und Wirtschaft, die die Menschen ertüchtigt, von der derzeitigen Einbahnstraße des permanenten Wachstumsdenkens abzurücken. Die radikalen Umwälzungen müssen mit einem Führungslernprogramm in unseren Köpfen erst bewältigt werden. Das lebenslange Lernen mit anderen, das Wissen um den Klimawandel, die Gesundheit und die Simulationsarbeit mit Computern / Maschinen / Robotern werden so zu einem »must«.
Das transformative Problem
Kooperative, interdisziplinäre Teamarbeit, verantwortungsvolle und autonome Arbeitsgestaltung gewinnen immer mehr an Bedeutung. So dass die Führung Zusammenarbeit, Identifikation und Vertrauen stärken muss. Kurze Innovationszyklen, personalisierte Produkte erfordern passgenaue Qualifikationsmaßnahmen. Neue Arbeitsformen wie Shared/Parttime Leadership, virtuelle und vernetzte Teamarbeit sind dann konkret erlebbar.
Verantwortung und Kontrolle werden dorthin verlagert, wo die Arbeit geleistet wird – auch wenn diese von Robotern übernommen werden kann. So kommt der vernetzten Kommunikation, fluiden Formen der Projektarbeit in den Netzwerken entlang der Wertschöpfungskette eine immer größere Bedeutung zu – analog wie digital.
Führungskräfte müssen nicht nur die Tools aus der »alten Welt« beherrschen, wie etwa, Kennzahlenorientierung, Top-down-Kommunikation und Kontrolle, sondern sie müssen über flexible Skills verfügen, die sie befähigen, in beiden Organisationswelten zu führen. Selbststeuerungskompetenz, ganzheitliches Denken und Handeln, Selbst- und Fremdwahrnehmung und die Verteidigung unserer Wertekultur stehen dabei im Vordergrund.
Risikofreudige Führungskräfte braucht das Land
Jedoch werden die meisten Firmen in Deutschland eher von Risikovermeidern geführt, als sich in eine ungewisse digitale Zukunft zu stürzen (Süddeutsche Zeitung v. 27.07.2018, S.14 »Wir krepieren auf unserem Geld«). Auf dem Digitalisierungs-Index der Europäischen Union steht Deutschland auf dem 14. Platz. Im Bereich Wirtschaft sogar auf dem 21. Platz. Das Ranking gibt an, wie stark moderne IT, Software, soziale Medien und Cloud-Lösungen eingesetzt werden.
Mit Investitionen in neue (digitale) Geschäftsmodelle tun sich Unternehmen und Organisationen also weiterhin sehr schwer. Sie wollen einerseits ihr bestehendes Geschäftsmodell nicht selbst angreifen, haben andererseits aber auch Probleme, neue ertragreiche Modelle zu identifizieren. Oft fehlen die Rückendeckungen des oberen Managements, einerseits den notwendigen Kulturwandel zu forcieren, andererseits auch möglicherweise riskante Modelle ausprobieren zu können. Etablierte Unternehmen haben an dieser Stelle einen Nachteil gegenüber digitalen Innovatoren, die weder eine traditionelle Führungskultur mühsam ändern, noch ein etabliertes Geschäftsmodell verteidigen müssen.
Ebenso ist der digitale Arbeitsmarkt leergefegt. Seit Jahren fordere ich, dass auf diesem Gebiet die Firmen aktiver sein müssen. Nein, Sie erwarten von der Politik, dass die Hochschulen, die dafür notwendigen Talente entwickeln – was sie in der geforderten Zeit nicht können und auch nicht leisten wollen. Wir holen schon heute kompetente Mitarbeiter aus China, Indien, Russland und dem Nahen Osten – die sich als Experten mit den cybersicheren Softwareprogrammen hervorragend auskennen. Leider können sie aber nur fließend Englisch und fast kein Deutsch. Also werden sie aussortiert und nicht übernommen.
In vielen Unternehmen stellt sich die Erkenntnis heraus, dass geeignete Führungskräfte fehlen, die die entscheidenden transformativen Führungs-Skills für die Zukunft besitzen. Das Miteinander muss auf Unterstützung und gegenseitiger Förderung beruhen. Das Geben und Nehmen lebt so in der Auflösung von der ICH- zur WIR-Kultur. Also benötigen wir Führungskräfte, die nicht mehr nur eindimensional – sondern mehrdimensional denken und handeln. Hierarchien werden dann deutlich flacher, die Prozesse und Dienste schneller und sinnvoller.
Digitale Transformation geht nicht ohne Inspiration
Laut Studie des World Economic Forums Davos, »Digital Transformation Initiative« sind die Unternehmen mit dem Geschäftsmodell der »Digitalen Plattform« am erfolgreichsten. Doch wie soll das gehen? Wie kommen sie zu einem »neuen« Denken und Handeln? Im »alten Rom«, der Vergleich sei hier angebracht, saßen sie alle am Ende in ihren Villen auf ihrem unendlichen Reichtum – aber in den Köpfen waren Sie arm. So ist das Reich untergegangen.
Also geht es nur mit einer interdisziplinären Kooperation und mit einem branchenübergreifenden Miteinander. Um das Zusammenspiel von Anwendern und Anbietern (Best Practices) von Maschinen und Automatisierungskomponenten, Lieferanten und Wettbewerbern zu ermöglichen, ist das Arbeiten mit intelligenten Informations- und Innovationsplattformen, hohen Standards und klaren Regeln (Code of Conduct) unabdingbar.
Agile Mitarbeiter- und Kundenzentrierung auf Augenhöhe heißt das »Zauberwort«. Kunden beziehungsweise Partner müssen schon frühzeitig bei der Entwicklung eines neuen Produkts beziehungsweise einer neuen Dienstleistung eingebunden und damit vernetzt werden. Viele Firmen verschlafen hier strategische Chancen.
Hier ein Firmenbeispiel aus der Praxis:
Eine mittelständische GmbH, die Antriebe für individuelle Anwendungen herstellt, mit ca. 500 Mitarbeitern. Der Firmenchef bestätigt, »dass es für ein Unternehmen wichtig ist, auf der Höhe der Zeit zu bleiben und sich deshalb zu vernetzen, um rechtzeitig die richtigen Produkte für die Kunden und Umwelt zu entwickeln. Langfristig verändert so die Digitalisierung den kompletten Produktlebenszyklus.«
Durch den (digitalisierten/inspirativen) Austausch mit dem Kunden vermeiden wir nicht nur Fehlentwicklungen, sondern wir beschleunigen die (Vor-)Entwicklung beim Kunden. Dieser kann etwa die Anlagensoftware schon er(be-)arbeiten und testen, auch wenn der physische Antrieb noch nicht ausgeliefert ist. So werden während des Betriebs permanent alle Betriebsdaten ausgewertet, um Rückschlüsse auf den Zustand der Anlage und damit die Konzeption zur vorausschauenden Wartung mit bestimmten Daten zu ermöglichen.
So wird es notwendig, den Mitarbeitern nicht nur deren fachliche Kompetenzen zu verbessern, sondern vor allem auch deren soziale und emotionale Kompetenzen, damit sie die unterschiedlichen Sichtweisen und Ideen der Stakeholder, wie etwa Betreiber, Hersteller, Lieferanten, IT-, SW- und Cyber-Spezialisten wahrnehmen und das übergreifende Zusammenwirken regelkonform bewerkstelligen können.
Fachwissen ist somit zukünftig nur noch »die halbe Miete«.
Der andere Teil ist die systematische Fort- und Weiterbildung im lösungsorientierten und zwischenmenschlichen Arbeiten in digital gestützten Formaten. Hirnforscher bestätigen, dass Menschen erfolgreicher sind, stets präventiv denken, planen und handeln, wenn sie in Teams hierarchiearm zusammenarbeiten und lernen können – wobei Führungskräfte (ob mit oder ohne Personalverantwortung) zu Mentoren, Inspiratoren, Promotoren und Vernetzungsmanagern werden (sog. Facilitators).
Personalisierte Innovationen mit extra hohem Alleinstellungsmerkmal können aber nur entstehen, wenn die Zusammenarbeit über alle Hierarchien, Bereiche und Partner hinweg – inside wie outside – gelebt wird. So, dass jeder regelkonform mit jedem (auch digital) kommunizieren kann.
So hat Bosch daraus gelernt und die vernetzte Innovations- und Kommunikationsplattform eingeführt. Dadurch eignen sich die Mitarbeiter wichtige Kompetenzen einer »Agilen Company« und die Vorteile der vertrauensvollen, digitalen Kollaboration an sowie das Arbeiten in multi-disziplinären Arbeitszirkeln. Ein wichtiger Schritt, um aus einem traditionellen Industriegüter-Konzern ein agiles, kreatives und lernendes Unternehmen zu machen. Zitat: »Wer vernetzte Produkte und Dienste entwickeln will, braucht auch vernetzt denkende und arbeitende Mitarbeiter« (ManagerSeminare, Heft 238, 01/2018, S.65ff.).
Fazit
Eines ist sicher: Wenn wir unsere Zukunft erfolgreich gestalten wollen, dann muss der Wandel nicht nur schnellst möglichst neue (digitale) technologische Lösungen für Kunden und Umwelt hervorbringen, sondern auch die radikale Veränderung der Denk- und Handlungsstruktur (DNA-Mindset) der Führungs- und Fachkräfte. So braucht es »inspirative« Führer in der Belegschaft, die die richtigen kreativen Köpfe intelligent über alle Abteilungs-, Hierarchie- und Ländergrenzen hinweg vernetzen, unterstützen und zur Entfaltung bringen. Die Zukunftsfähigkeit einer Wirtschaft und Gesellschaft macht sich somit daran fest, ob die Betriebe und öffentlichen Verwaltungen diese sogenannte »wertebasierte, doppelte, digitale Transformation« auch bewältigen wollen.
Prof. Günther H. Schust
Er ist langjähriger, internationaler Personalmanager, Projektleiter und Gastdozent für transformationale Führung, Innovation und Kommunikation an mehreren Hochschulen in Bayern und der Schweiz. Das Fachbuch zum mehrtägigen Seminar ist unter dem Titel »Führung 5.0 Intelligent vernetzen – unterstützen – entfalten« im E-Bookverlag
www.bookboon.com erschienen und dort kostenlos herunterladbar. Es ist von der Universität St. Gallen /Schweiz als herausragender Führungsleitfaden zum Lesen und zur Anwendung empfohlen.