Interview mit Yann Lechelle – Warum haben wir kein europäisches Silicon Valley?

Ende letzten Jahres gab der Multi-Cloud-Anbieter Scaleway seinen Ausstieg aus der Initiative GAIA-X bekannt. Yann Lechelle, CEO von Scaleway, erläutert die Gründe für den Ausstieg und geht auf das Thema Nachhaltigkeit von Rechenzentren ein.

 


GAIA-X wurde im Oktober 2019 als Projekt ins Leben gerufen – mit dem Ziel eine europäische Initiative als Antwort auf die Dominanz amerikanischer Cloud-Provider zu etablieren. Was war die Ausgangssituation für die Zusammenarbeit?

Den Grundstein einer europäischen Cloud-Initiative legte zunächst Deutschland. Was ich vom deutschen Markt verstehe ist, dass die meisten Unternehmen Cloud-Anbieter aus den USA nutzen – das gilt auch für Frankreich, denn 70 Prozent der Cloud-Nachfrage werden von amerikanischen Firmen erfüllt. 

Die Gründung von GAIA-X ergab also Sinn für uns. Peter Altmaier war der Hauptinitiator, von ihm kam der erste Impuls. Als der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire davon hörte, hat er ihn angerufen und gesagt, dass auch Frankreich an der Initiative interessiert wäre. Wir haben uns daraufhin der französischen Delegation als Co-Founder angeschlossen. 

 

Yann Lechelle,
CEO von Scaleway

 

Ich war nicht am GAIA-X-Eintritt beteiligt, da ich erst vor 19 Monaten die Leitung von Scaleway übernommen habe. Als ich dann Vorstandsmitglied bei GAIA-X wurde, erfuhren wir, dass GAIA-X US-Cloudprovider in den Vorstand aufnehmen will. Unter allen Mitgliedern war ich der Einzige, der Nein gesagt hat und falls es doch dazu kommt, den Vorstand und die Initiative verlassen wollte. Das war vor einem Jahr. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass US-Provider nicht in den Vorstand kommen, dafür aber in den Arbeitsgruppen vertreten sein werden. Das war okay für uns. GAIA-X wurde dann im Dezember 2020 gegründet und wir einigten uns darauf, dass wir im Juni 2021 den Vorstand neu ausrichten würden.

Als es so weit war, wurden weder wir noch die anderen kleineren Player, die ein großes Interesse an Open Source haben, in den Vorstand gewählt. Wer im Vorstand übrig blieb waren stattdessen diejenigen, die direkt oder indirekt mit den Big-Tech-Unternehmen zusammenarbeiten. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich auch die Stimmung. Nur als Beispiel: Auf unserem ersten neuen Mitgliedertreffen stellte ein Big Tech Player mehrere hundert Fragen technischer Natur. Das waren allein 98 Prozent aller Fragen aller Teilnehmer. Und die kamen von einem einzigen Akteur. Das Beispiel soll Ihnen jetzt nur verdeutlichen, wie diese Akteure vorgehen können, um das ganze interne Prozedere zu verlangsamen. 

Das soll jetzt nicht heißen, dass ich US-Unternehmen generell ablehne. Ganz im Gegenteil, ich bin mit Technologie aufgewachsen und bewundere US-Unternehmen für ihre technischen Errungenschaften. Mein Ziel ist es jedoch, für meine Kinder ein starkes Europa zu hinterlassen und dafür arbeite ich täglich. Denn ein Ungleichgewicht in puncto Technologie und Software wird uns auf Dauer nicht weiterhelfen. Warum haben wir kein europäisches Äquivalent zum Silicon Valley?


Was war der Zeitpunkt, an dem Sie sich entschlossen haben, aus GAIA-X auszusteigen?

Der Auslöser war eine Einladung, im Fernsehen über den aktuellen Stand im Technologiebereich zu sprechen. Hier lautete eine Frage des Journalisten, was aus meiner Sicht beim nächsten GAIA-X Summit beschlossen würde. Ich dachte darüber nach und antwortete: »Gar nichts«. Das war für mich der Punkt, an dem ich wusste, dass wir uns aus GAIA-X zurückziehen werden. Ich wünsche der Initiative alles Gute, aber ich denke, dass es besser für Scaleway ist, sich auf unsere Produkte und Kunden zu konzentrieren.


Wie ist Scaleway derzeit in Europa aufgestellt

Alle unsere Rechenzentren befinden sich in Europa. Wir haben vier im Umkreis von Paris. Eines davon, unser DC5-Rechenzentrum, ist ein äußerst nachhaltiges Rechenzentrum, dass keine Belüftung benötigt und daher 40 Prozent weniger Energie verbraucht. Dann haben wir jeweils ein weiteres in Amsterdam und in Warschau. Absolut europäisch und unabhängig also. 

Ich glaube auch fest an Multi-Cloud und das Potenzial, das darin steckt. Wir haben unter anderem Kosmos herausgebracht, die erste managed Kubernetes-Engine für Multi-Clouds. Mit ihr können Nutzer ihre Arbeit zum Teil etwa bei AWS und zum anderen Teil bei Scaleway speichern, die Software verwaltet dann die Verbindung dazwischen. 

Europa sollte strenger werden in Bezug auf den Betrieb von Rechenzentren, denn Sie wissen sicherlich, dass ein Großteil der Rechenzentren in Europa eigentlich Immobiliengesellschaften aus den USA gehören. Dadurch operieren sie nach einem Copy-Paste-Ansatz, der den Großkunden in den USA zwar zugutekommt, aber Innovationen im Weg steht, zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit.


Sie haben eben den Punkt Nachhaltigkeit erwähnt. Was sind Ihre Pläne dazu in naher Zukunft?

Das Konzept der Nachhaltigkeit in Bezug auf Rechenzentren ist relativ neu. Wenn wir uns etwa Rechenzentren von vor 20 Jahren anschauen, war das Thema nur wenig präsent und das zeigt sich in ihrer PUE (Power Usage Effectiveness). Alte Rechenzentren weisen einen PUE-Wert von 2 auf, der Durchschnitt in Rechenzentren liegt heute bei etwa 1,5. Zum Vergleich, unser DC5-Rechenzentrum weist einen PUE von ungefähr 1,15 auf und damit eine deutlich höhere Effizienz bei der Energienutzung. Scaleway ist hier absolut offen und jeder kann sich unseren Energieverbrauch in Echtzeit auf unserer Webseite ansehen [1]. Damit sind wir sehr innovativ in diesem Bereich.


Hat Scaleway derzeit Rechenzentren-Partner in Deutschland?

Derzeit noch nicht. Wir haben aber ein Rechenzentrum in Amsterdam und in Warschau, die den deutschen Raum sehr gut abdecken. Wir sind aber mit potenziellen Partnern im Gespräch und der deutsche Markt ist äußerst interessant für uns. Wir werden das auf jeden Fall weiter im Auge behalten. Ich glaube in Deutschland liefert das Thema Datenschutz nach wie vor reichlich Gesprächsstoff. Wir können dieses Bedürfnis sehr gut bedienen, weil wir ein Full-Stack-Anbieter sind: Wir allein betreiben unsere Rechenzentren und setzen unsere eigene Software ein, das macht uns absolut unabhängig und in diesem Sinne zu einem der wenigen vollständig europäischen Anbieter.

 


[1] https://www.scaleway.com/de/transparency/

 

Illustrationen: © Asyam Design /shutterstock.com; GAIA-X; Foto: © Max Riche