Manufacturing-X in den Startlöchern

Illustration Absmeier foto freepik

Föderative Datenräume für digitale Wertschöpfung, Resilienz und Nachhaltigkeit: Warum und wie sich der Mittelstand jetzt auf die Industrie der Zukunft vorbereiten sollte.

 

Nachdem sich die Europäische Union auf den »Data Act« verständigt hat, dürfte das Gesetz demnächst verabschiedet werden. Das sind gute Nachrichten für den Wirtschaftsraum, denn der EU Data Act ebnet Initiativen wie Manufacturing-X [siehe auch Kastentext] den Weg. Am Horizont erscheint nicht weniger als eine völlig neue europäische Datenökonomie für die Industrie. Entstehen soll ein einheitlicher Markt, der einen freien Datenfluss innerhalb der Europäischen Union und über Sektoren hinweg ermöglicht.

Analog zu branchenspezifischen Datenökosystemen wie Catena-X für die Automobilindustrie arbeiten Politik und Industrie, Softwareunternehmen und Branchenverbände wie VDMA und Bitkom an einer gemeinsamen Infrastruktur, um Daten effizient, sicher, mit hoher Qualität und zu niedrigen Grenzkosten zu teilen und zu veredeln. Das angedachte Ökosystem für die Fertigungsindustrie beziehungsweise den Maschinenbau lautet Factory-X.

Wie ernst es um das Thema bestellt ist, zeigt das Ende Oktober vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgestellte Strategiepaper »Industriepolitik in der Zeitenwende« [1]. Darin skizziert das BMWK unter anderem, wie die digitale Transformation innerhalb der Industrie in Deutschland vorangetrieben werden soll und betont dabei, dass Manufacturing-X das Kernprojekt für die digitale Transformation der Industrie ist – inklusive Beteiligungsmöglichkeiten auch für den Mittelstand. So stellt die Bundesregierung hierfür bis zum Jahr 2026 insgesamt 150 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung sowie Leuchtturmprojekte bereit.

Derzeit engagieren sich vor allem große Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Fertigungsindustrie für Manufacturing-X und Factory-X. Es wäre aber fatal, das Feld von Manufacturing-X den Konzernen zu überlassen, wenngleich zu begrüßen ist, dass diese ihre Vorreiterrolle ernstnehmen und Verantwortung für den gesamten Wirtschaftsraum zeigen. Nolens volens wird die gesamte Branche folgen müssen. Allein deshalb schon, weil diverse Parteien wie Hersteller, Zulieferer und Endkunden das verlangen werden. Daher gilt es insbesondere auch für den Mittelstand, die Zeit der Konzeptionsphase der X-Initiativen zu nutzen und Kapazitäten sowie Know-how für die anstehende Transformation aufzubauen. Wer seine Hausaufgaben erledigt, wird von gesellschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen nicht um den Schlaf gebracht und kann sich das Potenzial föderativer Datenräume zunutze machen.

Doch welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es? Wie können sich mittelständische Unternehmen konstruktiv in X-Initiativen einbringen? Und wie bereiten sie sich auf die digitalisierte Industrie der Zukunft vor?

proALPHA [2], ein Anbieter von ERP+ Softwarelösungen für die mittelständische Fertigungsindustrie, hat einen Leitfaden zusammengestellt.

 

Informieren, vernetzen und aktiv werden.

Verbände wie der VDMA, ZVEI, BDI oder Bitkom beteiligen sich aktiv an den X-Initiativen. Zudem stellt die Politik unter der Leitung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz großzügige Fördermittel (250 Millionen Euro für Catena-X und 150 Millionen Euro für Manufacturing-X) in Aussicht.

Der Mittelstand sollte daher jede Gelegenheit nutzen, sich zu informieren und in den Gremien mitzuarbeiten. Außerdem ist es ratsam, dass Entscheidungsträger aus dem Mittelstand im Kontext der X-Initiativen und Datenräume den Dialog mit Kunden, den Kunden ihrer Kunden, Kooperationspartnern, Mitarbeitenden und Zulieferern suchen: Welche Schritte können Sie gemeinsam in Richtung digitaler Ökosysteme gehen? Welche Partner und Zulieferer sind geeignet? Motivieren Sie Ihre Teams, über den Tellerrand der eigenen Organisation hinauszudenken. Vernetzen Sie sich. Bringen Sie sich ins Gespräch und bleiben das auch zukünftig.

 

Eine digitale Vision entwickeln und die Unternehmensstrategie danach ausrichten.

Für manches Unternehmen ist es nur die Fortsetzung der Reise, für andere ein erneuter oder gar erster Anlauf. Verlieren Sie sich bei der digitalen Transformation nicht im Klein-Klein, sondern gestalten Sie diese zielgerichtet als Business-Transformation mit Fokus auf Kunden, Produkte, Märkte und Nachhaltigkeit. Eine Roadmap zur Entwicklung einer digitalen Vision könnte wie folgt aussehen:

  • Analysieren Sie die Ausgangssituation: Wo liegen die größten Potenziale für die Etablierung von Ende-zu-Ende-Prozessen und im Portfolio?
  • Entwickeln Sie parallel Ihre eigene digitale Vision: Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen? Wie wirkt sich diese Zielvorstellung auf die Organisation, die Prozesse und die Unternehmenskultur aus? Welche Entwicklungen sind bis 2030 denkbar und welche Effekte werden diese auf Ihr Unternehmen haben?
  • Formulieren Sie strategische Ziele: Was wollen Sie erreichen? Wo liegen Ihre Prioritäten?
  • Setzen Sie Ihre Ziele um, indem Sie konkrete Projekte oder Programme definieren.

 

Das eigene Unternehmen sowie IT-Systeme und Daten fit für Manufacturing-X machen:

  • Wie hoch ist der Digitalisierungsgrad der Gesamtorganisation inklusive der Mitarbeitenden?
  • Ist technologisch alles up-to-date? Befindet sich das ERP-System und weitere Business-Anwendungen im Unternehmen auf einem aktuellen Releasestand? Funktioniert das Stammdatenmanagement? Sind die Daten bereinigt und ließen sie sich in Datenräume wie Manufacturing-X integrieren?
  • Welche Fertigungsdaten werden erfasst? Was wird gemessen und ausgelesen? Welche Informationen wären darüber hinaus interessant und wie lassen sie sich gewinnen?
  • Gibt es bereits Ansätze und Werkzeuge zur CO2-Bilanzierung? Welche Möglichkeiten sehen Sie, Scope-2- und Scope-3-Emissionen zu ermitteln? So hat beispielsweise eine Studie des Forschungsinstituts für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen im Auftrag von proALPHA gezeigt, dass Unternehmen den Aufwand zur CO2-Bilanzierung signifikant reduzieren können, wenn sie die bereits verfügbaren Daten aus ERP-, MES- und weiteren Business-Anwendungen heranziehen [3].

 

 

Was ist Manufacturing-X?

Mit Manufacturing-X sollen Unternehmen flächendeckend in die Lage versetzt werden, Wertschöpfung auf Basis von Daten zu betreiben und resilienter und nachhaltiger zu werden. Damit wächst die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, entsteht zusätzliche Wertschöpfung aus Daten und es bildet sich eine Infrastruktur für nachhaltige Produktion: Ohne einen unternehmensübergreifenden föderativen Datenraum rücken beispielsweise eine produktspezifische CO2-Datenermittlung und die nächsten Schritte für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in weite Ferne. Manufacturing-X reiht sich ein in die großen X-Initiativen (Gaia-X als europäische Plattform zum Austausch von Daten und Catena-X für die Automobilindustrie), die Europa als Datenökonomie voranbringen, und profitiert von den, in diesen Projekten bereits entwickelten, Grundlagen. Während Manufacturing-X branchenübergreifend für die Industrie (von Ausrüstern beziehungsweise dem Maschinenbau über Automotive bis hin zur Prozessindustrie) ausgerollt werden soll, ist Factory-X speziell für die deutsche Kernindustrie Maschinenbau gedacht.

 

[1] www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/industriepolitik-in-der-zeitenwende.pdf?__blob=publicationFile&v=10
[2] www.proalpha.com/de/
[3] www.proalpha.com/de/fir-studie-co2-management-mit-business-software

 

Michael Finkler, Geschäftsführer Business Development bei der proALPHA Gruppe:

»Wir bauen mit Manufacturing-X eine digital vernetzte Industrie auf, um Daten unternehmensübergreifend auszutauschen – für Nachhaltigkeit, mehr Resilienz, völlig neue, digitale Geschäftsmodelle und eine neue europäische Datenökonomie. Industrie 4.0 zielte zu sehr nach innen, auf die eigene Produktion. Bei den neuen X-Initiativen geht es um das Arbeiten über Unternehmensgrenzen hinweg und Wertschöpfung in Ökosystemen.«

 

»Die Unternehmen in der Industrie müssen ihre internen IT-Systeme auf Vordermann bringen, damit sie Daten teilen können und die digitalen unternehmensübergreifenden Prozesse auch funktionieren. Außerdem sollten sie sich Gedanken über digitale Mehrwertdienste für ihre Kunden machen, deren Monetarisierung und die Zusammenarbeit in digitalen Ökosystemen. Wer nicht mehr nur Hardware verkauft, sondern Maschinen betreibt, wie beispielsweise beim Modell Pay-per-Part, muss sehr große Veränderungen intern und extern durchlaufen.«

Michael Finkler, Geschäftsführer Business Development bei der proALPHA Gruppe sowie Vorstandsvorsitzender des VDMA Fachverbandes Software und Digitalisierung und Mitglied der Bitkom Taskforce Manufacturing-X und des Forschungsbeirats des FIR e.V. an der RWTH Aachen.