Neun von zehn Arbeitsplätzen erfordern digitale Skills – In zukunftsweisende berufliche Fähigkeiten investieren

Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen, Behörden und Unternehmen werden von entscheidender Bedeutung sein, um den globalen Beschäftigungs- und Fachkräftemangel angesichts der fortschreitenden Digitalisierung zu beheben. Wir haben mit Lukas Lewandowski, Country Manager DACH bei Coursera gesprochen um zu erfahren, wie sich die Lernwelt verändert und welche digitalen Angebote es für die Qualifizierung von Studierenden und Mitarbeitenden gibt.


Die Lerntrends 2021 heben hervor, dass Kurse zu künstlicher Intelligenz und Data Science bei den deutschen Lernenden im vergangenen Jahr sehr gefragt waren. Erkennen Sie ähnliche Tendenzen in europäischen Nachbarländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder Frankreich? Falls nicht, wie erklären Sie sich die abweichende Entwicklung?

Generell lässt sich feststellen, dass neue Technologien immer auf die Art und Weise Einfluss nehmen, wie wir leben, arbeiten und Geschäfte machen. Dieses Phänomen ist nicht auf Deutschland beschränkt, sondern lässt sich weltweit beobachten. 

Laut aktuellem Digital Economy and Society Index (DESI) verfügen lediglich 56 Prozent der Menschen in der EU über grundlegende digitale Fähigkeiten [1]. Wenn man bedenkt, dass in Zukunft neun von zehn Arbeitsplätze digitale Fähigkeiten erfordern werden, müssen wir alle unsere digitalen Kompetenzen entsprechend erweitern – denn die Geschäftswelt verändert sich. Lernende auf der ganzen Welt reagieren auf diese Dynamik, indem sie in zukunftsweisende berufliche Fähigkeiten investieren. So verfolgen sie das Ziel, das Beste aus den neuen Beschäftigungsmöglichkeiten und -zwängen zu machen. Dies gilt sowohl in der EU als auch weltweit. 

In den Niederlanden und Frankreich stellen sich die Lernenden auf ähnliche Weise der doppelten Herausforderung, einerseits bedingt durch die Pandemie, andererseits aufgrund der Digitalisierung. Der Kurs Machine Learning der Stanford University war im vergangenen Jahr in beiden Ländern der beliebteste Kurs [2]. Demgegenüber belegte der Kurs Programming For Everybody (Getting Started With Python) der University of Michigan in den Niederlanden den vierten und in Frankreich den achten Platz [3]. 

In Großbritannien ist das nicht anders. Der Kurs Machine Learning der Stanford University war der zweitbeliebteste Kurs im Jahr 2021, während der Kurs Foundations: Data, Data Everywhere von Google an dritter Stelle lag [4]. Dieser ist Teil des Data Analytics Professional Certificate von Google [5]. Lernende in der gesamten EU sind sich darüber bewusst, wie wichtig es ist, mit neuen Technologien umgehen zu können und verstehen ihre beruflichen und gesellschaftlichen Implikationen.


Obwohl ein hoher Bedarf an den genannten digitalen Kompetenzen besteht, hat Deutschland beim Thema Digitalisierung noch Nachholbedarf. Welche kurz-, mittel- und langfristigen Entscheidungen müssen aus Ihrer Sicht getroffen werden, um eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen?

In den nächsten fünf Jahren werden voraussichtlich fast 150 Millionen neue digitale Arbeitsplätze entstehen [6]. Der Beschäftigungsaufschwung in der Zeit nach der Pandemie hängt zwangsläufig von einer breit angelegten Qualifizierung ab. Den Bildungsinstitutionen kommt hierbei eine tragende Rolle zu: Sie sollten diese Bemühungen unterstützen, indem sie den Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu den für die Arbeitsplätze der Zukunft erforderlichen Qualifikationen ermöglichen. Die institutionelle Kollaboration kann in dieser Hinsicht kurz-, mittel- und langfristig eine wichtige Rolle spielen.

 

Lukas Lewandowski, Country Manager DACH bei Coursera

 

So hat beispielsweise Marokko mit dem Ziel, die Zahl der Studienabbrüche zu reduzieren und die Beschäftigungschancen der Absolventen auf dem herausfordernden Arbeitsmarkt zu verbessern, vor kurzem Pläne zur Modernisierung seines nationalen Hochschulsystems angekündigt [7]. Kernidee hierbei ist, die öffentlichen Universitäten von einem dreijährigen auf ein vierjähriges Bachelor-Modell umzustellen [8]. Teil der Pläne ist das Angebot eines ersten »Foundation Year« mit einem hybriden, kompetenzorientierten Lehrplan für Studierende im Grundstudium. Als Teil dieses Curriculums bieten die Dozenten Kurse zu digitalen und berufsrelevanten Fähigkeiten an. Diese umfassen mit Statistik, Programmierung und Data Analytics Kompetenzen, die in hohem Maße auf verschiedene Berufsfelder übertragbar sind. Die Initiative, an der derzeit mehr als 15 marokkanische Universitäten beteiligt sind, soll in den nächsten vier Jahren rund 350.000 Studierende dabei unterstützen, ihre auf dem Arbeitsmarkt geforderten Fähigkeiten sowie ihr Verständnis für die Digitalisierung zu verbessern. Kooperationen dieser Art zwischen Bildungseinrichtungen, Behörden und Unternehmen werden künftig von entscheidender Bedeutung sein, um den anhaltenden Beschäftigungs- und Fachkräftemangel zu beheben, mit dem Länder auf der ganzen Welt angesichts der fortschreitenden Digitalisierung konfrontiert sind.


Nach zwei turbulenten Jahren wird das Thema hybrides Arbeiten und Lernen aktiv gefördert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Produktivität und Chancengleichheit ein?

In fortschrittlichen Volkswirtschaften wie Deutschland gibt es Belege dafür, dass das Hybrid-Arbeitsmodell mit der Beibehaltung der Produktivität von etwa einem Viertel der Belegschaft vereinbar ist [9]. Wir von Coursera glauben, dass hier eine höhere prozentuale Produktivität möglich ist. Eine Zukunft der Arbeit, in deren Mittelpunkt ein größeres Angebot an hybriden Möglichkeiten steht, kann für Mitarbeiter und Unternehmen deutlich effizienter sein.

Erstens werden durch die Remote-Arbeit räumliche Barrieren obsolet. Dies eröffnet den Arbeitgebern den direkten Kontakt zu einem größeren Talent-Pool. Auch die Arbeitnehmer haben einen besseren Zugang zu attraktiven, stark nachgefragten Arbeitsstellen.

Zum zweiten Verweisen die Daten des Weltwirtschaftsforums darauf, dass bis 2025 etwa 85 Millionen Arbeitsplätze automatisiert sein werden [10]. Vor diesem Hintergrund bietet ein erweiterter Zugang zu digitalen Arbeitsplätzen Mitarbeitern, deren Lebensunterhalt von der Automatisierung bedroht ist, vielversprechendere Beschäftigungsmöglichkeiten.

Drittens haben sich seit dem Beginn der Pandemie mehr Frauen für eine digitale Karriere mit MINT-Fähigkeiten entschieden. Dies führt ebenfalls zu mehr Chancengleichheit und trägt dazu bei, den Gender-Tech-Gap zu verringern. Laut dem aktuellen Women & Skills Report von Coursera ist die Zahl der weiblichen Teilnehmer an MINT-Kursen auf der Coursera-Plattform zwischen 2019 und 2021 von 31 Prozent auf 37 Prozent gestiegen [11].

Neue Berufswege im digitalen Bereich wie das Google IT Professional Certificate bieten auch im Bildungskontext unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen Zugang zu wachstumsstarken Arbeitsplätzen [12]. Diese Kurse sind besonders gut geeignet, um nicht-traditionellen Lernenden die Möglichkeit zu geben, von zu Hause aus in gefragte Berufsfelder einzusteigen. Bis heute haben sich über eine halbe Million Menschen für das Google IT Professional Certificate angemeldet, von denen 59 Prozent keinen Hochschulabschluss haben – ein Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit.


Innerhalb der Lerntrends heben Sie auch hervor, dass Kurse, die sich mit umfassenderen kulturellen und sozialen Phänomenen befassen, wie beispielsweise eine Einführung in die koreanische Sprache, immer mehr Beachtung bei den Lernenden finden. Wie lässt sich dies erklären beziehungsweise was könnte aus Ihrer Sicht der Grund dafür sein?

Kurse, die bei Coursera gut abschneiden, sind oft solche, die einen unmittelbaren Alltagsbezug für die Lernenden haben. Einer unserer beliebtesten Kurse in der EU ist The Science of Well-Being von der Yale University, der bei den Lernenden in Großbritannien an erster sowie in Frankreich und den Niederlanden an zweiter Stelle steht [13]. Die Beliebtheit dieses Kurses spiegelt die wachsende Anzahl von Menschen wider, die Ressourcen suchen, die ihnen eine Hilfestellung bieten, um ihre eigene psychische Gesundheit zu verstehen und zu managen. Hier zeigt sich zudem, wie wichtig die Rolle der emotionalen Intelligenz in der Geschäftswelt ist.


Welche digitalen Lerntrends sehen Sie für die Zukunft? Wohin geht die Reise?

Dass Kompetenzen zur neuen gefragten »Währung« für Unternehmen werden, ist ein Resultat der immer komplexeren Arbeitswelt. Unternehmen müssen dies in ihr Handeln integrieren. Es gilt, Lernstrategien zu entwickeln, die auf den Qualifikationsbedarf der einzelnen Geschäftsbereiche abgestimmt sind.

Ein ausgewogenes Verhältnis von Soft Skills wie Kommunikation, Teamarbeit, Problemlösungskompetenz und technischen Fähigkeiten wird für alle Aufgabenbereiche erforderlich sein. Die Unternehmen werden mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen darauf verwenden, festzustellen und zu vermitteln, wer was lernen muss beziehungsweise die individuellen Lernbedürfnisse passgenau zu identifizieren. So kann das Ziel der maximalen Wettbewerbsfähigkeit sichergestellt werden. 

Parallel dazu wird eine immer differenziertere Bewertung und Erfassung von Qualifikationen in den Unternehmen eine objektivere Beurteilung von Talenten ermöglichen. Diese ist ein wichtiger Faktor für eine gerechtere interne Mobilität in einer dezentralen Belegschaft.

 


[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_21_5481
[2] https://www.coursera.org/learn/machine-learning
[3] https://www.coursera.org/learn/python
[4] https://www.coursera.org/learn/foundations-data
[5] https://www.coursera.org/professional-certificates/google-data-analytics
[6] https://blogs.microsoft.com/blog/2020/06/30/microsoft-launches-
initiative-to-help-25-million-people-worldwide-acquire-the-digital-skills-needed-in-a-covid-19-economy/
[7] https://www.reuters.com/business/cop/moroccos-q3-unemployment-rate-drops-118-2021-11-03/
[8] https://www.moroccoworldnews.com/2021/01/
332694/moroccan-universities-to-adopt-bachelor-system-in-2021
[9] https://www.mckinsey.com/featured-insights/future-of-work/
whats-next-for-remote-work-an-analysis-of-2000-tasks-800-jobs-and-nine-countries
[10] https://www3.weforum.org/docs/WEF_Future_of_Jobs_2020.pdf
[11] https://about.coursera.org/press/wp-content/uploads/2021/09/Coursera-Women-and-Skills-Report-2021.pdf
[12] https://www.coursera.org/professional-certificates/google-it-support
[13] https://www.coursera.org/learn/the-science-of-well-being

 

Illustrationen: © local_doctor/shutterstock.com