Proaktives Vorgehen – Digitalisierungsschub durch das Lieferkettengesetz?

Um die neuen Sorgfaltspflichten mit mehr Effizienz und weniger Aufwand zu erfüllen, setzen Unternehmen künftig verstärkt auf digitale Lösungen.

Jetzt gilt es: Seit 1. Januar müssen Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden (ab 2024: mehr als 1.000) alle unmittelbaren Lieferanten auf die Einhaltung elementarer menschenrechtlicher und ökologischer Standards überprü-fen. Bei Zuwiderhandlungen kann das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hohe Bußgelder verhängen. Eine noch härtere Gangart steht möglicherweise mit einer geplanten EU-Gesetzesinitiative in naher Zukunft bevor. Doch schon im Vorfeld bereiteten die neuen Regelungen und die damit verbundenen zusätzlichen bürokratischen Belastungen vielen Business-Entscheidern Sorgen: Bei einer YouGov-Studie, die 2022 im Auftrag von targens durchgeführt wurde, fühlten sich knapp 20 Prozent nicht gut bis überhaupt nicht gut auf das neue Gesetz vorbereitet [1]. 41 Prozent befürchteten hohe Kosten bei der Umsetzung der neuen Regularien. Ein Drittel ging davon aus, dass die geforderte Überprüfung der Lieferketten zu einem deutlichen personellen Mehraufwand führt. Bedenken hatten die Befragten auch hinsichtlich möglicher Rechtsstreitigkeiten (24 Prozent), Wettbewerbsnachteile (22 Prozent) und Rufschädigungen (10 Prozent).

Mitgefangen, mitgehangen – wer ist betroffen? Ein interessantes Ergebnis der Umfrage war allerdings auch, dass gut ein Viertel der Befragten (26 Prozent) glaubte, von den Nachweispflichten weder direkt noch indirekt betroffen zu sein. Diese Zuversicht könnte jedoch zu kurz gedacht sein. Denn kleine und mittelständische Unternehmen fallen zwar nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des neuen Gesetzes, sind aber als Subauftragnehmer Teil der Lieferkette von betroffenen Firmen – und unterliegen damit mittelbar den Sorgfaltspflichten.

Effizientere Kontrollen durch risikobasierten Ansatz. Eine Kontrolle der Einhaltung beispielsweise von Menschenrechten ist für Compliance-Verantwortliche nicht neu, doch das Lieferkettengesetz verlangt jetzt ein deutlich proaktiveres Vorgehen von den Unternehmen. Sie sind in der Pflicht, im Sinne einer Dienstleistersteuerung Verstöße frühzeitig zu erkennen, zu verhindern und entsprechende Nachweise zu erbringen. Auch der Kreis an Partnern, die überwacht werden sollen, hat sich erweitert. Neben direkten Geschäftspartnern müssen gegebenenfalls indirekte Partner wie Zulieferer von Lieferanten untersucht und beobachtet werden. Und deren Anzahl kann bei großen Firmen durchaus in die Zehntausende gehen. Auch die globalen Verflechtungen entlang der Lieferketten machen die geforderte lückenlose Überprüfung der Geschäftspartner bis ins letzte Glied zu einer hochkomplexen Aufgabe.

Die benötigten Daten zu gewinnen, zu bearbeiten und auszuwerten nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und bindet wertvolle personelle Ressourcen. Mit digitalen Tools lässt sich der manuelle Aufwand deutlich reduzieren. Dabei wird die Datengewinnung erleichtert und beschleunigt, indem eine Vielzahl an unterschiedlichen Quellen automatisiert eingebunden wird: Sanktionswatch- und PEP-Listen, externe Datenbanken, internationale Nachrichtenquellen und Medienberichte werden dafür herangezogen. Aber auch Bestandsdaten, die ein Unternehmen im Vorfeld über Jahre gesammelt und in unterschiedlichen unternehmensinternen Systemen gespeichert hat sowie die Ergebnisse von Lieferanten-Audits lassen sich in das System einspeisen. Auf Basis all dieser Daten werden die Geschäftspartner den passenden Risikostufen zugeordnet. Diese erste Bewertung entlastet das Compliance-Team und verhindert, dass unnötig Zeit und Aufwand auf die Überprüfung von letztlich risikoarmen Partnerschaften eingesetzt werden – oder aber die Unternehmen in anderen Fällen zu nachlässig kontrollieren und Sanktionsverstöße riskieren.

Entscheider wünschen sich ganzheitliche Lösung. Die Möglichkeiten, die digitale Lösungen bieten, werden von den Unternehmen durchaus erkannt; So zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sich fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) eine ganzheitliche Lösung wünscht, die sie bei der Nachverfolgbarkeit der gesamten Lieferkette unterstützen soll. Ein Drittel erwartet eine konstante Überwachung von Lieferanten und je 31 Prozent benötigen digitalen Support bei der Risikoanalyse beziehungsweise wollen eine automatische Warnmeldung erhalten, sobald sich die Risikostufe von Geschäftspartnern ändert.

Die technologischen Voraussetzungen für diese Bedürfnisse sind längst vorhanden. In der tatsächlichen Umsetzung besteht aber noch Nachholbedarf. So hatten nur 29 Prozent der Studienteilnehmer bereits eine digitale Lösung im Einsatz, um die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen. Immerhin 41 Prozent der Entscheider planten, sich innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre digitale Unterstützung zu holen. Nur 18 Prozent gaben an, keine solche Technologie zu nutzen und das auch für die Zukunft nicht vorzuhaben.

Lieferkettengesetz als digitaler Beschleuniger. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass die Regulierung durch das Lieferkettengesetz eine gewisse Schubwirkung auf die Digitalisierungsbestrebungen in Deutschland haben wird. Denn die Unternehmen müssen spätestens jetzt Lösungen für die neuen Herausforderungen finden. Es handelt sich um Investitionen, die sich kurz-, mittel- und langfristig auszahlen werden: Technologien wie Artificial Intelligence, Machine Learning und Data Analytics sparen vom ersten Einsatz an Kosten durch die schnellere und effizientere Überwachung der Geschäftspartner und den geringeren Aufwand für die Mitarbeitenden. Mittel- und langfristig erhöhen digitale Tools die Rechtssicherheit und verhindern, dass Unternehmen durch einen Reputationsverlust Kunden und Umsatz verlieren oder sie für Sanktionsverstöße zur Kasse gebeten werden. Nicht zuletzt ist eine ausgewiesene Compliance-Kompetenz auch ein Wettbewerbsfaktor, der nicht nur Geschäftspartner, sondern auch poten­zielle neue Talente überzeugt.

 


Jens-Thorsten Rauer,
Geschäftsführender Direktor
der GFT Technologies SE

 

[1] https://targens.de/news/yougov-umfrage-im-auftrag-von-targens-zeigt-mehrheit-der-deutschen-unternehmer-befuerchtet-nachteile-durch-das-lieferkettengesetz/ 

 

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