Die rasanten Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, können gerade für produzierende Unternehmen weitreichend sein. So kann sich ein vermeintlich einfaches Projekt in der Industrie 4.0 schnell als Mammutaufgabe entpuppen, die sich mit einem durchdachten und zeitgemäßen Projektmanagement jedoch gut bewältigen lässt.
Die Digitalisierung von Produktionsumgebungen gestaltet sich in der Praxis häufig komplexer als am Reißbrett. Unternehmen müssen durch die zunehmende Verschmelzung von IT- und OT-Umgebungen (Operational Technology) nicht nur in der Informationstechnologie, sondern auch in der Produktions-IT die richtigen Technologien für ihre Anforderungen auswählen und implementieren. Das gelingt nur mit Know-how in allen Bereichen, in denen Digitalisierung eine Rolle spielt – von Netzwerk und Arbeitsplatz über Datenerfassung und -management bis zur Analyse, Security und Cloud-Anbindung.
Hinzu kommt, dass Stabilität, Verfügbarkeit und Effizienz der Produktion zu jeder Zeit gesichert sein müssen – Produktionsausfälle oder -stillstände werden schnell geschäftskritisch. Daher empfiehlt es sich, Projekte dieser Art zunächst in einer Testumgebung zu beobachten, damit diese im produktiven Einsatz ausgereift und sicher implementierbar sind.
Projektmanagement 4.0: Rundumblick und Feingespür. Gerade bei der Umstellung auf neue Technologien zeigt sich, wie weitreichend Veränderungen durch die Digitalisierung sein können. So kann ein vermeintlich einfaches Projekt wie das Einbinden neuer Arbeitsmittel für Werker zur Folge haben, dass deutlich mehr betriebsinterne Systeme miteinander kommunizieren und mehr Beteiligte involviert werden müssen als gedacht – das reicht von IT-Security über IT-Service Management bis hin zu externen IT-Providern.
Häufig sind die jeweils mit der Transformation beauftragten Fachbereiche mit der Komplexität solcher Projekte überfordert, sei es aufgrund fehlender personeller Kapazitäten oder mangelnder Kenntnisse angrenzender Bereiche. Genau an dieser Stelle kommt das Projektmanagement ins Spiel. Ein Projektmanager kann hier wertvolle Hilfestellung bieten, indem er sowohl den Blick für das Detail als auch für das große Ganze hat. Dazu gehört am Beispiel einer Einbindung mobiler Endgeräte etwa, dass er auf mögliche Fallstricke und Security-Richtlinien hinweist, beim Verständnis neu gewonnener Daten unterstützt und bei Bedarf die Datenverwertung über eine Cloud-Anbindung in Erwägung zieht. Solche Aufgabengebiete werden schnell übersehen, wenn der Fachbereich eigentlich nur eine kleinere Lösung pilotieren will und unterschätzt, wie neue Technologien die betriebsinterne IT betreffen.
Zeitgemäßes Projektmanagement erfordert Umdenken. Das Projektmanagement kann sich dementsprechend nicht mehr ausschließlich an konventioneller Methodik orientieren, wie sie etwa in agilen, hybriden oder klassischen Projekten angewendet wird. Der Projektmanager erarbeitet idealerweise ein Konzept, wie die Zusammensetzung und Befähigung eines Teams zur pragmatischen Umsetzung und ein langfristiger Rollout von Anfang bis Ende aussehen könnte. Dazu gehört auch die Organisation der Strukturen, auf denen das endgültige System beruht. Dieser »Ende-zu-Ende«-Ansatz übersteigt den bisherigen Rahmen einer projektbezogenen Arbeit und erweitert das Kompetenzmodell des Projektmanagers hin zu der Ausarbeitung einer serviceorientierten Lösung.
Hauptaufgabe des Projektmanagements ist es, für den Fachbereich alle Aspekte im Blick zu behalten, seien es Ansprechpartner, Themenschwerpunkte oder Produktionsrisiken, und diese sinnvoll ins Projekt zu integrieren. Des Weiteren sollte er das Projektende nicht als Abschluss begreifen, sondern den Produkt-Lifecycle und den produktiven Regelbetrieb kennen, um so eine funktionierende und übergreifende Lösung realisieren zu können. Der Fachbereich bekommt bestenfalls schon zum Auftragsstart eine Roadmap, wie Entwicklung und Integration der Lösung gesamtheitlich vonstattengehen werden.
Herausforderungen bei der Digitalisierung. Im Gegensatz zu klassischen Projekten zeichnen sich Digitalisierungsvorhaben dabei häufig durch einen hohen Anteil nicht kalkulierbarer Ereignisse aus. Diese können schnell bei 30 bis 40 Prozent liegen und sollten in der Projektplanung berücksichtigt werden. Auch agile Methoden helfen hier nur bedingt, da im Produktionsumfeld noch viel strenger Budget, Umfang und Zeitplan festgelegt werden.
Darüber hinaus muss der Projektmanager eine einwandfreie Dokumentation und Strukturierung der eigenen Arbeit vornehmen. Für Berufseinsteiger kann zudem eine Überstrukturierung ihrer Projekte hilfreich sein, um alles zu durchleuchten und Unklarheiten transparent zu kommunizieren. So kann ein Projekt-Logbuch getroffene Entscheidungen jederzeit dokumentieren, und ermöglicht, umgesetzte Vertragsänderungen auch noch Monate später nachzuvollziehen. Ein weiterer Vorteil: Indem der Fachbereich von diesen organisatorischen Aufgaben entlastet wird, kann er sich stärker auf die neue Technologie und die interne Anwenderakzeptanz fokussieren.
Digitalisierungsprojekte im Rahmen von Industrie 4.0 bringen also einige spezifische Herausforderungen mit sich, die sich durch ein zeitgemäßes Projektmanagement frühzeitig erkennen und lösen lassen. Daneben besteht eine weitere zentrale Aufgabe eines Projektmanagers darin, ein erfolgreiches Rollen- und Stakeholdermanagement zu initiieren und zu leiten, um eine konstruktive Zusammenarbeit selbst dann zu ermöglichen, wenn ein Team mit größeren Differenzen zusammenkommt. Eine Mammutaufgabe, weil in den seltensten Fällen alle Projektbeteiligten der fachlichen Führung des Projektmanagers unterstehen und sich sowohl aus internen als auch externen Beteiligten verschiedener Unternehmen zusammensetzen können. Werden diese Herausforderungen jedoch direkt zum Projektstart strukturiert angegangen, lassen sich Missverständnisse zwischen den Projektbeteiligten vorbeugen und die geplanten Digitalisierungsvorhaben erfolgreich umsetzen.
Benedikt Neugebauer,
nach PMI zertifizierter IT-Projektmanager
bei Computacenter