Schritt für Schritt zu Industrie 4.0

Bosch – Schritt für Schritt zu Industrie 4.0

Kühlschränke, Bohrhämmer und Zündkerzen – an diese Dinge denkt man sofort beim Namen Bosch. Aber da gibt es auch die Bosch Software Innovations GmbH in Immenstaad am Bodensee, das Software- und Systemhaus der Bosch-Gruppe. Mit weltweit 600 Mitarbeitern nicht gerade ein Leichtgewicht der IT-Branche. Über die aktuellen Themen und Entwicklungen sprachen wir mit der Informatikerin Dr. Verena Majuntke, Senior Solution Architect bei Bosch Software Innovations.

Frau Dr. Majuntke, »Industrie 4.0« scheint auch bei Ihnen das große Thema zu sein. Ist das jetzt notgedrungen einem Trend geschuldet oder eine intensiv betriebene Entwicklung in Ihrem Haus?

Das ist bei uns auf jeden Fall eine ganz bewusste Entwicklung. Nun subsummiert man unter dem Begriff Industrie 4.0 ja oft eine ganze Menge und spricht bei jedem kleinen Schritt von der vierten industriellen Revolution. Für Bosch SI ist das eigentlich revolutionäre – und da wollen wir hinkommen –, mit Softwareunterstützung ein Produktionsnetzwerk zu schaffen, mit dem individuelle Produkte – Losgröße Eins – zu Kosten der Massenproduktion gefertigt werden. Damit würden wir wirklich etwas revolutionieren.

Das ist ja fast eine Vision. Ist das realistisch?

Dazu gehören natürlich etliche Voraussetzungen wie beispielsweise eine sehr flexible Produktion. Und nicht nur die Produktion muss flexibel sein, sondern auch alle Partner, die Teil des Wertschöpfungsnetzwerks sind. Vorher hatten wir so eine ganz klassische Kette: Vom Zulieferer am Beginn bis hin zum Kunden am Ende. Das wandelt sich aber zunehmend zu einem Netzwerk hin, in das auch mein Kunde zu jedem Zeitpunkt eingebunden ist und eingreifen kann. So wird die gesamte Produktion transparenter, was nicht nur für die großen produzierenden Unternehmen von Bedeutung ist, sondern auch für die kleinen und mittleren Unternehmen, die etwa als Zulieferer in dieses Wertschöpfungsnetzwerk integriert sind.

In der Automatisierungstechnik ist die Vernetzung schon vielerorts erreicht. Diese Entwicklung verläuft aber eher evolutionär, findet ihre Ausprägung in der intelligenten Fabrik. Da gibt es eine Vielzahl von Daten, die ich nutzen kann, um Produktionsprozesse zu optimieren. Aber obwohl schon viele Maschinen und Systeme vernetzt sind, ist man noch nicht an dem Punkt, an dem man in übergreifende Bereiche geht und etwa eine hoch dynamische und flexible Produktionsplanung für die gesamte Fabrik schafft, die dann auch Hand in Hand mit der Logistik, der kompletten Zulieferkette und Dienstleistungen – beispielsweise der Fernwartung – geht.

Wie versucht Bosch SI, dieses Ziel zu erreichen?

Wir sehen das ganz pragmatisch. Wir sagen nicht: Ich habe jetzt eine große Vision, eine Strategie, gemäß der ich in den nächsten fünf Jahren meine Fabrik transformiere und die ist dann intelligent. Wir versuchen eher, einzelne Bereiche deutlich intelligenter zu machen und sie zunehmend miteinander zu vernetzen. So haben wir beispielsweise für den Bereich der Prozessdatenüberwachung unsere Softwarelösung Process Quality Manager entwickelt. Mit ihr lässt sich die Fertigung vor allem sicherheitskritischer Produkte und Komponenten echtzeitnah überwachen und dokumentieren. Das ist ein vorgelagerter Schritt der Qualitätsprüfung, der eventuelle Nacharbeitskosten erheblich reduziert.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Die Geräte und Maschinen, die wir hier bereits vernetzt haben, sind zum Beispiel Schraubsysteme in der Automobilindustrie. Bisher konnte man dezentral auf dem Shopfloor beurteilen, ob die Prozessqualität in Ordnung war. Die intelligenten Schrauber stellen uns aber eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung, die wir sammeln und echtzeitnah analysieren. Sie werden dann visualisiert, sodass der Mitarbeiter in der Fertigung einen Überblick über die Prozessqualität jedes einzelnen Schraubsystems hat. Neben diesem Überblick können gezielt Informationen über einzelne Schraubvorgänge angezeigt werden sowie weitere Ansichten und Auswertungen, die systemische Analysen der erfolgten Verschraubungen erlauben und auch Trends früh erkennen lassen.

Die Schraubkurven sind Visualisierungen mit X-Y-Koordinaten, die von allen Schraubern im Werk gesammelt werden. Das sind vielleicht 2000 Geräte, die alle sechs Sekunden einen Schraubvorgang durchführen. Die Schrauber arbeiten alle mit einem bestimmten Drehmoment und einem bestimmten Anzugswinkel, der sich aber im Laufe der Zeit durch Verschleiß verändern kann. Die Schrauber-interne Software reguliert alle Parameter bis zu dem Punkt, wo es nicht mehr geht. Dann wird Ausschuss produziert. Über die Analyse der Schraubkurven lässt sich dieser Trend erkennen und man kann frühzeitig eingreifen.

Die Daten werden echtzeitnah in einer Datenbank gespeichert und im User-Interface des Webbrowsers visualisiert. Die Verschraubung, die Produkt-ID und die ID des Schraubers werden hinterlegt, sodass stets der Nachweis erbracht werden kann, welches Bauteil mit welchem Schraubsystem wann und mit welchen Prozessparametern verschraubt wurde. Weitere Anwendungsmöglichkeiten dieser Softwarelösung liegen in anderen sicherheitskritischen Fügeprozessen sowie der Schweiß- und Pumpensteuerung. Das Internet der Dinge schafft hier Transparenz.

Aber damit kann doch nicht Schluss sein? Wie nutze ich diese Erkenntnisse jetzt weiter?

Nun, auf Basis dieser Analysen und Erkenntnisse lassen sich wieder andere Prozesse automatisiert managen wie etwa das Instandsetzungsmanagement. Hier kann ich automatisiert planen, je nachdem, was mein Schrauber und mein Schweißautomat brauchen.

Das ist aber nicht das gleiche wie eine Fernwartung?

Ein sicherer Zugriff auf verteilte Anlagen und Geräte bildet die Grundlage für viele Industrie-4.0-Konzepte. Dazu gehören die Zustandsüberwachung und die vorausschauende Instandhaltung. Zu diesem Zweck haben wir unseren Remote Service Manager entwickelt, der vor allem von Maschinenherstellern und Instandhaltungsdienstleistern genutzt wird. Diese Software ist eine offene und ganzheitliche Systemplattform, die das Management für eine sichere Kommunikation von der Maschine bis zur Benutzeroberfläche des Rechners beim Servicetechniker bereitstellt.

Ein Problem dabei ist natürlich die Sensibilität der Maschinendaten, die der Kunde in der Regel nicht gerne preisgibt. Mit dem Secure Remote Access Manager erfolgt der Fernzugriff aber über ein abgesichertes Netzwerk, das mehrere Sicherheitszonen umfasst, die separat freigeschaltet werden müssen. Eine Virtual Machine für jeden einzelnen Servicefall dient als weitere Sicherheitskomponente, damit keine Malware auf Maschinen oder Endgeräte wie PCs oder Smartphones gelangen kann.

Was für aktuelle Entwicklungen gibt es bei Ihnen?

Ganz interessante Sachen. Viele Kunden treten mit ganz bestimmten Problemen an uns heran. Für einige entwickeln wir die Software für eine Sensorplattform. Am besten nenne ich einige Beispiele: Ein Kunde hatte festgestellt, dass Gussteile nach dem Verbauen häufig kleine Haarrisse hatten und wollte darum den Transport überwachen. Wir fertigten mit einem anderen Bosch-Unternehmen einen Sensor zur Messung von Erschütterungen, der mit dem Stückgut verbaut wurde. Dann entwickelten wir eine Software, die diese Erschütterungen registriert, aufzeichnet und aus der Ferne an einen Rechner meldet. So lässt sich der Transport lückenlos überwachen.

Ein anderer Kunde verspritzt Kunststoffe. Das Kunststoffgranulat muss durchgehend trocken gelagert und transportiert werden. Eine offene Lkw- oder Lagertür kann durch eindringende Feuchtigkeit enormen Schaden anrichten. Dafür wird ein Sensor eingesetzt, der neben Erschütterungen auch die Feuchtigkeit misst. Für diese Lösung gibt es auch schon die Anfrage eines großen Kaffeehändlers. Und so sind wir zurzeit dabei, auch für Temperaturmessungen – eine ganz wichtige Datenerhebung bei Bluttransporten – oder den Lichteinfall entsprechende Softwarelösungen zu entwickeln. Unsere Softwareleistung ist dabei vor allem, die gemessenen Daten von einem beliebigen Ort aus zu überwachen.

Wenn ich das richtig sehe, arbeiten Sie nicht so sehr an einem großen Masterplan, sondern gehen Schritt für Schritt, Stufe für Stufe vor?

Sagen wir das einmal so: Bosch Software Innovations arbeitet nicht an revolutionären Zielen, sondern orientiert sich am Kunden – das aber im Sinne von Industrie 4.0. Bei der Revolution, die dahinter steckt, entsteht ja nicht in einem Urknall etwas völlig Neues. Aber in 20 Jahren werden wir sicher komplett anders arbeiten als heute. Das ist der eigentliche revolutionäre Aspekt daran. Man vergleicht die heutige industrielle Revolution gerne mit der Erfindung der ersten Webstühle. Aber von denen haben eben auch nicht alle funktioniert, bis man den richtigen entwickelt hatte. Und ich glaube, wir befinden uns gerade in der Phase, in der wir verschiedene Webstühle ausprobieren. Daher haben wir in der Bosch-Gruppe die Aufgabe, Softwareinnovationen zu entwickeln, also nicht einfach die klassische Embedded-Software, die Maschinen zum Laufen bringt, sondern letztendlich die, die alles sinnvoll miteinander vernetzt und organisch zusammenwachsen lässt.

Frau Dr. Majuntke, wir bedanken uns für das Gespräch.


Das Gespräch führte Volker Vorburg