Vom Call Center zum Customer Experience Center: Viel mehr als nur Telefonate

Illustration: Absmeier

Es gab sie schon wesentlich früher, doch erst in den späten 90er Jahren entstand der Begriff Call Center, mit dem bis heute eine sehr enge Definition verknüpft ist: unzählige Anrufe am Tag mit oftmals wiederkehrenden Anfragen in einer Art Fließbandarbeit. Dabei bedeutete die Arbeit in einem Call Center schon immer viel mehr als nur Telefonate führen – sie ist eines der Aushängeschilder von Unternehmen und ein wichtiger Baustein des Customer Service. Mittlerweile hat Contact Center den ursprünglichen Begriff weitestgehend abgelöst, denn es geht nicht mehr nur um Telefonate und steht für genau das: einen wichtigen Touchpoint in der Customer Experience. Doch die nächste große Veränderung ist bereits im Gange – die Entwicklung zum Customer Experience Center.

 

Selbstverständnis und Aufgabenfeld von Contact Centern sowie deren Agenten verändern sich rasant, einerseits getrieben von der Digitalisierung und fortschrittlichen Technologien, andererseits bedingt durch die Unternehmen selbst. Denn diese haben verstanden, dass Contact Center oft einer der ersten direkten Berührungspunkte eines Kunden mit dem Unternehmen sind – eine gute und weiterführende Customer Experience ist daher unverzichtbar, um die Kundenbindung zu steigern.

 

Self-Service-Tools für eine schnellere Bearbeitung

Auch in Deutschland wird der Einsatz von KI-Technologien und Self-Service-Optionen immer wichtiger, um gestiegenen Kundenansprüchen nachkommen zu können. Zentral sind hier vor allem intelligente virtuelle Agenten (IVAs). Wo zuvor menschliche Agenten involviert waren, können IVAs einfache und wiederkehrende Kundenanfragen in kürzester Zeit bearbeiten und so einen noch schnelleren Kundenservice bieten – egal, ob als Chatbot oder virtueller Assistent. Der Einsatz dieser IVAs bedeutet jedoch keinesfalls, dass Agenten dadurch überflüssig werden, im Gegenteil: Ihr Berufsbild verändert sich und wird sogar noch wichtiger als je zuvor. Wenn einfache Anfragen und redundante Vorgänge von IVAs übernommen werden, können sich menschliche Agenten um komplexere und anspruchsvollere Aufgaben kümmern. Damit verändert sich automatisch auch das Berufsprofil der Contact-Center-Agenten und sie werden noch stärker zu Spezialisten für eine vielschichtige Problemlösung. Diesem Wandel müssen jedoch auch die Unternehmen Rechnung tragen und dafür sorgen, dass das Contact Center gut in das gesamte Unternehmen eingebunden ist und in kontinuierlichen Austausch mit anderen Abteilungen steht. Langfristig profitieren beide Seiten davon: Agenten können besonders schwierige Anfragen schnell lösen, da sie bereits einen kurzen Kommunikationsweg mit den jeweiligen Experten haben. Die Fachabteilungen erhalten wertvolles Kundenfeedback, auf das sie zeitnah reagieren können.

IVAs und menschliche Agenten müssen jedoch nicht immer strikt in ihrem Aufgabenbereich getrennt sein. Eine Kombination aus beiden Möglichkeiten kann in bestimmten Fällen die Customer Experience verbessern als es nur einem von beiden möglich wäre. So können IVAs die Stimmungslage des Kunden analysieren und komplexe oder sensible Anliegen an einen passenden menschlichen Ansprechpartner weiterleiten.

 

Künstliche Intelligenz als Entlastung für Agenten

Unternehmen können KI jedoch nicht nur für ihre Kunden einsetzen, sondern auch, um ihre Agenten zu unterstützen. Mit dem Wandel zum Customer Experience Center und den damit verbundenen gestiegenen Anforderungen an Agenten, ist es sinnvoll, entsprechende Hilfen und Tools zur Verfügung zu stellen. Mit Anleitungen und Checklisten, die Agenten in Echtzeit während einer Kunden-Interaktion abrufen können, vergessen diese keine wichtigen Punkte und erhalten zusätzlich wertvolle Tipps für eine noch bessere Gesprächsführung. Auch eine Transkription der Gespräche in Echtzeit bietet Mitarbeitern in Contact Centern einen großen Mehrwert. Sie müssen sich keine Notizen während eines Calls machen, sondern können sich voll und ganz auf den Kunden und dessen Anliegen konzentrieren. Auch die Nachbearbeitung eines Gesprächs wird damit deutlich beschleunigt. Offensichtlich erhöhen diese und ähnliche Tools die Arbeitsleistung und -qualität der Agenten, doch auch ihr Stresslevel sinkt deutlich, wenn sie derartige Arbeitserleichterungen durch KI erhalten. Es ist kein Geheimnis, dass zufriedene Mitarbeiter einen besseren Job machen – bei Agenten wirkt sich dies direkt auf die Customer Experience aus. Ein Agent, der sich ständig wiederholende, eintönige Anfrage erhält, während eines Gesprächs alle wichtigen Fragen im Kopf behalten muss, gleichzeitig Notizen machen und diese in der Nachbearbeitung aufwändig übertragen muss, hat einen höheren Stresslevel und eine größere Unzufriedenheit als ein Mitarbeiter, der in all diesen Punkten von KI und IVAs unterstützt wird und sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Ein entspannter, zufriedener Agent überträgt diese Emotionen im Kundengespräch mit seiner Stimme und geht dazu anders mit ihrerseits gestressten oder unzufriedenen Kunden um. Unternehmen tun also gut daran, bei der Implementierung von KI-Lösungen auch an die eigenen Mitarbeiter zu denken.

Contact Center sind mitten im Wandel, um noch kundenzentrierter zu werden und die stetig steigenden Kundenanforderungen noch besser abzudecken. Mit intelligenten Lösungen für beide Seiten können Unternehmen nicht nur die Produktivität und Qualität ihres Customer Services steigern, sondern Kunden und Agenten gleichermaßen zufriedenstellen und dabei ist es ganz egal, ob der Mitarbeiter in einem Contact Center oder von zu Hause aus arbeitet.

Sabine Winterkamp, Managing Director, Five9 GmbH