»Die Cebit ist Geschichte«

 

»Wir haben uns öffentlich gegenüber der Welt als bedeutender Anbieter auf dem Gebiet der Digitalisierung aufgegeben«

 

Ein Kommentar von Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer zum Ende der CeBIT

 

»Ich habe an allen CeBIT Messen als Austeller teilgenommen. Schon bei der Lösung der CeBIT aus der Hannover Messe Industrie im Jahr 1986 war ich mit einem eigenen Stand der damals noch sehr kleinen IDS Scheer vertreten. Für mich war die zunehmende Größe des Ausstellungsstandes immer ein Zeichen für unsere Wachstumsstory. Mit dem Börsengang 1999 hatten wir dann auch deutlich ein Zeichen für unsere zunehmende Internationalisierung gesetzt.

Als ich 2007 Präsident des Branchenverbandes Bitkom wurde, wurde ich automatisch Mitglied des Aufsichtsrates der deutschen Messe AG und hatte damit auch einen internen Einblick in die Gestaltung der CeBIT. Im Aufsichtsrat der Deutschen Messe AG dominierte die Politik. Das Unternehmen wird hälftig von der Stadt Hannover und vom Land Niedersachsen getragen, und der Aufsichtsratsvorsitz wechselt zwischen dem niedersächsischen Wirtschaftsminister und dem Oberbürgermeister von Hannover. Bei den Sitzungen befanden sich am U-förmigen Konferenztisch an der Stirnseite die Vertreter der Politik, an den beiden Seitenflügeln die externen Aufsichtsratsmitglieder und die der Belegschaft. Der Vorstand saß am unteren Ende des Tisches. Für mich war dieses bezeichnend für die (mangelnde) unternehmerische Kraft des Unternehmens und fehlende Fachkompetenz. Ein weiterer Einflussfaktor auf die CeBIT war der sogenannte Messeausschuss, in dem die maßgeblichen Aussteller vertreten waren. Hier dominierten die ausschließlich vertriebsorientierten Repräsentanten der großen ausländischen IT- Unternehmen. Bei ihnen galt das kurzfristige Geschäft mehr, als das Herzblut, am deutschen Standort eine weltweit führende Messe zu unterstützen.

Aus meiner Sicht liegen die Gründe für das Siechtum der CeBIT von maximalen 850.000 auf zuletzt 150.000 Besuchern damit auf der Hand. Es gab auch schon frühe Anzeichen für das inhaltliche Siechtum der CeBIT. Die Messe verlor ein Thema nach dem anderen. Die Telekommunikation wanderte nach Barcelona, die Consumer Electronics nach Las Vegas, die Funkausstellung punktet in Berlin und die aufkommende Spieleszene etablierte sich bei der Gamescom in Köln, um nur einige Beispiele zu nennen. Leider spielt Deutschland als Anbieter auf dem IT-Markt nur eine untergeordnete Rolle. Wir haben zwar mit Konrad Zuse den Computer erfunden, stellen aber keine mehr her. Aber umso wichtiger wäre es gewesen, den Standort zu unterstützen, als Motivation für eine eigenständige deutsche IT- Industrie, um mehr zu sein als nur ein Zuschauer und Schiedsrichter der Entwicklungen.

Im Rahmen eines Hintergrundgesprächs mit Medien hatte ich 2007 als Bitkom Präsident bereits darauf hingewiesen, man müsse bei der CeBIT »die Reißleine ziehen«. Aber es war wohl schon zu spät. Mehrfach wurde versucht, kleine kosmetische Änderungen bei der CeBIT einzuführen, aber eine große Kehrtwendung, um die verlorenen Gebiete wieder zurückzugewinnen, kam nicht. Auch der letzte Versuch, 2018, der CeBIT ein völlig neues Konzept zu geben, kam zu spät.

Was haben wir nun verloren? Wir haben eine Plattform verloren, auf der sich Anbieter und Anwender zu strategischen Gesprächen gefunden haben. Wir haben uns öffentlich gegenüber der Welt als bedeutender Anbieter auf dem Gebiet der Digitalisierung aufgegeben. Die CeBIT war auch Treffpunkt zwischen Politik und Wirtschaft. Bundeskanzlerin, Bundesminister und Ministerpräsidenten der Länder suchten die Gespräche. Ich muss allerdings sagen, dass die saarländischen Ministerpräsidenten, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, jeweils besonders motiviert werden mussten, den Weg nach Hannover anzutreten. Dieses habe ich bedauert, weil sich das Saarland gleichzeitig als Informatikland profilieren wollte.

Die CeBIT ist nun wieder an ihrem Anfang angelangt. Sie wird wieder in die Hannover Messe Industrie eingegliedert, von der sie sich einstmals mit großer Strahlkraft emanzipiert hatte. Man kann dies gut damit begründen, dass gerade die Digitalisierung der Industrie für Deutschland besonders wichtig ist. Auch entwickeln sich viele Industrieunternehmen zu Softwareunternehmen. Trotzdem bleibt ein großer Wehmutstropfen zurück.«

 

 

»Die Cebit ist Geschichte!«

Ein Kommentar von Dr. Carlo Velten, Senior Analyst & CEO, Crisp

 

»Was für einige irgendwie unglaublich ist und unwirklich erscheint, ist für andere nicht mal eine Randnotiz. Die Wirtschaftswoche titelte dramatisch ›Wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod‹. Und in der Tat kam die Ankündigung recht überraschend. Dennoch standen die Anzeichen seit mehreren Jahren für einen Wandel am Messeplatz Hannover. Während der Artikel in der Wirtschaftswoche einige interessante Fakten und Details bereithält, offenbart er auch den Grund für das finale Aus der Cebit – und den Paradigmenwechsel in unserer Branche – der IT-Industrie. So schreiben Thomas Kuhn und Michael Kroker, dass die ›deutsche Digitalszene‹ überrascht war und nun um ein wesentliches Event ärmer sei. Und hier liegt die Krux – die Cebit hat nie wirklich die deutsche Digitalszene repräsentiert.

Im Kontext von Digitalisierung und Cloud Computing hat eine schleichende Entmachtung der klassischen IT stattgefunden. Schon lange sind die CIOs nicht automatisch die digitalen Macher und Taktgeber der Innovation. Chief Digital Officer und technologie-affine Manager haben die Chance der Cloud genutzt. Und so werden IoT, Machine Learning oder Virtual Reality heute ›as-as-Service‹ bezogen. Und während die Cebit in Hannover zu Grabe getragen wird, feiert auf der anderen Seite des großen Teichs Cloud-Pionier AWS gerade seine große Hausmesse. Auf dieser finden sich fast 50.000 Entwickler und IT-Entscheider ein, die die nächste Generation von Anwendungen und digitalen Geschäftsmodellen in der Cloud betreiben.«

 


 

Kein Interesse an der Cebit

29.11.2018

Gestern hat die Deutsche Messe AG das Ende einer deutschen Messeinstitution bekannt gegeben. »Es wird künftig keine Cebit mehr in Deutschland geben«, so Unternehmenssprecher Onuora Ogbukagu. Den Ausschlag für diese Entscheidung haben wohl rückläufige Flächenbuchungen für die Cebit 2019 gegeben. Das Interesse an der Computermesse ist schon lange rückläufig. Das zeigen nicht nur die Besucherzahlen, sondern auch die weltweiten Suchanfragen bei Google, wie unsere Grafik zeigt. Mathias Brandt

https://de.statista.com/infografik/16252/weltweites-google-suchinteresse-am-begriff-cebit/

 

Weit entfernt von alter Größe

 

18.06.2018

120.000 Menschen haben die erste Sommer-CEBIT besucht. Die Veranstalter zeigen sich trotzdem zufrieden: »Mit ihrem neuen Konzept hat die neue CEBIT bei ihrer Premiere Aussteller und Besucher überzeugt«. Zum Vergleich: im vergangenen Jahr lockte die alte CeBIT (Schreibweise bis 2017) immerhin 200.000 Besucher auf das Messegelände in Hannover. Bei einem fünfstelligen Publikums-Rückgang von einem Auftakterfolg für »Europas Business-Festival für Innovation und Digitalisierung« zu sprechen, überzeugt indes längst nicht alle, wie etwa ein Bericht von IT Business belegt. So oder so, die goldenen Zeiten sind mittlerweile weit entfernte Vergangenheit – damals zur Jahrtausendwende, als die CeBIT noch bis zu 800.000 Besucher anzog. Mathias Brandt

https://de.statista.com/infografik/973/besucher-der-computermesse-cebit/