Satire – Unendliche Weiten

Satire: Geschäftsreisen

Das tägliche Leben im IT-Management ist härter als jede Dschungelprüfung. Heutige Prüfung: Geschäftsreisen

Die Informationstechnologie, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2015. Dies sind die Abenteuer des IT-Managements, das mit seiner 400 Mann starken Abteilung fünf Jahre unterwegs ist, um fremde Technologien zu erforschen, neue Produkte und neue Best Practices. Viele Kilometer vom Büro entfernt dringt die IT in Ortschaften vor, die nie ein Controller zuvor gesehen hat. [1]

Aber warum nur? Die unermüdlichen Forscher und Entwickler in der Informationstechnologie haben ja nun wirklich alle menschenmöglichen Anstrengungen unternommen, damit in der heutigen Zeit von gewerkschaftlich nicht richtig vertretenen Rangierlokomotivführern und am Hungertuch nagenden Flugkapitänen Geschäftsreisen eigentlich die Ausnahme, nicht aber die Regel sein sollten. Schicke Werkzeuge wie Telefonkonferenz-Räume, Videokonferenz-Programme und »Online Collaboration Facilities« sind allenthalben vorhanden und werden auch genutzt – zumindest von den Anderen, den Kunden der Informationstechnologie. Der gemeine Controller beispielsweise nutzt diese preisgünstigen Alternativen zur Geschäftsreise, weil das IT-Management ihm das so dargelegt hat und er an das von den verantwortlichen Personen aufgestellte Geschäftsszenario glaubt. Und richtig – die eingesparten Reisekosten der Belegschaft summieren sich zu so hohen Beträgen, die es dann den Mitarbeitern der EDV-Abteilung erlauben, ein paar mehr Geschäftsreisen zu unternehmen.

Denn wie sieht es aus auf deutschen Flughäfen und Bahnhöfen sowie in den Zügen und Flugzeugen? Ungefähr 95 Prozent der Reisenden haben einen Knopf im Ohr und brüllen in das unsichtbare Mikrofon Sätze, die nur zwei Schlussfolgerungen zulassen: Entweder ist der Telefonteilnehmer hochgradig gestört oder er arbeitet für oder gegen die Informationstechnologie, wobei sich die beiden beschriebenen Optionen nicht unbedingt ausschließen müssen. Wozu regen sich eigentlich alle über eine imaginäre NSA-Abhöraffäre auf, wenn auf der anderen Seite so bereitwillig Geschäftsgeheimnisse und Klarnamen der Allgemeinheit in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Verfügung gestellt werden? Oder andersherum: Warum wird zum Abhören wiederum von der Insformationstechnologie ein so riesiger technologischer Aufwand betrieben, wenn in vielen Fällen der Besitz einer Bahncard 100 und eine Investition in die eine oder andere Sitzplatzreservierung ausreichen würde? Die restlichen fünf Prozent der Reisenden fallen unterdessen nicht in die Kategorie der NSA-Spione, sie können mit den Informationen der bereitwillig Auskunft gebenden IT-Manager nichts anfangen, denn es handelt sich um Betriebsräte, Gewerkschafter und Politiker, wobei ja bei letzteren beiden Spezies bekannt ist, dass sie lieber selber reden als zuhören (und wenn es nur dazu dient, dass ehemalige grüne Spitzenpolitiker sich im Zug zwischen Berlin und Hannover selbst präsentieren und Kalauer aus ihrer tollen Karriere erzählen, um sowohl die mitgereiste Praktikantin zu beeindrucken als auch den gesamten restlichen Waggon still zu halten, weil bei der oralen Lärmemission kein Telefonat mehr möglich ist).

Woher kommt nun die Geschäftsreiselust im IT-Management? An der oben erwähnten Bereitstellung von notwendigen Werkzeugen kann es nicht liegen, denn die werden zusätzlich zur Dienstreise rege genutzt. Damit können schließlich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: unterwegs sein mit dem Weg als Ziel und, um nicht während der Zugfahrt einer ehrlichen Arbeit nachgehen zu müssen, zumindest die eine oder andere Telefonkonferenz. (Videokonferenzen in der Bahn sind eher selten, denn die Controller an den Geräten am Schreibtisch möchten nicht wirklich sehen, wie sich der bahnfahrende IT-Manager beim Telefonat die Fußnägel abknipst, die Erträge aus seiner Nase der Größe nach auf der Tastatur vor sich ordnet oder einfach ein Dosenbier nach dem anderen in sich hineinkippt.) Okay Hand aufs Herz, es gibt anscheinend auch Soziopathen unter den ITManagern, die sich still vor ihren Computer setzen und dort anscheinend eine wichtige Arbeit erledigen. Aktennotiz für eine Geschäftsidee: Eine App, die angemeldete Teilnehmer wahllos zu Telefonkonferenzen zusammenschaltet, damit sie nicht einsam und allein und vor allem unwichtig erscheinend arbeiten müssen, sondern sich zu allen möglichen Trends austauschen können, finanziert durch Werbeeinblendungen, mit Protokollservice, damit auch ein konformer Arbeitsnachweis für das Controlling vorliegt.

Also noch einmal, wieso sind IT-Manager dauernd auf Achse? Auf der einen Seite liegt es daran, dass die IT zwar Werkzeuge bereitgestellt hat, die eine Geschäftsreise überflüssig machen, es aber versäumt hat, das Flair der großen weiten Welt auf die Bildschirme der Anwender zu bringen. Jetzt könnten natürlich mit der automatisierten Softwareverteilung sofort Flugzeug- und Loksimulatoren an alle Nutzer verteilt werden, aber das ist ja nicht richtig, nur eine Minderheit aus dem IT-Management verfügt über eine gültige Pilotenlizenz oder Lok-Führerschein. Wichtig ist doch das authentische Erlebnis. Es bräuchte also Passagiervarianten für die Simulatoren, inklusive der nervigen Mitreisenden, die einem dauernd auf den eigenen Bildschirm starren, den Kampf um die Armlehnen nachstellen und vielleicht am allerwichtigsten: es bräuchte einen eingebauten Bringdienst-Knopf, nach dessen Auslösung eine trübe, braune, übelschmeckende Brühe an den Platz gebracht wird, der in den Bahnen ansonsten als Filterkaffee verkauft wird. Zusätzlich bräuchte es noch virtuelle Grenzübergänge, die einem eine gehörige Portion an Arbeitszeit stehlen, weil im Vorhof des Übergangs nicht telefoniert werden darf und man entweder in einer langen Schlange vor dem einzigen für Ausländer zugelassenen Grenzhäuschen steht (Auslandsgrenze) oder aber in einer langen Schlange vor den EU-Grenzhäuschen an einem deutschen Flughafen steht, weil alle Schalter durch Nicht-EU-Bürger blockiert werden, die nur eine karlukische Sprache sprechen und auch nicht zu den Grenzhäuschen mit dem Vermerk »Alle Pässe« geschickt werden, weil sich der Bundespolizist danach höchstwahrscheinlich wegen Ausländerfeindlichkeit vor der BILD-Zeitung verantworten muss, weil zufällig der ehemalige grüne Spitzenpolitiker nebenan am Diplomatenpass-Schalter steht und die Ungerechtigkeit mitbekommen hat. Nein – so etwas zu simulieren, würde das IT-Budget im Jahr 2015 sprengen. Und deshalb geht das IT-Management dann doch lieber auf Geschäftsreise. Budget genug ist ja vorhanden, wenn sich alle anderen der von der IT bereitgestellten Werkzeuge bedienen würden.


autor_christph-luederChristoph Lüder,
LEXTA CONSULTANTS GROUP, Berlin
[1] In Anlehnung an »Raumschiff Enterprise«, Intro

 

Illustration: © Kozachenk Maksym/shutterstock.com 

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