Simulationsprojekte erfolgreich umsetzen – Digital Twin & Co für KMU

Mithilfe von Simulationstechnologien Produktions- und Fertigungsabläufe optimieren – für kleine und mittlere Unternehmen ein oft (zu) steiniger Weg. Warum lohnt es sich, diesen zu überwinden? Und wie gelingt es am besten?

Die schlagkräftigsten Argumente, wenn es um den Einsatz von Simulationstechnologien geht: Kosten- und Zeitersparnisse. Die größten Hürden: Ressourcen- und Know-how-Mangel. Mit letzteren kämpfen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und büßen dadurch (oft massiv) an Wettbewerbsfähigkeit ein. Denn während es für große Unternehmen längst zum Alltag gehört, die zeit- und kostenintensive Herstellung von realen Prototypen oder Systemen durch den Einsatz von Simulationstechnologien spürbar zu verbessern, können die Produktentwickler von KMU oder Mittelständlern seltener auf diese komfortable Variante zurückgreifen. Die wenigsten von ihnen verfügen über ausreichend leistungsfähige Computer oder gar große (Höchstleistungs-) Rechenzentren. Diese sind für den hohen Rechenaufwand, den die oftmals sehr komplexen Simulationen meist erzeugen, aber durchaus erforderlich. Oft mangelt es den Unternehmen außerdem am notwendigen Fachwissen, um die Simulationstechnologien dann auch erfolgreich umzusetzen. Viele trauen sich aus diesem Grund gar nicht erst an die Materie heran.

Externe Hilfestellung in allen relevanten Bereichen. Doch es gibt Hilfe: Zahlreiche Forschungsinstitute (wie beispielsweise das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA [1]), Softwarehersteller und Dienstleister sowie spezielle branchenorientierte Simulationszentren ermöglichen einen Know-how-Transfer und/oder verschaffen KMU den Zugang zu Simulationstechnologien. Finanzielle Unterstützung leisten unterschiedliche Landes- und Bundesförderprogramme [2]. Große Rechenzentren, wie beispielsweise das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS [3]), bieten außerdem ihre Rechnerkapazitäten zu attraktiven und rein nutzungsbasierten Preisen an. Unternehmen, die umfassende Investitionen in die IT-Landschaft nicht stemmen wollen oder können, können dieserart trotzdem erfolgreiche Simulationsprojekte umsetzen – und so den Anschluss an den Wettbewerb halten.

Simulationen für eine verbesserte Realität. Die Arbeit des Fraunhofer IPA zeigt beispielhaft, wie hoch der Mehrwehrt beim Einsatz von Simulationstechnologien im Produktionsumfeld sein kann. Eine dort durchgeführte Forschungsaktivität aus der Welt der Digital Twins beschäftigt sich mit dem sogenannten »Griff in die Kiste«, also der roboterbasierten Vereinzelung chaotisch bereitgestellter Teile. In Industrieanwendungen muss der Roboter hierbei Bauteile schnell erkennen, sicher greifen und ablegen können. Der hohe Konfigurationsaufwand und die Notwendigkeit von Expertenwissen jedoch schränkt gerade bei hoher Variantenvielfalt der Bauteile die Skalierbarkeit ein. Auch das verhakungsfreie Greifen der Bauteile oder die vollständige Entleerung der Kiste sind als wichtige Qualitätskriterien nicht immer garantiert. Die Forscher des Fraunhofer IPA bauen deshalb eine virtuelle Lernumgebung, einen digitalen Zwilling, auf. Hier trainieren die Roboter bereits vor Inbetriebnahme neuronale Netze. Der »Griff in die Kiste« wird also zunächst nur simuliert. Die vortrainierten Netze werden anschließend auf den realen Roboter übertragen. Im Vergleich zur früheren Methodik bietet dies eine Zeitersparnis von über 50 Prozent. Die KI-basierte Objektlageschätzung liefert dabei robuste und akkurate Objektlagen in wenigen Millisekunden. Aufgrund der Selbstkonfiguration des Systems auf Basis eines CAD-Modells ist kein Expertenwissen für die Inbetriebnahme mehr erforderlich.

Neutrale und kostenfreie Unterstützung. Beispiele wie dieses zeigen, warum (gerade auch) KMU den Einsatz von Simulationstechnologien für sich nutzen sollten. Unternehmen, die nicht genau wissen, wo und wie sie dafür die richtigen externen Partner finden, erhalten Unterstützung bei der Sicos BW GmbH [4]. Die Organisation berät seit über zehn Jahren speziell KMU rund um die Bereiche Simulation und High Performance Computing (HPC) sowie Data Analytics und künstliche Intelligenz (KI) – neutral und kostenfrei. Möglich ist dies aufgrund finanzieller Unterstützung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden–Württemberg (MWK) sowie der Sicos-BW-Gesellschafter. Interessierte Unternehmen (vor allem in Baden-Württemberg, aber auch bundesweit) erhalten von und mit den Experten Informationen über Anwendungsmöglichkeiten und Werkzeuge, Zugang zu Höchstleistungsrechnern und Unterstützung bei der passenden Auswahl der Partner. Ziel ist es, dass die Unternehmen mithilfe von Partnern oder bestenfalls eigenständig in der Lage sind, Simulations- und Visualisierungstechnologien sinnvoll einzusetzen und deren Potenzial gewinnbringend für sich auszuschöpfen.

Internes Know-how aufbauen. Ein anderer, zielführender Schritt in die Welt der Simulationstechnologie: Weiterbildungsprogramme im Bereich des High Performance Computing (HPC). Denn gerade für KMU ist es in Zeiten des Fachkräftemangels schwierig(er), entsprechende Experten für sich zu gewinnen. Das Know-how bestehender Mitarbeiter auf- und auszubauen ist umso wichtiger. Fortbildungseinrichtungen, wie beispielsweise die Supercomputing-Akademie, vermitteln Interessierten und Fortgeschrittenen praxisorientierte Kenntnisse und Fähigkeiten im Höchstleistungsrechnen sowie in der numerischen Simulation [5]. Die Akademie basiert auf den Ergebnissen des Projekts »Modulare Weiterbildung zum HPC-Experten (MoeWE)«, das vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie dem MWK gefördert wurde [6].

Fazit. Sei es mithilfe externer Unterstützung oder aus eigener Kraft: Unternehmen, die Simulationstechnologien für sich einsetzen, sichern sich erhebliche Wettbewerbsvorteile, die es keinesfalls zu verschenken gilt; erst recht nicht als KMU.

 


Dr. Andreas Wierse, (l.)
Geschäftsführer
Sicos BW GmbH
Prof. Dr. Marco Huber,
Abteilungsleiter Cyber Cognitive Intelligence,
Fraunhofer IPA

 

[1] https://www.ipa.fraunhofer.de/
[2] https://www.sicos-bw.de/foerderprogramme/
[3] https://www.hlrs.de/de/
[4] https://www.sicos-bw.de/
[5] https://www.supercomputing-akademie.de/
[6] https://www.bw-profitiert.de/best-practice-eu-foerderung/moewe.html

 

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