Unternehmen machen Rückschritte bei der digitalen Zusammenarbeit

Illustration: Absmeier Geralt

Der Collaboration Maturity Score beträgt auf der Skala von ein bis fünf nur noch 3,2 – minus 0,2 Punkte im Vergleich zum Vorjahr.

 

Normale Schwankungen oder Beginn eines langfristigen Trends? In der diesjährigen Auswertung des Collaboration Maturity Score erreichen deutsche Unternehmen nur noch einen Wert von 3,2 auf einer Skala von eins bis fünf – ein Minus von 0,2 Punkten im Vergleich zum Vorjahr. Dieses Ergebnis berechnet sich aus den Antworten von IT-Entscheidern zum Status und den Praktiken bei der digitalen Zusammenarbeit in ihrem Unternehmen im Rahmen der Collaboration-Maturity-Studie von Atlassian, einem Anbieter von Software für Teamzusammenarbeit und Produktivität [1]. Damit sind Fernarbeit und Kollaborations-Tools zwar weiterhin fester Bestandteil deutscher Unternehmen, allerdings stellt sich die Frage, ob sie ihre Kollaborationskultur nicht mehr so stark priorisieren wie noch während der Hochphase der Covid-19-Pandemie. Kann dies auch der Grund dafür sein, dass der Reifegrad nicht mehr so hoch ist wie im vergangenen Jahr?

 

Deutsche Unternehmen schneiden in allen Bereichen schlechter ab

So bestätigen mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent), dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen ihre Vision für Kollaboration und damit verbundene Aktivitäten unterstützen. Diese Unterstützung ist grundsätzlich entscheidend, damit eine Kollaborationsstrategie umgesetzt und weiterentwickelt werden kann. Im letzten Jahr lag die Zustimmung jedoch höher, weshalb der Score bei dieser Frage um 0,1 Punkte auf 3,4 in diesem Jahr gesunken ist. Und auch bei der Frage, ob sie ihre Projekte und Prozesse regelmäßig und kontinuierlich verbessern, erreichten die deutschen Unternehmen mit 3,6 Punkten zwar abermals den höchsten Score unter allen Fragen, aber auch dieser ist 0,2 Punkte niedriger als noch im vergangenen Jahr. Noch schlechter sieht es bei den regelmäßigen Feedbackschleifen aus, die eigentlich dazu beitragen sollen, Projekte und Prozesse zu steuern: Hier ist der Score sogar um 0,4 Punkte auf nur noch 3,3 gefallen.

Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass Unternehmen nicht mehr versuchen, ihre Kollaborationskultur weiter zu verbessern und sich stattdessen mit dem Status quo zufrieden geben oder sogar in ihren Bemühungen nachlassen. Ein Indiz für diese Annahme liefern Fragen, die speziell die Weiterentwicklung der Kollaborationsstrategie fokussieren: Lediglich 44 Prozent der befragten IT-Entscheider berichten, dass bei ihrem Arbeitgeber ein spezielles Team zur Förderung der Kollaboration im Unternehmen existiert. Das Resultat ist ein Maturity Score von 2,9 (minus 0,1 Punkte) bei dieser Frage. Und nur 39 Prozent der Unternehmen verfügen über ein Center of Excellence, um ihre Kollaborationsfähigkeiten zentral zu sammeln und einzusetzen. Im letzten Jahr waren es noch 47 Prozent, entsprechend ist der Maturity Score für diese Frage um 0,2 Punkte auf 2,7 gesunken.

»Nach zwei Jahren Pandemie herrscht vielleicht in Unternehmen die Meinung vor, dass sie alle inzwischen nötigen Maßnahmen umgesetzt und alle erforderlichen Tools implementiert haben, um eine effektive Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern zu ermöglichen. Dabei vergessen sie eins: Stillstand wird schnell zu Rückstand«, sagt Felix Kugler, Manager Channel DACH, bei Atlassian. »Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Unternehmen im letzten Jahr tatsächlich Rückschritte gemacht haben – und sie müssen schnellstmöglich gegensteuern. Das heißt, weiter in neue Tools investieren, Best Practices verfeinern und im ganzen Unternehmen implementieren. Wir sind jetzt aber auch an dem Punkt, an dem Unternehmen beim Thema Kollaboration weiterdenken müssen und sich nicht nur auf die Standardwerkzeuge konzentrieren sollten. Diese haben sie inzwischen im Großen und Ganzen eingeführt. Die Frage ist also, welche Prozesse können sie noch wie optimieren, damit am Ende Mitarbeiter und Unternehmen gleichermaßen von guter Kollaboration profitieren.«

 

Investitionen an der falschen Stelle?

Unternehmen sollten sich auch fragen, ob sie ihre Investitionen richtig einsetzen. Denn auch in den vergangenen zwölf Monaten haben sie laut der befragten IT-Entscheider durchaus in neue Kollaborations-Technologien und Tools investiert: Ganz oben stehen Tools für Projektmanagement (46 Prozent), gefolgt von Tools für ein soziales Intranet, Chats oder Instant Messaging (34 Prozent) und Wissensmanagement (33 Prozent). Nur knapp ein Viertel (23 Prozent) gibt an, keine entsprechenden Investitionen getätigt zu haben, minimal mehr als noch im letzten Jahr (20 Prozent).

Und für die nächsten zwei Jahren planen die IT-Entscheider ebenfalls neue Tools anzuschaffen, in erster Linie für Videokonferenzen (38 Prozent), Projektmanagement (34 Prozent) und Wissensmanagement (34 Prozent). Bei der Frage, welche Veränderungen sie in ihrem Unternehmen umsetzen möchten, zeigt sich allerdings, dass die IT-Entscheider eher andere Baustellen sehen: Zwar möchte ein Viertel (25 Prozent) gerne ein Tool für Wissensmanagement anschaffen. 23 Prozent sehen aber auch die Notwendigkeit, die Teamstrukturen zu verändern und 21 Prozent der IT-Entscheider wollen ein zentrales Kollaborationsteam oder einen Kollaborationsmanager einführen.

Offenbar ist den IT-Verantwortlichen durchaus bewusst, dass nicht nur Tools alleine für die Kollaborationskultur entscheidend sind, sondern auch strukturelle Veränderungen nötig sind. Was aber hält sie davon ab, diese umzusetzen: Dies sind zum einen die hohen Kosten (34 Prozent), zum anderen aber auch unklare Zuständigkeiten (30 Prozent), eine Unternehmenskultur, die wenig offen für Änderungen ist (28 Prozent) und schlicht fehlendes Know-how (27 Prozent).

 

Deutschland und Frankreich im Gleichschritt in die falsche Richtung

Die Situation in Deutschland ähnelt stark der in Frankreich, wo die Collaboration-Maturity-Studie ebenfalls zum zweiten Mal durchgeführt wurde. Auch die französischen Unternehmen erreichten im vergangenen Jahr noch einen Score von 3,4 auf der Skala von eins bis fünf, der in diesem Jahr jedoch auf 3,2 gefallen ist. Dennoch schneiden sie in mancherlei Hinsicht aktuell besser ab als die deutschen Unternehmen: So erzielen sie einen Wert von 3,5 für den Einsatz cloudbasierter Tools, mit denen sie beispielsweise bei Wachstum einfacher skalieren können. In Deutschland beläuft sich der Wert dafür nur auf 3,1. Auch bestätigen mehr französische IT-Entscheider, dass ihr Unternehmen Kollaborations-Tools eingeführt hat, die für alle Mitarbeiter einfach zu nutzen sind. Entsprechend liegt der Maturity Score bei 3,6 und damit 0,3 Punkte höher als bei deutschen Unternehmen. Gleichzeitig verfügen allerdings noch weniger Unternehmen in Frankreich über ein eigenes Team für Kollaborationsfähigkeiten als in Deutschland, weshalb dieser Score für erstere bei 2,7 liegt.

Insgesamt zeigt sowohl die Auswertung aus Deutschland als auch die Auswertung aus Frankreich, dass kleine Unternehmen mit bis zu 99 Angestellten die größten Probleme bei der Förderung der digitalen Zusammenarbeit haben. Während allerdings deutsche Unternehmen mit einer Belegschaft zwischen 500 und 999 Mitarbeitern mit Abstand den besten Wert erreichen (3,6) sind es in Frankreich zudem noch die Unternehmen mit mehr als 999 Angestellte. Bei beiden Gruppen beträgt er 3,4. »Es ist nicht verwunderlich, dass größere Unternehmen bei der digitalen Zusammenarbeit weiter sind. Ihr Bedarf an klaren Prozessen ist oft größer, da eine ineffiziente Zusammenarbeit und eine falsche Ausrichtung in größeren Unternehmen schnell zu größeren Misserfolgen führen kann«, fügt Kugler hinzu. »Aber auch kleine Unternehmen sollten eine gründliche Strategie für die Zusammenarbeit, Tools und Prozesse einführen und diese ständig aktualisieren. Das kann ihnen dabei helfen, ihren Wachstumskurs zu beschleunigen.«

 

[1] Collaboration-Maturity-Studie – Methodik
Die von Atlassian in Auftrag gegebene und durch YouGov durchgeführte Online-Erhebung zum Thema digitale Zusammenarbeit fand zwischen dem 15. und 22. März 2022 in Deutschland sowie zwischen dem 18. Und 24. März 2022 in Frankreich statt. In Deutschland wurden insgesamt 256, in Frankreich 263 IT-Entscheider sowohl zu den Entwicklungen hinsichtlich der digitalen Zusammenarbeit sowie zu den Herausforderungen und Digital-Collaboration-Investitionen befragt.

 

 

Collaboration Maturity Score – Legende

Die befragten IT-Entscheider haben zwölf Fragen beantwortet. Die Antwortmöglichkeiten reichten in fünf Abstufungen von »Stimme überhaupt nicht zu« bis »Stimme voll und ganz zu«. Auf Grundlage der Einschätzungen lässt sich der Atlassian Collaboration Maturity Score berechnen. Dieser Score, der einen Wert von eins bis fünf erreichen kann, spiegelt den Reifegrad der digitalen Zusammenarbeit wider.

Wert 1-2: Unternehmen sind weitestgehend ahnungslos darüber, wie sie moderne Formen der digitalen Zusammenarbeit umsetzen können. Sämtliche Unternehmensressourcen sind lediglich im lokalen Netzwerk und nicht remote verfügbar.

Wert 2-3: Unternehmen stehen noch ganz am Anfang, wenn es darum geht, ihre Mitarbeiter mit der nötigen Hardware für Remote Work auszustatten. Videokonferenzen, Cloud-Speicher, digitale Workspaces werden noch experimentell getestet.

Wert 3-4: Unternehmen haben erkannt, dass die Übertragung ihrer Infrastruktur, Workloads und Prozesse in die Cloud unumgänglich ist. Die Cloud ist mehr als nur ein Speicherplatz, sondern wird stattdessen zur einfachen Skalierung und insbesondere als grundlegende Plattformtechnologie zur effektiven Zusammenarbeit eingesetzt. Remote Work wird zunehmend praktiziert und ist unternehmensweit verbreitet. Die meisten Mitarbeiter sind sicher in der Nutzung grundlegender digitaler Kommunikationstools.

Wert 4-5: Unternehmen haben erkannt, dass es mehr braucht als Videokonferenz-Lösungen, um ihren Teams eine Grundlage für Erfolg und reibungslose Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens zu schaffen. Ein fortschrittlicher Tech-Stack sowie moderne Prozessstrukturen, zum Beispiel durch agile Methoden, gehören ebenfalls dazu. Außerdem ergreifen diese Unternehmen Maßnahmen, um hierarchische Strukturen aufzubrechen und ihre Kultur anzupassen. Nur wenige Unternehmen haben diesen Reifegrad bereits erreicht. Diese profitieren von effizienteren, kreativeren und lösungsorientierteren Teams, was in einem erfolgreicheren Geschäft resultiert.