Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Brexit?

foto cc0 pixabay petelinforth westminster dramatisch

foto cc0

Der neue ifo-Präsident Clemens Fuest hat den Brexit bedauert. »Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft«, sagte er am Freitag nach dem Referendum. »Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt. Es ist wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt.«

Das ifo Institut hatte bereits im März vor einem Brexit gewarnt. »Ein Austritt Großbritanniens hätte viele negative wirtschaftliche Folgen für das Land, aber auch für die EU und Deutschland«, sagte Gabriel Felbermayr, Leiter des ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. Im schlimmsten Fall würde der Freihandel gestoppt, die Binnenmarktregeln verfallen, Zollschranken würden wieder errichtet. »Der Handel würde dann richtig teuer – insbesondere für Großbritannien. Denn für die Briten ist der EU-Markt sehr viel wichtiger als Großbritannien für die allermeisten EU-Mitgliedstaaten. Auch auf BMW mit seiner Mini-Fabrik in Oxford würden höhere Kosten zukommen.«

Felbermayr fügte hinzu: »Deutschland würde auch einen wichtigen Partner verlieren. Großbritannien und Deutschland vertreten beide marktwirtschaftliche Prinzipien, anders es als Frankreich in vielen Fragen tut.« Obendrein fiele der britische Nettobeitrag an die EU weg, Deutschland müsste möglicherweise mehr zahlen.

Handelshemmnisse würden auch entstehen, wenn nach einem Austritt die Beziehungen zur EU so geregelt würden wie mit der Schweiz. Mit der Schweiz gibt es 120 Abkommen, die einen direkten Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen. »Es würde Jahre dauern, die Verträge für Großbritannien auszuhandeln«, fügte Felbermayr hinzu.

Die günstigste Regelung für den Handel wäre das Modell Norwegen: Großbritannien bliebe im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Wie Norwegen müsste auch Großbritannien etwas Geld in die Gemeinschaft einzahlen, hätte bei der Rechtssetzung der EU aber kein Mitspracherecht.

Deutsche Ökonomen gegen Brexit

Eine überwältigende Mehrheit deutscher Volkswirte ist gegen einen Brexit. Das hatte das ifo Institut im Mai 2016 ermittelt. 85 Prozent sind dagegen, nur 10 Prozent befürworten ihn, wie aus dem neuesten Ökonomen-Panel hervorgeht, das das Institut zusammen mit der FAZ veranstaltet. »Dieses Meinungsbild passt erstaunlich gut zur Einschätzung der Experten aus dem World Economic Survey (WES) des ifo Instituts: Im April wurden über 700 Experten aus 113 Ländern zum Brexit befragt. 86,6 Prozent der Teilnehmer waren gegen den Brexit«, sagte Niklas Potrafke, der Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Ein Brexit brächte laut 54 Prozent der Befragten des Panels starke ökonomische Nachteile für das Land, weitere 32 Prozent sehen geringe wirtschaftliche Nachteilte für das Vereinigte Königreich. Für die deutsche Wirtschaft befürchten 65 Prozent bei einem Brexit nur geringe ökonomische Nachteile, 12 Prozent immerhin erwarten starke Nachteile.

Einer der Volkswirte schrieb: »Ein Brexit würde ökonomisch und politisch allen Seiten nur Nachteile bringen und Europa destabilisieren. Schade, dass Großbritannien nicht sein ganzes Gewicht in Europa einbrachte, sondern zu passiv war.« Ein anderer merkte dagegen an: » Ein Brexit bringt langfristig erhebliche Vorteile für die gesamte EU, da Großbritannien eine Bremse für die europäische Integration ist.« Bei einer weiteren Frage sprachen sich 93 Prozent der Volkswirte gegen ein Ausscheiden Deutschlands aus der EU.

Mehr als ein Drittel der Firmen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland befürchtet bei einem Brexit negative Auswirkungen auf ihr Geschäft. Genau sind es 38 Prozent der Befragten, wie das ifo Institut mitteilte. Keine Auswirkungen erwarten hingegen knapp 61 Prozent, positive Folgen gerade einmal ein Prozent. Insbesondere große Unternehmen mit über 500 Beschäftigten sind unruhig. Hier rechnen sogar 53 Prozent mit negativen Auswirkungen bei einem Brexit. Wenn Unternehmen im Exportgeschäft tätig sind, ist der Anteil ebenfalls leicht höher als im Schnitt, nämlich 41 Prozent.

grafik ifo brexit auswirkungen


Besonders viele Unternehmen der Elektro-Industrie sehen sich negativ betroffen (52 Prozent), in der Automobilherstellung (49 Prozent), in der Metallbranche (45 Prozent) und im Maschinenbau (43 Prozent). Fast durchschnittlich betroffen fühlen sich die Chemiesparte (39 Prozent), unterdurchschnittlich die Branche Nahrungsmittel, Getränke und Tabak (28 Prozent) sowie Textilien, Bekleidung und Leder (21 Prozent).

Zwischen dem 6. Juni und dem 21. Juni hat das ifo Institut bei seinem Konjunkturtest 1478 Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland nach den Auswirkungen eines Brexit befragt.  

Die Folgen des Brexit

Am 23. Juni 2016 haben sich die Bürger des Vereinigten Königreichs in einem Referendum für den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union entschieden. Die Konsequenzen eines Brexit hat das ifo Institut bereits im Jahr 2015 in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung untersucht.

Das Vereinigte Königreich hat sich in den vergangenen Jahren zum zweitgrößten (nach Deutschland) beziehungsweise drittgrößten (nach Deutschland und Frankreich) Nettozahler der EU entwickelt und überwies 2014 netto fast 10 Milliarden Euro nach Brüssel. Das Land ist weder Mitglied der Eurozone noch des Schengen-Raums. Bestimmte EU-Regeln, wie etwa die EU-Personenfreizügigkeit oder die europäische Arbeitszeitrichtlinie, sind zunehmend in der Kritik.

Die Berechnung der wirtschaftlichen Effekte eines EU-Austritts ist mit zahlreichen Unsicherheiten verknüpft und muss auch mögliche Übergangsfristen berücksichtigen. Um die Bandbreite möglicher Effekte abzuschätzen, wurden in der Studie drei Szenarien entwickelt.

Im Best-Case-Szenario finden Großbritannien und die EU-Länder zusammen eine Lösung, die die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich hält. Dies könnte nach der Norwegen-Regelung erfolgen: Trotz eines EU-Austritts würde Großbritannien durch den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im europäischen Binnenmarkt vertreten sein. Vorteile hätte diese Regelung besonders für Unternehmen, die im EU-Raum agieren. So würde sich an den Handelsvereinbarungen wenig ändern. Wie Norwegen müsste auch Großbritannien in die Gemeinschaft einzahlen. Bei der Rechtssetzung der EU dürfte Großbritannien aber nicht mehr mitreden.

Das zweite Szenario wäre eine Regelung nach dem Vorbild der Schweiz. Einigen sich Brüssel und Großbritannien darauf, dass sich Großbritannien von der EU abkoppelt, könnte ein Freihandelsabkommen nach dem Schweizer Modell vereinbart werden. Die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz werden in 120 Abkommen geregelt, die einen direkten Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen. Es würde nicht nur Jahre dauern, die Verträge für Großbritannien aufzusetzen, auch mit Handelshemmnissen müssten wir rechnen.

Das Schreckensszenario. Die Europäer wären wenig kompromissbereit. Ein Freihandelsabkommen hätte keine Chance, und die Binnenmarktregeln würden verfallen. Der Handel würde dann wegen der Zölle richtig teuer werden – insbesondere für Großbritannien. Denn für die Briten ist der EU-Markt sehr viel wichtiger als Großbritannien für die allermeisten EU-Mitgliedstaaten. Aber auch auf deutsche Automobilunternehmer mit Produktionsstädten in Großbritannien würden höhere Kosten zukommen.

Im Jahr 2030, also zwölf Jahre nach einem möglichen Brexit, ist davon auszugehen, dass die negativen Effekte ihre volle Wirkung zeigen: Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung Großbritanniens könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 zwischen 0,6 % und 3 % geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.

Für Deutschland und die restliche EU hingegen würden wirtschaftliche Wohlfahrtsverluste eines Brexit deutlich geringer ausfallen. Abhängig vom Ausmaß der handelspolitischen Isolierung Großbritanniens würde das reale BIP in Deutschland je Einwohner im Jahr 2030 bei einer Betrachtung der reinen Handelseffekte nur zwischen 0,1 % und 0,3 % geringer ausfallen als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU. Einzelne Branchen wären wiederum unterschiedlich von geringeren Exporten in das Vereinigte Königreich betroffen. Der größte Rückgang würde in der Kfz-Branche mit bis zu 2 % anfallen. Neben der Kfz-Branche müssten auch die Elektronik-Branche, die Metallerzeugung und die Lebensmittelbranche mit negativen Einschnitten rechnen.

Neben den ökonomischen Wachstumsverlusten müssten sich die verbleibenden EU-Staaten auf zusätzliche Mehrausgaben für den EU-Haushalt einstellen. Durch den Ausfall der britischen Beiträge müsste beispielsweise Deutschland als größter Nettozahler jährlich zusätzlich 2,5 Milliarden Euro brutto beisteuern.

ifo Projekt

Kosten und Nutzen eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union

Vortrag

Brexit: Eine volkswirtschaftliche Einordnung
Gabriel Felbermayr, 30. Mai 2016 (PDF)


Brexit – Was Unternehmen tun können, um die Auswirkungen zu mildern

Was bedeutet der Brexit für die E-Commerce-Branche?

Mehrkosten durch den Brexit

Schreiben Sie einen Kommentar