Großbritannien hat entschieden – dem Brexit steht nichts mehr im Wege. Der Brexit wird für den grenzüberschreitenden Online-Handel weitreichende Folgen haben. Er bedroht nicht nur ein Milliardengeschäft, sondern wird vor allem rechtliche Konsequenzen mit sich bringen, die eine Neuverhandlung bestehender Gesetze erfordert und vor allem eine Phase der Ungewissheit einläutet.
E-Commerce in Großbritannien: Der Brexit bedroht ein Milliardengeschäft
Ein Brexit bedeutet einen Rückschritt für den europäischen E-Commerce, der mit einem Anteil von 60 Prozent die stärksten Umsätze in Großbritannien, Frankreich und Deutschland verzeichnet. Die Konsequenzen für Online-Händler sind weitreichend. Wir sehen die Last vor allem auf den kleinen- und mittelständischen Online-Händlern, die es schwer haben könnten, eventuelle höhere Versandkosten zu tragen und bürokratische Hürden, wie mögliche Wiedereinführung von Zöllen und der Einfuhrumsatzsteuer, zu überwinden.
Im Gegensatz zu Großkonzernen ist es für diese Online-Händler schwer strategische Partnerschaften aufzubauen, um die Beschaffung und den Vertrieb ihrer Waren weiterhin effizient zu gestalten. Auch wirkt der Brexit den Bestrebungen und dem europäischen Gedanken eines vollharmonisierten E-Commerce-Marktes stark entgegen«, sagt Florian Seikel, Hauptgeschäftsführer Händlerbund e. V.. Der Händlerbund, mit 50.000 geschützten Onlinepräsenzen Europas größter Onlinehandelsverband, setzt sich seit Jahren in Zusammenarbeit mit dem europäischen Dachverband Ecommerce Europe aktiv für die Internationalisierung und Stärkung des europäischen Online-Handels ein.
Konsequenzen:
- Möglicherweise Verzollung bei der Einfuhr
- Einfuhrbesteuerung, weil nach dem Brexit die Lieferung in ein Drittland erfolgt
- Gefahr der Doppelbesteuerung
- Eventuell höhere Versand- beziehungsweise Transportkosten weil kein EU-Ausland
Zahlen des aktuellen European B2C-E-Commerce-Reports:
- Anstieg auf 455,3 Milliarden Euro Umsatz (Wachstumsrate von 13,3 % 2015)
- 296 Millionen Onlinekäufer
- 43 % der EU-Bevölkerung kaufen online ein
- 16 % der KMU verkaufen online
- 7,5 % der KMU verkaufen online auch ins Ausland
Statement rechtliche Konsequenzen
Die Rechtslage für den europäischen E-Commerce war bisher zu großen Teilen harmonisiert. Mit der Verbraucherrechte-Richtlinie wurden die Verbraucherrechte weitestgehend vereinheitlicht. Diese Regelung steht mit dem Brexit auf der Kippe. Unter anderem bringt das harmonisierte Wettbewerbsrecht eine Rechtshoheit des EuGH mit sich. Im Falle eines Austritts mit entsprechender Vereinbarung, müssten sich englische Gerichte nicht mehr an EuGH-Urteilen orientieren. Bereits getroffene gerichtliche Entscheidungen könnten neu ausgelegt und zukünftig anders entscheiden werden.
Folgen für britische Ltd. Unternehmen mit Sitz in Deutschland
Die Folgen für eine bereits bestehende Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland sind bisher nicht geklärt, sicher ist jedoch, dass eine Auflösung der britischen Rechtsform Ltd. nicht unmittelbar erfolgen wird. Da bei Ltd. Firmen in Großbritannien gegründet sind und ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben, ist eine Auflösung ausgeschlossen. Die Limited müsste zur Liquidation aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses aus dem Register of Companies gelöscht werden. Dies passiert nicht automatisch nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU. Einzige Ausnahme wäre der unwahrscheinliche Fall, dass Großbritannien wider Erwarten alle Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Ausland aus dem Register löscht. Dies ist jedoch rein spekulativ und unwahrscheinlich.
Wenn nach dem Austritt aus der EU entschieden wird, dass ein deutscher Verwaltungssitz der Ltd. unzulässig ist, kann dies zu Problemen bei der Handelsregistereintragung in Deutschland führen. Online-Händler, die ihr Geschäft hauptsächlich in Deutschland betreiben, könnten in der Zeit zwischen Referendum und dem tatsächlichen Austritt der Briten eine Umwandlung der Gesellschaft in eine deutsche GmbH beziehungsweise UG beantragen. Aus rechtlicher Sicht spricht einiges dafür, dass die Limited-Firma aufgrund von Art. 14 GG Bestandsschutz in Deutschland hätte. Abschließend kann die Frage derzeit nicht beantwortet werden, betroffene Online-Händler sollten sich diesbezüglich nach dem Referendum gesellschaftsrechtlich beraten lassen.
Die Neugründung einer Limited mit Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland ist nach einem Austritt nicht mehr möglich. Hintergrund ist, dass die Eintragung einer Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland aufgrund der Niederlassungsfreiheit in der EU geboten war. Die Niederlassungsfreiheit würde für Großbritannien nach dem Austritt nicht mehr gelten. Eine Verlegung des Verwaltungssitzes der Ltd. aus Großbritannien nach Deutschland wäre nicht mehr möglich.
Dürfen Online-Händler weiter problemlos nach Großbritannien verkaufen?
Unternehmen mit Sitz in Deutschland können weiterhin nach Großbritannien verkaufen und deutsches Recht zur Anwendung bringen, wenn in den AGB eine entsprechende Rechtswahl vereinbart wurde. Die Klausel »Es gilt deutsches Recht.« reicht nicht aus. Es muss darüber hinaus ein Hinweis auf das sogenannte Günstigkeitsprinzip erfolgen. Das bedeutet, bei Verbrauchern gilt die vereinbarte Rechtswahl nur, soweit nicht die Verbraucherschutzvorschriften am Sitz des Verbrauchers günstiger sind. Der Austritt aus der EU richtet sich nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon (EU-Vertrag), in dem der Austritt aus der Europäischen Union erstmals geregelt wurde. Es wird also neu verhandelt werden, wie die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur Union nach dem Austritt gestaltet werden.
Christoph Pech, E-Commerce Experte, Onlinehändlernews.de
Seit der Gründung in 2008 wuchs der Händlerbund in kurzer Zeit zum größten Onlinehandelsverband Europas und einem der führenden Anbieter von Rechtstexten im Internet heran. Mit mehreren zehntausend geschützten Onlinepräsenzen versteht sich der Händlerbund als Mittler und Partner der E-Commerce-Branche und fördert den Austausch zwischen Händlern und Dienstleistern. Um den digitalen und stationären Handel nachhaltig zu unterstützen und zukunftsfähig auszurichten, bündelt der Händlerbund zum einen professionelle E-Commerce-Dienstleistungen und tritt zum anderen als europaweite Interessenvertretung auf.