Wie Unternehmen mit Low-Code-Plattformen Prozesslücken schließen können – Faszinierend und cool

Entwicklungswerkzeuge wie die Microsoft Power Platform vereinfachen mittlerweile die Entwicklung und Nutzung von individuellen Lösungen erheblich. Der Low-Code/No-Code-Ansatz ermöglicht mehr Anpassungen durch das eigene Personal. Für Security, Interkonnektivität und Update-Fähigkeit sorgt die Plattform selbst. So können gerade KMU viele Prozessbaustellen kostengünstig beheben, sagt Michael Megel, Enterprise Architect & DevOps Engineer bei der COSMO CONSULT Group.


Es wurde ja in den letzten Jahren immer wieder darüber spekuliert, wann endlich die Aufgabe der Softwareprogrammierung automatisierbar werden wird. Sind wir mit Low-Code/No-Code-Plattformen hier einen Schritt weiter?

Ich würde sagen, beim Thema Low-Code/No-Code-Entwicklung ist jetzt eine Art kritische Masse erreicht worden. Das ist vielleicht vergleichbar mit dem Thema künstliche Intelligenz, das es ja auch schon sehr lange gibt, und bei dem in den letzten Jahren bei Bild- und Sprachverarbeitung in der Cloud eine wichtige Schwelle übersprungen wurde. Eine Entwicklungsplattform wie Microsoft Power Apps hilft dabei, mit wenig Mitteln einen Service oder eine App zu bauen. Dafür muss man sich keine Gedanken über Programmierung, Roll-out und die umgebende Infrastruktur, über Betriebssysteme wie Android oder Mac OS oder Sicherheit machen. Das ist faszinierend und wirklich cool, selbst für mich als professionellen Softwareentwickler.


Was sind denn typische Beispiele dafür, wo Unternehmen selbst Lücken schließen oder Abläufe automatisieren können?

Das könnte zum Beispiel ein Ablauf sein, bei dem etwas dokumentiert wird: Ein Baustoffhändler liefert ein Material. Vor Ort wird per Smartphone das gelieferte Material und der Abladeort fotografiert und zusammen mit den dazugehörigen Daten via App an den Kunden gesendet. Denkbar ist auch eine Abnahmeprozess-App, indem für den Kunden das Foto des fertigen Produkts und das Planungsdokument für die finale Abnahme gegenübergestellt werden. Das macht zum Beispiel ein Anbieter per Power Apps, der Miniküchen in Kleintransporter einbaut. Auch Nacharbeiten könnten so in einem dokumentierten Prozess erfasst und kontrolliert werden. Urlaubsanträge, Vertretungsplanung oder die Raumbuchung per App übers Handy sind einige weitere Beispiele. Generell gesagt, gibt es überall dort ein Automatisierungspotenzial, wo papiergebundene oder manuelle Abläufe stattfinden. Hier können auch hinzubuchbare Cognitive Services dabei helfen, aus Bildern, Kaufbelegen oder Rechnungen automatisch die wesentlichen Informationen zu ziehen und weiterzuverarbeiten. 


Viele ERP-Systeme sind immer noch vergleichsweise monolithisch, auch wenn die Hersteller stärker auf Systemoffenheit achten. Low-Code/No-Code-Tools helfen ja im Prinzip dabei, Individualsoftware für spezifische Prozesse zu generieren: Das war bisher aus Kostengründen und Schnittstellenaufwand eher problematisch. Wie funktioniert das? 

Durch diese Tools könnte sich ein wichtiger Aspekt ändern: ERP-Systeme sind klassischerweise eher überfrachtet, früher musste alles dort hinein. Dadurch sind die Systeme immer weiter gewachsen und zugleich unhandlicher geworden – auch wenn vielleicht nur eine kleine Fachabteilung eine bestimmte Funktionalität oder bestimmte Daten brauchte. Heute würde man dafür eine kleine App oder einen Service schreiben, die in perfekter Harmonie zum bestehenden System passen. Sie sind über eine standardisierte Bedienoberfläche für alle Beteiligten nutzbar und liegen zentral in Dataverse, SharePoint oder One Drive. Ein Beispiel dafür ist eine Bestellliste, die auf einem Zettel oder in einer Excel-Liste geführt wurde und jetzt mit einer App einschließlich Workflow digitalisiert wird. Es muss dann auch nicht immer wieder manuell alles neu erfasst werden, stattdessen kann nach Freigabe automatisch ein Bestellformular erzeugt werden. 


Was ist die Voraussetzung dafür, dass der eigenentwickelte Code sich nahtlos in die (ERP-)Prozesse einfügen lässt?

Dafür müssen die Schnittstellen zu anderen Systemen vorhanden sein, um die Kommunikation und den Datenfluss zu ermöglichen. In der Power Platform ist das durch eine Unmenge an Konnektoren gelöst, die dort verfügbar sind. So entsteht zum Beispiel automatisch die Verbindung zu One Drive, zu Social Media, zu Mail- und Office-Programmen oder ERP-Systemen. Dort, wo das System über keine Schnittstelle verfügt, lohnt es sich in Richtung RPA (Robotic Process Automation) zu denken. Microsoft hat aus meiner Sicht das beste Gesamtpaket, um die Lücken zwischen den vielen monolithischen Systemen in Unternehmen zu schließen: Die wird es sicherlich auch noch in den nächsten zwanzig Jahren weiter geben. Damit können auch Legacy-Systeme oder bestehende ERP-Systeme so weiterverwendet werden, wie es einmal gedacht war, anstatt immer mehr Funktionalität dort hineinzubringen.


Viele Unternehmen haben noch Altsysteme, die für viel Aufwand sorgen, vielleicht nicht mehr mit in die Cloud wandern können und perspektivisch abgelöst werden sollen. Welchen Beitrag kann die Low-Code/No-Code-Entwicklung hier leisten? 

Oft geht es beispielsweise darum, bestimmte Daten aus einem Legacy-System ohne Schnittstellen herauszusuchen, um diese Daten an eine andere Applikation weiterzugeben. Vielleicht muss auch im Altsystem ein neuer Datensatz eingefügt werden, zum Beispiel in einem alten Artikelverwaltungssystem. Sobald sich Prozesse ändern, müsste hier immer wieder jemand manuell eingreifen und die Änderungen programmieren. Das passt nicht zum Anspruch an Agilität. Entwicklungsplattformen helfen, diese Lücken zu schließen und Altsysteme weiter zu halten – bis zum Zeitpunkt ihrer endgültigen Ablösung. Mit Power Automate können zum Beispiel Cloud-Flows, Desktop-Flows oder Geschäftsprozessflüsse definiert werden. Damit lässt sich das, was ein Softwareentwickler machen würde, automatisch durch einen Workflow abbilden. Eine einmal definierte Schnittstelle kann immer wieder genutzt oder leicht angepasst werden. 


Was verändert sich durch entsprechende Entwicklungsplattformen im Unternehmen?

Ganz klar: Es gibt deutlich weniger Medienbrüche. Noch immer wird in vielen Unternehmen ganz klassisch gearbeitet. Man druckt ein Dokument aus, setzt vielleicht noch die Unterschrift darunter und legt es bei einem anderen Mitarbeiter, einer anderen Mitarbeiterin auf den Schreibtisch, die dann ebenfalls wieder etwas damit machen. Durch Apps, Services oder automatisierte Workflows bewegen sich alle innerhalb eines Mediums. Das bedeutet, mehrere Aktionen werden automatisiert ausgelöst, es gibt keinen Zeitverlust zum Beispiel für Suchen und alles ist rechtssicher dokumentiert.


Wie ist es um die automatische Update-Fähigkeit bestellt, wenn eigene Lösungen entwickelt werden? Und wie verändert sich die Rolle der IT-Dienstleister?

Das ist ein Thema, das häufig noch unterschätzt wird. Wer selbst Lösungen baut, ist letztlich der Entwickler. Jede Software hat allerdings einen Lebenszyklus. Sie wird erstellt, geteilt, es wird Feedback aufgenommen und Verbesserungen für eine nächste Version vorgenommen. Application Lifecycle Management stellt sicher, dass eine Software weiter funktioniert, angepasst oder repariert wird. IT-Dienstleister können hier einen Beitrag leisten, indem sie mit Expertenbrille auf die Software schauen. Vor allem können sie die Mitarbeitenden im Unternehmen beim Thema Automatisierung anleiten und über Fallstricke informieren. Gerade bei KMU mit wenig eigenen IT-Ressourcen ist es wichtig, dass so trotzdem die Pro-Developer-Erfahrung eingebracht wird. Dienstleister sollten sich hier als unterstützende Partner sehen.


Was müssen Unternehmen beachten, wenn sie auf Low-Code/No-Code-Entwicklung setzen?

Unternehmen sollten sich trotz der neuen Möglichkeiten auch bewusst machen, wo die Grenzen liegen. Dass sich alles digitalisieren lässt, birgt auch Gefahren: Schließlich soll nicht versehentlich die gesamte Kundendatenbank im Internet veröffentlicht werden, nur weil Dinge ungeschickt miteinander verknüpft wurden. Solche Fehler waren früher nicht einfach so möglich. Deshalb ist es wirklich wichtig, dass es hier eine Schulung zum Thema Data Governance für nichtprofessionelle Entwickler gibt – schließlich darf man auch nicht ohne Führerscheinprüfung auf die Straße. Dann kann alles so gestaltet werden, dass es auch sicher ist und noch dazu Spaß macht.

 


Bild: © Cosmo Consult Group