Wiederverwendung, Recycling und Kreislaufwirtschaft – Wie Intelligent ERP zur Nachhaltigkeit beitragen kann

Mit Blick auf Nachhaltigkeit rücken ERP-Systeme aktuell wieder stärker in den Fokus: Hier werden die Unternehmensressourcen geplant, gesteuert und Verbräuche dokumentiert. Vor allem für kommende digitale Produktpässe können intelligente ER-Plattformen auch Daten aus dem Lebenszyklus liefern.

Ressourcenknappheit, Unsicherheiten in der Rohstoffbeschaffung und steigende Energiepreise belasten aktuell viele Unternehmen. Zugleich steigen die gesetzlichen Anforderungen an nachhaltiges Wirtschaften. Neue Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft, beispielsweise beim digitalen Produktpass, basieren darauf, dass Daten von der Entwicklung über die Produktion bis hin zum Afterservice verfügbar sind. So rückt das Thema Enterprise Ressource Management für viele Unternehmen derzeit wieder in den Vordergrund. Im ERP-System (Enterprise Ressource Planning) laufen viele Themen zusammen. Hier entsteht Transparenz darüber, welche Ressourcen, wie zum Beispiel Energie oder Rohstoffe, verbraucht werden. Vor allem moderne Systeme, die auf Vernetzung und Datenanalytik setzen, können einen wichtigen Beitrag leisten, um schonender mit knappen Ressourcen umzugehen. Zudem helfen sie dabei Ausschuss zu vermeiden und Verschwendung zu reduzieren. Im Kontext von Wiederverwendung, Recycling und Kreislaufwirtschaft werden sie zur zentralen Instanz, die verlässliche Daten aus dem Lebenszyklus bereitstellt.

Compliance mit Nachhaltigkeitsstandards wird geschäftsentscheidend. Zwar wird der Austausch von Daten zum Beispiel zu Rohstoffherkünften in der Lieferkette von der Mine bis zum Recycling künftig wohl über sichere Datenräume wie Catena-X organisiert. Vernetzung wird jedoch immer essenzieller: Viele der Daten werden zum einen in der Produktentwicklung benötigt, zum anderen jedoch zum Beispiel auch für die unternehmensweite Erfassung des CO2-Fußabdrucks. Kunden wollen künftig genaue Nachweise zu Nachhaltigkeitsaspekten, denn auch sie müssen ihren ökologischen Fußabdruck verbessern. Eine ganze Reihe von Daten sollte also auch in das ERP-System einfließen, um perspektivisch Compliance mit strengeren Regularien nachweisen zu können und wachsenden Kundenerwartungen gerecht zu werden. Die Autoindustrie ist ein gutes Beispiel dafür: Die großen Hersteller machen die Auftragsvergabe jetzt davon abhängig, ob Zulieferer den Nachweis erbringen können, dass sie sich an das Lieferkettensorgfaltsgesetz halten und wiederum ihre Sublieferanten auf Compliance überprüfen. Auch andere Branchen werden folgen.

Zudem werden Vorgaben durch die Due-Diligence-Richtlinie auf EU-Ebene strenger. Spätestens ab 2023 kommt mit dem Lieferkettengesetz der Lieferantenbewertung eine zentrale Rolle zu. Intelligente ERP-Systeme analysieren nicht nur Kennzahlen wie Verfügbarkeit, Preis und Termintreue. Sie beziehen auch zusätzliche Prozesskosten, Nachhaltigkeit oder Regionalität ein. So lässt sich zum Beispiel die kürzeste Lieferstrecke höher gewichten. Im Logistikmanagement sorgen  Optimierungsalgorithmen dafür, Liefertransporte so effizient wie möglich zu bündeln und die Routenplanung zu verbessern.

Stellschrauben identifizieren und nutzen. Wenn Unternehmen eine bewusste und konsequente Definition ihrer Nachhaltigkeitsziele erstellt haben, geht es darum, die Prozesse entsprechend zu optimieren. Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit, die sich über intelligente ERP-Werkzeuge justieren lassen, gibt es viele. Ein ganz typisches Beispiel ist das Einsparen von Papier durch digitale Apps. Low-Code- und No-Code-Entwicklungswerkzeuge wie die Microsoft Power Platform helfen Unternehmen dabei, ihre Prozesse mit wenig Aufwand selbst ohne eigene Programmierkenntnis individuell anzupassen. So lassen sich viele Medienbrüche und papiergebundene Prozesse vergleichsweise einfach durch digitale Abläufe ersetzen.

Auch eine bessere Steuerung des Stromverbrauchs steht im Fokus. Immer mehr Unternehmen setzen auf Speicher für nachhaltige Energie: Hier lässt sich eine intelligente Produktionsplanung mit Füllständen der Speicher kombinieren, um möglichst umfassend von grüner Energie zu profitieren. Deutliche Einsparungspotenziale lassen sich überall dort aus Sensordaten ableiten, wo die Informationen zu prozessbedingten Betriebsmitteln wie Wasser oder Energie nachgehalten, analysiert und getrackt werden. Zudem kommt der Vermeidung von Materialverschwendung und Ausschuss eine große Bedeutung zu. Sensor- und IoT-Tracking-Daten spielen hier ebenfalls eine Rolle. Sie fließen zwar oft zunächst in Data Lakes, dennoch ist ihre Verzahnung mit den Unternehmensprozessen für mehr Effizienz entscheidend.

Wichtige IoT-Daten sollten ins ERP einfließen. Beispielsweise sollten die Informationen aus Predictive-Maintenance-Lösungen in das ERP-System gelangen: Das ist wichtig, um bei einer Abweichung von Normalwerten automatisch ein Wartungsticket zu generieren oder die frühzeitige Nachbestellungen von Ersatz- und Verschleißteilen in der Beschaffung auszulösen. Damit profitiert nicht nur die Overall Equipment Efficiency (OEE), die Maschinen und Anlagen halten auch länger – ein wichtiger Punkt bei der Nachhaltigkeit. Aus den Echtzeitwerten von Maschinensensoren in Produktionsprozessen und mit engmaschiger digitaler Qualitätskontrolle können heute immer besser Parameter und Toleranzgrenzen definiert werden, um drohende Qualitätsabweichungen zu erkennen, bevor sich diese manifestieren: Das ist ein wesentlicher Anknüpfungspunkt, um Ausschuss und damit Materialverschwendung zu minimieren.

Ein wichtiges Thema auf Industriebaustellen und in Chemieparks ist die Sensorik für Pumpen und Flansche. Sie sorgt dafür, sofort den Austritt von Flüssigkeiten oder Giftstoffen zu signalisieren, damit dies nicht erst bei der nächsten manuellen Inspektion entdeckt wird. Dabei ist eine direkte Integration in die Prozesse notwendig, zum Beispiel in mobile Apps für das Baustellenpersonal.

Kreislaufwirtschaft erfordert Anstrengungen. Vor allem für KMUs wird es zur Herausforderung, den Nachweis über ihre Nachhaltigkeitsanstrengungen zu erbringen. Ansätze der Kreislaufwirtschaft wollen zu Recycling und Re-Use beitragen. Grundlage dafür sind vertrauenswürdige Informationen aus dem gesamten Lebenszyklus eines Produkts und seiner Bestandteile. Meist sind bereits viele Bereiche des Produktlebenszyklus in den ERP-Prozessen abgebildet, das reicht von F&E über die Beschaffung bis hin zu Fertigung, Logistik und Wartung. Schon länger ist das beispielsweise für Rückrufaktionen wesentlich. Die Vernetzung im (Industrial) IoT liefert Daten aus Sensorik, Tracking und Tracing, die bisher oft noch in Einzellösungen erhoben werden. Ein Stichwort ist hier der digitale Zwilling oder digitale Schatten. Einige der Daten sollten, entsprechend aggregiert, ebenfalls ins ERP-System gelangen: Nur so kann eine Recycling-Planung schon frühzeitig in Erfahrung bringen, wo und wann welche Materialien, Produkte oder Bauteile in welchem Zustand zur Wiederverwendung anfallen. Mangelhafte Compliance bei der Nachhaltigkeit könnte in der EU sogar künftig Barrieren beim Markteintritt bedeuten. In diesem Kontext bieten sich ERP-Systeme für die historisierbare Dokumentation und die automatisierte Überwachung von Compliance-Vorgaben an, die dann als Basis für die Audit- und Nachweisfähigkeit dient.

Cloud-Plattformen werden ERP-Grundlage. All diese Herausforderungen lassen sich am besten mit einer Plattform stemmen, die alle Bereiche miteinander verbindet, von der Entwicklung, Produktion, Beschaffung und Lagerverwaltung bis hin zu Versand und Aftersales. Verantwortungsbewusste Unternehmen zeichnen sich künftig dadurch aus, dass sie das Thema Product Stewardship besonders ernstnehmen. Dabei geht es um eine massive Vernetzung unterschiedlichster Daten und Prozesse, sowohl aus der Cloud als auch On-Premises. Voraussetzung dafür sind eine fundierte Datenkultur und durchgängige, unterliegende Plattformen wie beispielsweise Microsoft Azure, auf denen alle Bereiche zentrale, valide Daten teilen und (kognitive) Services einfach eingebunden werden können: KI und Data Analytics bringen nur dann etwas, wenn die Ergebnisse an der richtigen Stelle im Geschäftsablauf verfügbar sind.

KI-Technologie ist auch für die Vorhersage-Funktionalität essenziell, die sich immer mehr Unternehmen wünschen, um dynamischeren Markt- und Lieferkettenbedingungen etwas entgegensetzen zu können. Prognosen und Simulationen helfen dabei, Beschaffungsprozesse zu optimieren und besser auf Last-Minute-Bestellungen mit unnötig langen, ineffizienten Transportwegen zu verzichten. Forecasting trägt auch dazu bei, Trendveränderungen frühzeitig zu erkennen und so Verschwendung durch zu hohe Bestellvolumen oder Lagerrestbestände zu vermeiden.

 


Daniel Schmid,
Chief Portfolio Officer
der COSMO CONSULT Gruppe

 

 

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