Was ein Chatbot über unser Denken verrät und wie er unser Verhalten beeinflusst. ChatGPT und Co. aus philosophischer Sicht.
Wann eine künstliche Intelligenz kluge Antworten auf philosophische Fragen unserer Zeit geben? Lassen sich Unternehmen künstlich entwickeln und wie steht es um die virtuelle Bildung in der Hemisphäre? Irgendwie bin ich gleichermaßen fasziniert wie wenig überzeugt. Wir klagen über Fachkräftemangel, ja beinahe schon über die Verrohung unserer Gesellschaft, sinkenden Intellekt und beschweren uns über Kinder, die den schulischen Leistungsanforderungen nicht mehr gerecht werden. Die üblichen Schuldigen sind schnell gefunden, die Pandemie war schuld, Eltern sind überfordert, mit den Lehrern stimmt etwas nicht, Personal in Betrieben taugt ohnehin nichts mehr, die Politik hat’s versaut …
In einigen Bereichen können Bots nützlich sein, das steht völlig außer Frage. An der Stelle erlaube ich mir rein vorsorglich zu betonen, dass diese Zeilen ganz antiquiert aus eigener geistiger Produktion entstanden sind. Wenn ich an unsere Bildung und den Fachkräftemangel denke, wäre es vielleicht empfehlenswert, Kompetenzen weiterhin auf natürliche Weise zu entwickeln. Natürlich scheint es bequemer, sich Antworten, Formeln und Texte ausgeben oder Texte »vorlesen« oder gar schreiben zu lassen. Interessanter Weise würden zumindest bei der Rechtschreibkorrektur beide – Mensch und KI – den Pisa-Test nicht überstehen.
Ob sich KI für philosophische Diskussionen und für die Entwicklung unserer Zukunft eignet, darf infrage gestellt werden. Wenn ich mich in den sozialen Medien umschaue, kommt man an Screenshots von Texten, ETF-Empfehlungen oder Prognosen unterschiedlichster Art, die zum Handeln auffordern, nicht vorbei. Die jüngste Welle, die im Netz mega magic daherkommt: die automatisch generierte »Lebenshilfe« für alle Bereiche, produziert von ChatGPT und lebensechten BOTs in menschlicher Gestalt. Silicon-Valley lässt einmal mehr von sich hören. Ob OpenAI, Cyc oder der BOT »Optimismus« von Elon Musk, interaktive Oberflächen fesseln den User im Eingabe-Ausgabe-Modus. Praktisch, auf jede Frage eine Antwort zu bekommen. Wollten wir das nicht schon immer? Gerade in unsicheren Zeiten, Verlässlichkeit? Das die Antwort von einer Software kommt, schlabbern wir da gerne mal weg.
Auf eigenartige Weise finde ich die KI auch faszinierend. Generierte Texte sind nur selten völliger Unsinn, oft aber auf merkwürdige Weise nebulös und unverbindlich, kalt und distanziert, ein allgemeingültiges Blabla von Phrasen, die nie auf den Punkt kommen, als versuchte jemand, kompetenter zu erscheinen, als er oder sie ist. Hier stellt sich die Frage, welchen Einfluss KI auf uns Menschen nimmt, und hat damit durchaus philosophischen Wert. Sie stellt nämlich möglicherweise eine sehr verbreitete Grundannahme der philosophischen Auseinandersetzung mit Vernunft und Bewusstsein in Frage: Repräsentation und Wissen, Ethik und Moral, Entwicklung und Fehlannahmen.
Waren vor wenigen Jahrzehnten künstliche Intelligenz nur komplexe Datenbanken, denen Wissen und bestimmtes formales Sprachvermögen über die Struktur der Welt eingespeist wurde, die dazu bestimmt war, Fragestellungen in Beziehungen zu setzen, die im programmierten Algorithmus zu logisch zusammengesetzten Phrasen verarbeitet und ausgespuckt wurden, übernehmen diese heute zunehmend die »Regie«.
Bekannte KI-Projekte waren »Cyc« oder »Sophie« namhafter Tec-Konzerne, die beide in der Lage waren, Interviews zu geben. Beide sind gescheitert. Sie begannen durch Befüttern von Außen, sich selbst »weiterzuentwickeln« und gaben auf Fragen, immer radikalere Antworten. Ein regelrechter Cyberkrieg zwischen Mensch und ChatBot war entbrannt. Die Hersteller nahmen diese BOTs seinerzeit vom Markt.
Man könnte sagen, dass dem System eine Art Abbildung als Repräsentation der Welt vermittelt wurde. Oder unseres Selbst? Wären wir nicht alle gerne hochintellektuelle Wesen, frei von Fehlern? Zumindest lädt nicht nur Social Media, auch immer mehr Firmen dazu ein, sich allwissend und zukunftsorientiert zu repräsentieren. Schließlich sind wir die Gestalter dieser Welt. In Wirklichkeit handelt es sich um enzyklopädische hochkomplexe mathematische Abbildungsformeln der Vergangenheit. Auch wenn man geneigt ist, zu vermuten, dass wir die Zukunft mit ChatBots abbilden. Es handelt sich dabei, vereinfacht gesagt, um Zeichenfolgen, die in andere Zeichenfolgen überführt werden. Durch »Training« mit einer absurd großen Menge unterschiedlichster Texte ist diese Abbildungsvorschrift in der Lage, Eingabetexte wie Fragen oder Anweisungen in Ausgabetexte zu überführen, die grammatikalisch nahezu perfekt sind, eigentlich immer eine Art Sinn ergeben und häufig eine sinnvolle Bearbeitung der gestellten Aufgabe darstellen. Aber eben nicht immer. Der Mensch verlässt sich auf die Programmierung einer Maschine, die in Menschengestalt sympathisch lächelnd, geduldig Antworten gibt.
Dahinter steht aber keine strukturierte Datenbank mit »Weltwissen«. Ich kann den Roboter zwar fragen, ob er der Meinung ist, dass ein Gegenstand etwas grundsätzlich anderes ist als eine Eigenschaft oder ob der Bewerber exakt zur vakanten Stelle passt. Aber ich brauche keine Antwort zu erwarten, die etwas mit der begrifflichen Struktur seiner Repräsentation der Welt zu tun hat. Selbst, wenn ich eine sinnvolle Antwort bekomme, kann ich nirgendwo nachschauen, um zu überprüfen, ob das wirklich so stimmt oder ob es nur Geplapper ist. Andererseits hat aber eben genau dieses Geplapper der KI unbestreitbar Wissensgehalt, weil sich in ihrer Arbeit das vorherige Training mit mehreren hundert Milliarden Wörtern und Bewegungsabläufen niederschlägt. Verbunden mit, nun ja, aktuell noch ungelenken Bewegungsabläufen, die Emotionen und Nähe suggerieren sollen und wie im Fitnessstudio antrainiert werden. Der echte Mensch in verkabelten Anzügen, zeigt der KI die menschlichen Bewegungsabläufe, die das System nüchtern nachahmt.
Stolz und Angst zugleich. Wenn das Bewusstsein von uns Menschen, welches ja durchaus umstritten ist und mit wilden Interpretationen versehen wird, in irgendeiner Weise ähnlich wie Computersysteme funktioniert, dann läge der Verdacht nahe, dass der Mensch gar keine Repräsentation von irgendetwas benötigt, um denken zu können. Dann wären wir für den Humanoiden hochkomplizierte Filter, die auf Eingabe und Ausgabe programmiert sind. Wenn man so manchen wirtschaftlichen oder politischen Debatten, die sich mit den Problemstellungen unserer Zeit auseinandersetzen, lauscht, könnte man meinen, dass der eigentliche Deepfake der Mensch selbst ist.
Nun ist es unbestreitbar, dass wir zu fühlen, zu reflektieren und über eben solche Fragen der Ethik und Moral nachzudenken, fähig sind. Ein Stückchen weit philosophieren wir über uns, unsere Umwelt, unsere Zukunft, über Firmenstrukturen und rufen zugleich nach Kontrollorganen für die KI. Ein Paradoxon, eine Intelligenz zu entwickeln, auf die wir stolz sind, weil sie uns das Denken und kreative Lösungsbildung abnimmt und zeitgleich ängstigt, weil die KI imstande ist, uns Menschen als Spezies und wichtiges Organ, etwa in unzähligen Bereichen der Firmenwelten, abzulösen.
Science Fiction und die moderne geisteswissenschaftliche Philosophie beschäftigen sich mit solchen Fragen, seit es Computer gibt. So wirklich sind wir der Antwort noch nicht näher gekommen. Vielleicht, weil wir selbst nicht wissen, woran wir überhaupt erkennen würden, dass ein KI-System tatsächlich philosophiert.
Bei allem technischen Fortschritt, sollte eines außer Frage stehen: Der Mensch muss als fühlendes und denkendes Wesen unersetzbar bleiben.
Gabi Claudia Stratmann,
Business-Philosophin,
Gesellschaftstheoretikerin,
Autorin