Der Arbeitsplatz der Zukunft und worauf die IT vorbereitet sein sollte – Transformation des Führungs­denkens

Arbeitsplatz- und Zukunftsforscher sind sich einig: Die größte Herausforderung zukunftsfähiger hybrider Arbeitsmodelle wird nicht technischer Art sein. Sie erfordert vielmehr einen Umbruch in der Führungsmentalität. Hat der stattgefunden, ist die IT gefragt, ergebnisorientierte Zusammenarbeit technisch zu ermöglichen.

Stefanie ist Key Account Managerin bei einer großen deutschen Versicherung. Seit eineinhalb Jahren ist das Leben der zweifachen Mutter entspannter als je zuvor. Trotz Home Schooling, trotz jährlich steigender Abschlussquoten, die sie und ihr Team zu erfüllen haben. Seit die 42-Jährige Corona-bedingt Job und Alltag aus dem Homeoffice koordiniert, läuft es für sie. Bei ihrer Lebenspartnerin Kristin sieht es anders aus. Sie ist bei einem mittelständischen Pharmahersteller im Controlling tätig; auch sie war vorübergehend zu Hause. Die dafür bereitgestellte technische Ausstattung war jedoch kaum geeignet, um effizient arbeiten zu können. Ihr Notebook ohne Kamera ließ sie vor externen Vertragspartnern rückständig dastehen, konnte sie doch an Videokonferenzen nur ohne Bild teilnehmen. Auch die Serveranbindung in die Firmenzentrale war eine Katastrophe, ständig riss die Verbindung ab, unterbrach den Download großer Dateien oder warf sie mitten aus einer wichtigen Online-Konferenz. Hinzu kamen Kontrollanrufe ihres Chefs und der Personalabteilung, in denen es inhaltlich um nichts ging. »Wenn sich jemand dafür interessiert hätte, wie es uns in der Abgeschiedenheit geht, was uns helfen könnte, unseren Job gut zu machen…«, sagt Kristin. Doch die Telefonate hinterließen nur das schale Gefühl, man vertraue ihr nicht. Kaum hatte die Bundesregierung ihre Empfehlung zur Arbeit aus dem Homeoffice aufgehoben, zitierte die Geschäftsleitung die Belegschaft zurück ins Büro. Zufrieden ist seit der »Rückholaktion« kaum jemand im Betrieb. 

Am Beispiel von Kristin zeigt sich, was Arbeitsplatz- und Zukunftsforscher branchenübergreifend feststellen: Büroangestellte erwarten heute räumliche und zeitliche Flexibilität. Wird sie nicht gewährt, droht Unternehmen eine Kündigungswelle. Das beweist eine Umfrage des Future Forums aus Kalifornien in Zusammenarbeit mit der Stanford University. Der Think-Tank hat am 25. Januar 2022 die jüngsten Ergebnisse einer globalen Pulse-Studie veröffentlicht. Befragt wurden mehr als 10.000 Büroangestellte in Deutschland, Frankreich, den USA, Australien, Japan und Großbritannien. Demnach arbeiten 62 Prozent der deutschen Angestellten derzeit in hybriden Arbeitsmodellen. Die überragende Mehrzahl der Befragten (96 Prozent!) wünscht sich eine flexible Zeiteinteilung, 73 Prozent die freie Wahl des Arbeitsortes. Beeindruckende Zahlen, die noch vor zwei Jahren anders ausgefallen wären. Doch Corona hat uns gezeigt, dass ein stundenlanges Pendeln zum Arbeitsplatz nicht erforderlich ist. Genauso wenig wie viele Geschäftsreisen. Psychisch, ökologisch und ökonomisch war das längst nicht mehr tragbar. Nun ist bewiesen, dass Wachstum und Produktivität auch daheim stattfinden können. Dass digitale Interaktionen Kundenbindung ermöglichen. 

Gewinner und Verlierer. Diese einmal gewonnene Freiheit weckt die Begehrlichkeit, sie auch nach der Pandemie zu bewahren. Erfüllen Arbeitgeber die Forderung nach Flexibilität nicht, sind laut Future Forum 55 Prozent der Deutschen bereit, ihren Job zu kündigen. 

Dem müssen Organisationen entgegenwirken. Wer an starren Arbeitsplatzkonzepten festhält, verliert seine Beschäftigten an die flexiblere Konkurrenz. Und nicht nur das. Firmen, die das Arbeiten aus dem Homeoffice und eine möglichst freie Zeiteinteilung propagieren, eröffnet sich ein gigantischer Bewerber-Pool. Ein Unternehmen aus Brandenburg kann qualifizierte Mitarbeiter einfach aus Hamburg, Frankfurt, München rekrutieren oder Menschen aus ländlichen Gegenden einen anspruchsvollen Arbeitsplatz ohne lange Fahrtzeiten bieten. Das schafft nicht nur mehr Diversität im Unternehmen und Zufriedenheit (und damit Engagement) bei den Mitarbeitenden. Es schafft Wettbewerbsvorteile, wenn man plötzlich Experten von überall auf der Welt für sich gewinnen kann. 

Was es jedoch braucht, um eine derart remote-agierende Organisation zu lenken, ist ein radikales Umdenken im Führungsstil. Nehmen wir noch einmal das Beispiel von Stefanie, die selbst bestimmen kann, wie viele Tage sie in Zukunft im Büro verbringen will und wie viele zu Hause. Sie ist glücklich mit dieser Regelung, schafft ihre Zahlen, leitet ihr Team erfolgreich remote. Doch in letzter Zeit merkt Stefanie, dass ihr Vorgesetzter die wirklich interessanten Projekte an andere vergibt. 

 

 

IT-gestütztes Management. Ein Phänomen, das Brian Elliott, Executive Leader und Senior Vice President des Future Forums, als eine der größten Herausforderungen für das Gelingen moderner Arbeitsplatzmodelle identifiziert. Er kann auch hierfür Zahlen liefern. »41 Prozent der Führungskräfte in den von uns befragten Ländern fürchten Proximity Bias«, sagt er im Gespräch mit »manage it«. Damit ist die Sorge gemeint, dass durch die Wahl des Arbeitsortes Ungerechtigkeiten entstehen. »Führung bedeutete bisher ›Management durch Anwesenheit‹«, erklärt Elliott. Das funktioniert nicht mehr, wenn große Teile der Belegschaft im Homeoffice arbeiten. Sie zu benachteiligen, weil sie weniger präsent sind, wäre ungerecht – und fatal. 

Doch genau das passiert. Laut jüngster Umfrage zeigt sich eine Personengruppe überdurchschnittlich oft im Büro oder der Firmenzentrale: Männlich, weiß, keine Kinder. Hier trifft sie auf die zweite Gruppe der »häufig Anwesenden«: Die Führungsriege. In diesem Umfeld werden die lukrativen, spannenden, die wichtigen Projekte besprochen. Hier werden Entscheidungen gefällt. Wer anwesend ist, ist klar im Vorteil. 

Es braucht ein ergebnisbasiertes Management, um das zu ändern. Nur wenn Vorgesetzte ihren Mitarbeitenden klare Ziele setzen und sie nach Leistung bewerten, können Chancen, Projekte, Fortbildungen und Beförderungen gerecht und transparent verteilt werden. Voraussetzung für ein solches Management ist der gleichberechtigte Zugang aller Angestellten zu Informationen, Daten, Systemen und Wissen im Unternehmen. Fast ebenso wichtig ist der Austausch. Der virtuelle Flurfunk ersetzt heute das Gespräch an der Kaffeemaschine. Er ist deshalb so wichtig, weil Zugehörigkeit und Identifikationsgefühl die Triebfedern für Motivation, Kreativität, Teamarbeit und Lösungsbereitschaft sind. Wer Tools bereitstellt, die diese Anforderungen erfüllen, erhält die besten Ergebnisse – und damit fundierte Grundlagen zur Entscheidungsfindung.

Nun könnte man vermuten, das Future Forum interpretiere die gesammelten Erkenntnisse zugunsten seines Gründers, der Kollaborationsplattform Slack. Die Software bringt Teammitglieder, Kunden und Partner, aber auch unterschiedliche Systeme und Prozesse zusammen. Damit leistet sie genau das, was Brian Elliott als zukünftig essenziell vorhersieht. 

Aus einer ganz anderen Richtung erhalten wir Bestätigung für dessen Theorien. Werner L. Kuhnert ist Management Consultant für Cultural Change Management, digitale Transformation, Cloud- und Technologiethemen. Er war in Harvard, am INSEAD und am IMD in Lausanne und hat Führungspositionen bis zum CEO im In- und Ausland besetzt. Heute berät er den deutschen Mittelstand und Behörden über zukunftsfähige Management-Methoden und Infrastrukturen. Kuhnert bestätigt das von Elliott beschriebene veraltete Szenario: »Die Führungsdenke heißt noch in zu vielen Firmen: Kontrolle. Das funktioniert nicht mehr.« Schon allein, weil es diese Form der Kontrolle beim Remote-Arbeiten nicht gibt. Auch Kuhnert kennt Szenarien wie die, die Kristin erlebt hat. »Veraltete Diensthandys und Terminalcomputer waren bis vor kurzem noch die Standardausstattung im Mittelstand.« Wenn man ihm zuhört, staunt man, wie oft noch mit Stift und Auftragsblock zum Kunden gegangen wurde. Dann kam Corona. Seitdem ist moderne Hardware Mangelware. 

 

 

Büroarbeitsplätze und die Art und Weise der Zusammenarbeit haben sich in kürzester Zeit verändert. Was früher im Konferenzraum beschlossen wurde, passiert jetzt per Doodle-Umfrage. In virtuellen Räumen finden sich Teams zur Projektarbeit zusammen. Über digitale Headquarter werden Teammitglieder, externe Partner und die notwendigen Applikationen kurzerhand angebunden. Damit eine Führungskraft das dort Geleistete objektiv beurteilen kann, muss sie ihre Mechanismen anpassen. Sie muss Vertrauen haben in das selbstbestimmte Arbeiten ihrer Teammitglieder. Das bedingt, dass jeder das Ziel kennt, statt nur den Weg dorthin. Natürlich ist das alles nicht mal eben eingeführt und umgesetzt. Es ist eine Kulturwende innerhalb eines Unternehmens und die neue Art des Arbeitens behagt naturgemäß nicht jedem. Das größte Problem sieht Kuhnert darin, dass die oftmals verknöcherten Firmenstrukturen nicht nachkommen. »Innovation muss immer erstmal die Lehmschichten durchbrechen«, sagt er. Und die gibt es in allen Hierarchiestufen. 

58 Prozent höhere Produktivität dank Disruption. Organisationen, die es verstanden haben, sowohl die Kultur und Normen, als auch die Werkzeuge und Technologien, mit denen sie arbeiten, neu zu gestalten, weisen laut Umfrage des Future Forums eine um 58 Prozent höhere Produktivität auf. 

Stellt sich die Frage wie diejenigen, die seit Jahren hinterherhinken die durch Corona aufgedeckten Defizite aufholen können? Das ist laut Werner Kuhnert Chefsache. Eben weil sämtliche Strukturen auf den Prüfstand müssen, inklusive Wissenstransfer an die Mitarbeiter und vorhandener Hierarchien, Abläufe und Prozesse. Technologie steht dabei viel weniger im Vordergrund als häufig angenommen. Die Unternehmenskultur zu verändern, kommt einem Umbruch gleich, weshalb auch oft von Disruption (Umsturz) oder digitaler Revolution gesprochen wird. »Solche Begriffe führen bei kleineren und mittelständischen Unternehmen eher zu Ängsten als zu spontaner Begeisterung«, weiß Kuhnert aus seiner Arbeit. Als Unternehmensführung muss man dazu bereit sein und darf eine langfristige Investition in neue Arbeits- und Führungsstile nicht scheuen. Das erfordert mehr als nur Kapital. Es erfordert einen langen Atem. 

Dem Versicherungskonzern, für den Stefanie arbeitet, gelingt diese Transformation zunehmend. Ganz selbstverständlich finden flexible Teams zu Projektarbeiten zusammen, lösen eine Aufgabe und lösen sich wieder auf, um für neue Herausforderungen in anderer Konstellation zusammenzufinden. Dabei hilft Kollaborationssoftware aus der Cloud, wie sie Brian Elliott beschrieben hat. Sie ermöglicht den Zugriff auf alle notwendigen Dokumente und Daten. Groupware, Messenger und Projektmanagementsoftware machen den jeweiligen Bearbeitungsstatus für die Teams transparent und Videokonferenz-Software sorgt für einen lebendigen Austausch. Auf diese Weise hat sich Stefanies Befürchtung des Proximity Bias in Wohlgefallen aufgelöst: Auch die Führungsriege ihres Arbeitgebers arbeitet nun regelmäßig von zu Hause. Meetings finden online statt, sobald auch nur ein Teilnehmer nicht persönlich anwesend sein kann. So ist niemand dem Chef »näher«, nur weil er sich häufiger im Büro einfindet. Vertrauen ist das neue Leitbild der Manager und Managerinnen, Selbstdisziplin und eigenverantwortliches Handeln das der Ausführenden. New Work ist hier Realität geworden.

Über all dem wacht die IT-Abteilung. Um den virtuellen Austausch sicher zu gestalten, um Leistung messbar zu machen, um Unternehmens- und Kundendaten gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) 24/7 zu schützen und die Organisation vor Cyberattacken zu bewahren.

 


Angelika Mühleck,
IT-Fachjournalistin

 

 

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