Deutschland braucht bis 2060 jährlich 260.000 Zuwanderer

Deutscher Arbeitsmarkt auf außereuropäische Zuwanderung angewiesen.

Der demographische Wandel schlägt immer stärker durch. Die Zahl der Arbeitskräfte nimmt ab und aus den europäischen Nachbarländern kommen absehbar weniger Menschen nach Deutschland. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, wie viel Zuwanderung aus Drittstaaten der deutsche Arbeitsmarkt braucht.

https://www.bertelsmann-stiftung.de/

Deutschland hat bis 2060 einen jährlichen Einwanderungsbedarf von mindestens 260.000 Menschen. Nur so lässt sich der demographisch bedingte Rückgang des Arbeitskräfteangebots auf ein für die Wirtschaft verträgliches Maß begrenzen. Es ist zu erwarten, dass im Jahresdurchschnitt rund 114.000 Zuwanderer aus anderen EU-Staaten kommen werden, demnach rund 146.000 Personen aber aus Drittstaaten außerhalb der EU einwandern müssten. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Untersuchung von Johann Fuchs und Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) sowie Lutz Schneider von der Hochschule Coburg in unserem Auftrag.

Die Studie berücksichtigt auch die Potenziale der einheimischen Bevölkerung. Die Forscher unterstellen eine zukünftig höhere Geburtenrate sowie mehr Frauen und ältere Menschen im Arbeitsmarkt. Doch selbst wenn Männer und Frauen gleich viel arbeiteten und in Deutschland eine Rente mit 70 eingeführt würde, könnte der Fachkräftebedarf nicht mit inländischen Mitteln gedeckt werden. Unser Vorstand Jörg Dräger hebt hervor:

 

»Migration ist ein zentraler Schlüssel zu einer gelingenden Zukunft. Deutschland braucht Fachkräfte – auch aus Regionen außerhalb Europas.«

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung

 

Digitalisierung erfordert mehr Experten

Untersucht wurde auch, wie sich die Digitalisierung auf den Einwanderungsbedarf auswirken wird. Ein zunehmend digitalisierter Arbeitsmarkt erfordert demnach nicht weniger Arbeitskräfte, sondern mehr Fachkräfte mit hoher Qualifikation, etwa Techniker, Meister und Akademiker.

Wenn man aber auch die verfügbaren Arbeitskräfte – also die Angebotsseite – mitberücksichtigt, ist langfristig dennoch mit einer Entspannung der Engpässe bei Akademikern, aber mit einer Verschärfung der Engpässe im mittleren Qualifikationssegment zu rechnen. Denn einerseits erwerben immer mehr Menschen höhere Qualifikationen und andererseits scheiden in den kommenden Jahren besonders viele Menschen mit Berufsausbildung aus dem Berufsleben aus.

 

[1] Zur Studie: Für die Studie »Zuwanderung und Digitalisierung: Wie viel Migration aus Drittstaaten benötigt der deutsche Arbeitsmarkt künftig?« haben Johann Fuchs und Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) sowie Lutz Schneider von der Hochschule Coburg verschiedene Szenarien bis 2060 berechnet, wie viel Zuwanderung Deutschland pro Jahr benötigt, um den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials auf ein verkraftbares Maß zu begrenzen. Dabei wurde die Entwicklung der inländischen Erwerbsbeteiligung, der Migration aus EU-Staaten sowie des Einflusses der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt berücksichtigt. Die Forscher berücksichtigen damit gegenüber ihrer Studie zum Zuwanderungsbedarf bis 2050 von 2015 die gestiegene Zuwanderung der letzten Jahre und neue Entwicklungen in Gesellschaft und am Arbeitsmarkt, bekräftigen aber mit ihren aktualisierten Annahmen und Berechnungen die Notwendigkeit von Zuwanderung aus Drittstaaten. Zudem wurde dieses Mal berechnet, was es an Einwanderung bräuchte, um den prognostizierten Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft gerade so zu decken. Die Studie aus dem Jahr 2015 hatte noch berechnet, welche Zuwanderung benötigt würde, um das Erwerbspersonenpotenzial konstant zu halten.
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zuwanderung-und-digitalisierung/

 


 

Arbeitskräftemangel in 2030 birgt große Gefahr für Wohlstand und Wachstum

Deutschland könnten in 15 Jahren zwischen 5,8 und 7,7 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Alle Bundesländer sind davon betroffen, die neuen Bundesländer aber besonders stark. Verlust an Wirtschaftsleistung in 2030 bis zu 550 Milliarden Euro möglich.

Vom Babyboom zur Mangelware – der demografische Wandel wird zu einem großen Problem für den deutschen Arbeitsmarkt, denn Fachkräftemangel bremst das Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung wird sich bis 2030 noch verschärfen. In Deutschland könnten so in den kommenden 15 Jahren 5,8 bis 7,7 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Dies geht aus der neuen Studie Die halbierte Generation von The Boston Consulting Group hervor. »Von dieser Arbeitskräftelücke sind alle Bundesländer betroffen. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, steht das deutsche Wirtschaftswachstum auf dem Spiel und letztlich auch unser Wohlstand«, sagt Rainer Strack, BCG-Senior-Partner und Autor der Studie. Den Berechnungen zufolge könnten Deutschland aufgrund dieser Lücke in 2030 rund 410 bis 550 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung entgehen.

Arbeitskräfteangebot deckt nicht den Bedarf

In der Studie werden vier verschiedene Szenarien simuliert, wie sich Arbeitskräfteangebot und -bedarf bis 2030 entwickeln könnten, um aus dieser Differenz die Arbeitskräftelücke zu berechnen. Eines der vier Szenarien ist das sogenannte Basisszenario, dem beispielsweise eine optimistische Bevölkerungsentwicklung zugrunde liegt, die bereits eine hohe Nettomigration und eine steigende Erwerbsquote voraussetzt.

In diesem Basisszenario ergibt sich in Deutschland eine Arbeitskräftelücke von 6,1 Millionen im Jahr 2030. In den Bundesländern werden die Lücken unterschiedlich groß sein: Während Bayern das nach absoluten Zahlen höchste Arbeitskräftedefizit von rund 1,2 Millionen verzeichnen könnte, sieht sich Thüringen mit der größten relativen Lücke von minus 28 Prozent konfrontiert. »Vor allem in den neuen Bundesländern wird der Mangel zum großen Problem werden«, sagt Rainer Strack voraus. »Den Verlust von bis zu einem Fünftel der Arbeitskräfte werden diese Regionen kaum verkraften, ohne in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblichen Schaden zu nehmen. Bleiben Gegenmaßnahmen aus, sind eine weitere Verödung ländlicher Gebiete, die Abwanderung von Betrieben und das Schrumpfen lokaler Märkte absehbar.«

Hoher Handlungsdruck: Deutschland braucht langfristige Personalstrategie

Das Wachstum der gesamten Wirtschaftsleistung in Deutschland – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – würde im Verhältnis zu Vergangenheitswerten folglich drastisch zurückgehen: von durchschnittlich 1,3 auf 0,5 Prozent pro Jahr. Der Handlungsdruck für die Beteiligten in Politik und Wirtschaft, diese Auswirkungen abzumildern, ist hoch.

»Wir brauchen eine langfristige Personalplanung – das gilt für Unternehmen wie auch für Deutschland. Im Vergleich zur Kapitalseite, bei der kontinuierlich gemessen wird, wie produktiv Eigen- und Fremdkapital eingesetzt werden, sind viele Unternehmen und eben auch die deutsche Politik von einer vergleichbar intensiven Betrachtung des Vermögenswertes ›Mitarbeiter‹ noch weit entfernt«, resümiert Strack. »Wir müssen uns viel stärker damit auseinandersetzen, welche Mitarbeiter wir jetzt und in Zukunft brauchen, woher sie kommen und wie wir sie bestmöglich ausbilden können.«

[1] Die aktuelle Untersuchung »Die halbierte Generation« ist eine Vertiefung und Weiterentwicklung der BCG-Studie The Global Workforce Crisis. $10 Trillion at Risk aus dem Jahr 2014 über demografische Entwicklungen und ihre Folgen auf weltweiter Ebene. Das Onlineportal findet sich unter www.bcgperspectives.com.

grafik bcg bestimmung von arbeitskräftemangel und -angebot deutschland 2030

grafik bcg treiber arbeitskräfteangebot deutschland 2030

grafik bcg prognose arbeitskräftemangel bip-pro-kopf-modell deutschland 2030


 

Demographischer Wandel: Wahrnehmungen und Einschätzungen der Bevölkerung

Die deutsche Gesellschaft wird immer älter – und das scheint die wenigsten positiv zu stimmen. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, worüber sich die Bundesbürger beim demographischen Wandel Sorgen machen. Insgesamt gaben 65 Prozent der knapp 1.500 Befragten an, dass die Alterung der Gesellschaft mehr Risiken als Chancen bedeuten. Nur acht Prozent sehen es anders herum.

Als größtes Risiko wird mit 83 Prozent der Befragten eine steigende Altersarmut angesehen, wie die Grafik von Statista zeigt. 80 Prozent fürchten einen immer späteren Renteneintritt, 77 Prozent sehen steigende Rentenversicherungsbeiträge auf die Menschen zukommen. Hedda Nier


Das Institut für Demoskopie Allensbach wurde von der Bertelsmann Stiftung beauftragt, eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zu den Wahrnehmungen und Einschätzungen der Bevölkerung zum demographischen Wandel durchzuführen.

Folgende Fragestellungen bilden den Ausgangspunkt der Befragung:

Was wissen die Bürger über den demographischen Wandel, wie schätzen sie dessen Bedeutung für das eigene Leben und die Zukunft des Landes ein? Welche Folgen wird die demographische Entwicklung für die Gesellschaft und Arbeitswelt haben?

Was sollte die Politik tun, damit die Gesellschaft den demographischen Wandel möglichst gut bewältigen kann? Insbesondere in Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme werden die Bürger gefragt, welche Maßnahmen zu einer Stabilisierung beitragen könnten.

Welche Einstellungen hat der Einzelne gegenüber dem Älterwerden und welche Pläne hat er für den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand? Welche Faktoren sorgen dafür, möglichst früh aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu wollen? Und umgekehrt wurde gefragt, welche Bedingungen und Anreize notwendig wären, um länger als gesetzlich vorgesehen zu arbeiten.

Antworten auf diese Fragen gibt eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, für die das Institut für Demoskopie Allensbach über 1.400 Menschen ab 16 Jahren in Deutschland persönlich interviewt hat. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/demographischer-wandel-wahrnehmungen-und-einschaetzungen-der-bevoelkerung/

https://de.statista.com/infografik/13183/sorge-um-demographischen-wandel/

 


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