Professionelle berufliche Anwendungen gelten als langweilig und schwer zu bedienen, private Spiele- und Social-Media-Apps sind intuitiv und machen Spaß. Das ist kein Vorurteil, sondern Realität. Wie wäre es eigentlich, wenn auch Business Software ähnlich einfach und leicht zugänglich wäre wie ein Handy-Game? Die Entwicklungsmethoden und -mechanismen dafür sind vorhanden. Man muss sie nur richtig nutzen.
Business Software wird in der Regel in sogenannten Usability Labs weiterentwickelt. Darunter stellt man sich eine klinisch reine, streng abgeschirmte Laborsituation vor, in der sorgfältig ausgesuchte Testpersonen Aufgaben lösen, die von ausgewiesenen Experten nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt wurden und deren Ergebnisse ausschließlich nach ebenso elaborierten Parametern ausführlich analysiert werden. Klingt schwerfällig und langwierig – und ist es auch. Obwohl seit Jahrzehnten Funktionsstrukturen, Bedienlogiken und Benutzeroberflächen von Business Software nach diesen Schemata entwickelt werden, muss nach wie vor viel Zeit und Geld in das Training von Mitarbeitern investiert werden, damit sie zumindest einen Teil der »Usability-optimierten« Programme einigermaßen beherrschen und bedienen können. Bei Licht betrachtet, ist dieses Labor-Prinzip eine teure und ineffiziente Sackgasse, vor allem dann, wenn es an anderer Stelle offensichtlich viel besser und einfacher funktioniert.
Die tägliche Praxis ersetzt das sterile Labor. Der Erfolg von Social Media und Gaming-Apps beruht nicht zuletzt darauf, dass sie einfach und intuitiv zu bedienen sind. Nutzer von Twitter, Facebook, Minecraft oder Fortnite brauchen weder Schulung noch Einweisung. Eventuelle Schwachstellen können auf Basis des permanent einlaufenden Echtzeit-Feedbacks analysiert und nachjustiert werden, ohne auf die nächste Release-Version warten zu müssen. Was liegt also näher, als dieses täglich milliardenfach genutzte Praxislabor auch für die Optimierung des Look & Feel von Business Software zu nutzen?
Die wegweisenden Stichworte dafür sind Mobile First und Gamification. Das Aussehen und die Konzentration auf das Wesentliche spielen also eine wichtige Rolle. Die Konfrontation der Nutzer mit verschachtelten Menüs, kryptischen Begriffen und überbordender Funktionsflut ist nicht mehr akzeptabel. Keep it simple, und das auf allen Frontends, sei es ein Android-Handy, ein Apple-Laptop oder ein Windows-Rechner. Gleichzeitig ist Social Media auch die Blaupause für die Bedeutung der Community: Interaktivität und Knowledge Sharing gehören daher unbedingt auch in den Funktionsumfang für Business Software. Die Community bilden in diesem Umfeld die Anwender, also die Mitarbeiter eines Unternehmens, das die betreffende Software erworben hat. Es kann aber auch sinnvoll sein, den Kreis der Anwender zu erweitern, etwa um externe Nutzer wie beispielsweise die Mitarbeiter von Partnern, Kunden oder Lieferanten.
In der Praxis sieht das dann so aus, dass Inhalte (Topics) jeder Art, wie etwa Texte, Bilder oder Videos, zwischen allen oder einer bestimmten Gruppe von Nutzern über dafür vorgesehene Kanäle (Channels) geteilt, gemeinsam bearbeitet, kommentiert und diskutiert werden. Oder es ist möglich, im Rahmen eines Brainstormings gemeinsam und simultan einen Text zu bearbeiten. In beiden Fällen ist die Chance groß, dass am Ende ein besseres Ergebnis steht, als wenn nur ein oder zwei Mitarbeiter ihre Ideen beigesteuert hätten. Die Erfahrung zeigt, das bei offenen Fragen an das gesamte Team oft ganz überraschende Ergebnisse entstehen, die viel werthaltiger sind, als wenn nur wenige ausgesuchte Kandidaten um ihre Einschätzung gebeten werden. Aus Sicht der Mitarbeiter sind solche Optionen eine willkommene Parallele zu ihren privaten Aktivitäten; aus der Perspektive von Unternehmen bieten sie neben höherer Mitarbeiterzufriedenheit zudem die Basis zur Steigerung der informationellen Wertschöpfung: aus Daten werden Informationen – aus Informationen wird Wissen – aus Wissen wird Innovation.
Messenger, Spiele und Social-Media-Apps liefern zudem Hinweise für weitere Optimierungspotenziale. Sie sind in der Regel Solitäre, die keine Verbindung untereinander haben. Schnittstellen, Datenaustausch, Datenintegration, Interoperabilität? Fehlanzeige! Hier kann und muss Business Software einen wichtigen Schritt nach vorne machen, genauso wie bei den alles überstrahlenden Themen Sicherheit und digitale Souveränität, für die Gaming und Social Media bekanntlich alles andere als Maßstäbe sind. Hier endet deshalb ihre Vorbildfunktion. Security- und Compliance-Vorgaben spielen bei professionellen Anwendungen eine weitaus größere Rolle. Themen von A wie Authentifizierungen bis Z wie Zugangsberechtigungen müssen hier entsprechend umgesetzt werden.
Die Kreativität ist da, sie muss nur richtig genutzt werden. Über allem schwebt die Intuition als kreative Kraft. Sie weckt die initiale Idee für die Gestaltung der Nutzerschnittstelle, die dann in der geschilderten Nutzer- und Feedback-Situation sehr schnell glattpoliert und praxistauglich wird. Trial and Error gehört also dazu und darf es auch, weil Irrwege mittlerweile sehr schnell ausgesiebt und gesperrt werden können. Das »Feedback-Futter« für die laufende Optimierung kommt in erster Linie über den Helpdesk, an den die Nutzer des Kunden ihre Rückfragen, Fehlermeldungen, Produktwünsche und Kritik richten. Nach einem Produktupdate stapeln sich die Rückmeldungen oft schon nach wenigen Minuten. Diese wertvolle Informationsquelle muss allerdings konsequent genutzt werden. Wer sie ignoriert, läuft Gefahr, an Boden zu verlieren. Die Zeiten von Windows Vista etwa, als die Kombination aus Sturheit und Marktmacht noch viel größere Möglichkeiten hatte, untaugliche Konzepte durchzusetzen, ist definitiv vorbei. Die Macht haben jetzt die Nutzer. Man mag das bedauern – oder als Chance begreifen, Business Software endlich aus dem Stigma der drögen Funktionswüstenei zu befreien.
Andrea Wörrlein,
Geschäftsführerin VNC Berlin und
Verwaltungsrätin der VNC AG Zug