Wie ist es um die digitale Transformation in Deutschland bestellt? Diese Frage diskutierten Experten bei einer Round-Table-Veranstaltung des Digital-Business-Spezialisten Arithnea in München. Trotz aller aktuell noch vorherrschenden Einwände und Widerstände im Markt zeigten sie sich weitgehend einig, dass deutsche Unternehmen, die sich jetzt darauf vorbereiten, die Herausforderungen des digitalen Wandels meistern werden.
Status Quo der Digitalen Transformation
Was den Status Quo der digitalen Transformation in Deutschland angeht, sehen die Experten noch einen deutlichen Nachholbedarf. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen drohe die Gefahr, abgehängt zu werden, sagte Franziska Neuberger, Referatsleiterin IKT und Medien bei der IHK für München und Oberbayern. »Viele KMUs setzen zwar bereits einige losgelöste Ad-hoc-Projekte um, schrecken aber noch vor einer umfassenden Strategie oder gar einem grundlegenden Veränderungsprozess zurück. Sie sind derzeit einfach noch oft von der Komplexität des Themas und den Änderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, überfordert.«
Dass zahlreiche andere Länder bereits ein gutes Stück weiter sind, berichtete Christoph Khodja, Leiter IT Solution Center bei Grenkeleasing. Sein Unternehmen ist international aktiv und beobachtet, dass vor allem in Skandinavien, aber auch in Frankreich oder Italien die Digitalisierung teilweise deutlich weiter vorangeschritten ist als hierzulande. Einen möglichen Grund dafür sieht Olaf Kleidon, CEO von Arithnea, unter anderem in der derzeit guten wirtschaftlichen Lage Deutschlands. Da die Umsätze und Gewinne stimmten, so der CEO, haben eventuell viele Unternehmen hierzulande noch zu wenig Druck, etwas an ihrem Geschäftsmodell nachhaltig zu verändern. Das sei in seinen Augen aber viel zu kurzfristig gedacht.
Was sich Kunden wünschen
Welche Möglichkeiten einige Hersteller dadurch verschenken, verdeutlichte Klaus Rovara, Head of Digital Business to Consumer bei BSH Hausgeräte. BSH nutzt für ihre 14 Marken neben den jeweiligen länderspezifischen Webseiten auch die sozialen Medien zur proaktiven Interaktion mit ihren Kunden. So bietet der Hausgeräte-Hersteller unter anderem die Möglichkeit zur Produktbewertung. »Der Nutzen, den BSH in Sachen Produktentwicklung, Sortimentsgestaltung und Preisgestaltung aus Social Media ziehen kann, ist fantastisch. Wir erfahren über die verschiedenen Kanäle genau, was sich unsere Kunden wünschen und somit auch, was unseren Umsatz maßgeblich beeinflusst.«
Ein weiteres Beispiel nannte Khodja von Grenkeleasing. Der IT-Leasing-Spezialist hat jüngst seine Vertragsabschlussprozesse vollständig digitalisiert. »Der vollelektronische Vertragsabschluss vereinfacht die Prozesse für unsere Kunden erheblich und reduziert auch den operativen Aufwand bei uns im Backoffice deutlich.«
»Man braucht Mut zur Priorisierung«
Wie sollten Unternehmen die Digitale Transformation am besten angehen? Michael Bubolz, Director Strategy Consulting bei Arithnea, vertrat dazu eine klare Meinung: »Der digitale Wandel hat erhebliche Auswirkungen auf sämtliche Facetten eines Unternehmens und kann deshalb nur erfolgreich gestaltet werden, wenn er ausgehend von der Unternehmensstrategie vollzogen wird.« Der Geschäftsführung beziehungsweise dem Vorstand komme deshalb eine Schlüsselrolle zu. Einen Tipp aus eigener Erfahrung kann Klaus Rovara von BSH den Unternehmen mit auf den Weg geben: »Man braucht Mut zur Priorisierung. Die Möglichkeiten der Digitalisierung erscheinen unendlich, aber man sollte gleich zu Beginn diskutieren, was gemacht wird und vor allem was nicht. Sonst besteht die Gefahr, sich durch zu viele Projekte zu verzetteln.«
Zu einer großen Herausforderung der digitalen Transformation zählen Datenschutz und Datensicherheit. Dass sich diese Herausforderung für international agierende Unternehmen noch zusätzlich verschärft, darauf wies Christoph Khodja von Grenkeleasing hin. Da jedes Land eigene Datenschutzgesetze habe, müssten solche Unternehmen verschiedene Spezifika berücksichtigen und gegebenenfalls auch mit unterschiedlichen IT-Dienstleistern für verschiedene Länder zusammenarbeiten. IHK-Expertin Neuberger sieht den Informationsschutz trotz aller Herausforderungen aber auch als große Chance gerade für deutsche Unternehmen. Da hierzulande sehr strenge Regeln gelten, könnten sie mit ihrer hohen IT-Sicherheit punkten und sich dadurch Wettbewerbsvorteile im Ausland verschaffen.
Ausblick
Was die weitere Entwicklung der digitalen Transformation in Deutschland angeht, zeigten sich die Diskutanten weitgehend optimistisch. »Auch wenn wir noch nicht soweit sind wie manch andere Länder, tut sich doch gerade sehr viel bei uns«, sagte Christoph Khodja. »Deshalb gehe ich davon aus, dass wir sehr schnell aufholen und die Länder, die uns im Moment noch voraus sind, in manchen Bereichen sogar überholen werden.« Klaus Rovara von BSH erwartet, dass in den nächsten Jahren viele Unternehmen, die kostenintensive Offline-Kanäle betreiben, durch neue digitale Player erheblich unter Druck geraten werden. IHK-Expertin Neuberger kann diesem Druck aber durchaus etwas Positives abgewinnen: »Er wird es vielen Unternehmen erleichtern, sich von Althergebrachtem zu lösen und neue Chancen zu nutzen.«
Arithnea-CEO Olaf Kleidon sieht derzeit vor allem noch Defizite bei B2B-Unternehmen. »Berufsmäßige Einkäufer erwarten heute dieselbe gute Usability wie private Konsumenten, die bei Amazon shoppen. Das haben viele deutsche Unternehmen noch nicht so ganz realisiert.« Grundsätzlich schaut aber auch er optimistisch in die Zukunft. »Wir haben in Deutschland einfach eine gute wirtschaftliche Basis und Innovationskraft. Jedoch ohne Strategie geht es nicht.«