Kritik als Chance verstehen – Wie Führungskräfte und Mitarbeiter mit Feedback umgehen sollten

Illustration: Geralt Absmeier

 

 

Feedback ist nicht nur ein ehrlicher Austausch über persönliche Erfahrungen und Bewertungen. Es ist auch ein notwendiges Mittel zur Positionsbestimmung eines jeden Einzelnen. Deshalb gehören regelmäßige Feedbackgespräche in den meisten Unternehmen zum Pflichtprogramm. Führungskräfte stellen sich mindestens einmal jährlich in einer Review-Sitzung den Fragen und der Kritik ihres Vorgesetzten.

Auf der anderen Seite geben sie ihren direkt berichtenden Mitarbeitern oft halbjährlich eine Rückmeldung zu ihrer Arbeit und ihrem Sozialverhalten. Theoretisch sind Feedbackgespräche ein befruchtendes Element für jedes Unternehmen.

Rein theoretisch. Die Praxis sieht in vielen Unternehmen aber ganz anders aus. In vielen Fällen ruft unangemessenes Feedback Widerstände auf allen Mitarbeiterebenen hervor. Sie zerstört gute Beziehungen zu Mitarbeitern, Kollegen oder auch Freunden. In einer Umfrage von 2014 beschwerten sich 55 Prozent der Arbeitnehmer: Ihre letzte Leistungsbewertung sei unfair oder unzutreffend gewesen.

 

Kritik kratzt am Selbstbild

Kritik einzustecken war noch nie einfach – so konstruktiv und gut gemeint sie auch sein mag. Sie wird in den meisten Fällen als verletzend empfunden und führt zu negativen, emotionalen Reaktionen. Gerade Führungskräfte, die auf offenes Feedback für ihre Persönlichkeitsentwicklung angewiesen sind, blocken häufig kritische Bemerkungen ab. Dabei hilft gerade Feedback, den sogenannten »blinden Fleck« im Selbstbild zu verkleinern. Es ergänzt das Selbstbild durch das Fremdbild.

Die emotionalen Reaktionen entstehen dabei durch die Spannung zwischen zwei Grundbedürfnissen: dem Bedürfnis zu lernen und sich weiterzuentwickeln, und dem Bedürfnis beachtet zu werden. Wenn jemand Kritik in den falschen Hals bekommt,

  • empfindet er den Inhalt als falsch,
  • hält er den Feedbackgeber für ungeeignet oder
  • fühlt er sich in seinem Selbstbild angegriffen.

 

Kritik als Chance nutzen

Kritik bietet aber immer auch eine große Chance, wertvolle Informationen über sich selbst zu bekommen. Dazu muss man aber aktiv auf Kollegen, Vorgesetzte und Mitarbeiter zugehen und sie um Ratschläge und Coaching zu bitten. Und man muss bereit sein, sich mit den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen. Nur wenn man entschlossen ist, aus jedem Feedback etwas zu lernen und Kritik als Lernchance zu nutzen, kann man sich persönlich weiterentwickeln.

 

Durchschauen des eigenen Reaktionsmusters

Von Kindesbeinen an leben wir mit Feedback. Die Menschen haben dabei verschiedene, typische Muster entwickelt, auf Feedback zu reagieren:

  • Verteidigung auf der faktischen Ebene (»Das stimmt doch gar nicht!«)
  • Kritik an der Art der Übermittlung (»Musstest Du mir das ausgerechnet per E-Mail mitteilen?«)
  • Zurückschlagen (»Du hast es gerade nötig, mir so etwas zu sagen.«)
  • Weglächeln von Kritik, obwohl man innerlich kocht
  • In Tränen ausbrechen
  • Der Wut freien Lauf lassen

Mit dem Wissen um das eigene Reaktionsmuster ist man in der Lage, sich selbst erst einmal zu beruhigen und sich zu fragen, ob man nicht überreagiert. Es ist in aller Regel hilfreich, die Sache erst einmal zu überschlafen. Mit ein wenig Abstand fällt es leichter, zu beurteilen und zu entscheiden, was man aus dem kritischen Feedback machen kann oder will.

 

Trennen zwischen Sach- und Personenebene

Erfolgt die Reaktion auf ein Feedback auf der Beziehungsebene, fehlt die Grundlage für eine sachliche Beurteilung der Kritik. Automatisch verknüpft man das Feedback dem Sender gegenüber mit seinen Gefühlen. Dies macht jeden Lernprozess unmöglich. Um das zu verhindern, muss man sich bemühen, die Botschaft vom Botschafter zu trennen und beide Ebenen getrennt voneinander zu betrachten.

 

Nachfragen

Um ein Feedback akzeptieren oder ablehnen zu können, muss man den Inhalt des Feedbacks verstehen. Auf welche konkrete Situation bezieht sich das Feedback. Ein so einfacher Rat »Tritt selbstbewusster auf«, ist eine komplexe Mischung von Beobachtung und Werturteilen. Durch Nachfragen erfährt man nicht nur, worauf der Feedbackgeber seinen Rat oder seine Kritik stützt. Aus der Nachfrage kann sich eine für beide Seiten wertvolle, hilfreiche Unterhaltung ergeben.

 

Nach blinden Flecken Ausschau halten

Blinde Flecken sind Eigenarten, die jeder an uns wahrnehmen kann, uns an uns selbst aber verborgen bleiben. Wir wissen, dass blinde Flecken existieren, weil wir sie problemlos an unseren Vorgesetzten, Kollegen oder unserem Partner beschreiben können.

Wenn ein Feedback wiederholt in die falsche Richtung zu weisen scheint, sollte man sich fragen, ob das auf einen blinden Fleck hinweisen könnte: »Wenn mir jemand sagt, dass ich distanziert wirke, bin ich überrascht. Ich nehme mich selbst als umgängliche Person wahr. Vielleicht gibt es da aber etwas, was ich nicht sehe. Was genau mache ich, das diesen Eindruck hervorruft?« Dazu sollte man beobachten, wie der eigene Gesichtsausdruck, die Stimme, die Emotionen auf andere Menschen wirken und welche Reaktionen sie hervorrufen. Denn hier bewegen wir uns im klassischen Bereich der blinden Flecken.

 

Feedback als Coaching verstehen

Es gibt drei unterschiedliche Arten von Feedback: Wertschätzung, Bewertung und Coaching. Eine Wertschätzung ist ein Lob – eine Anerkennung der geleisteten Arbeit. Eine Bewertung zeigt auf, wo man steht, was man zu erwarten hat und was von einem erwartet wird. Coaching bietet einem die Möglichkeit, etwas zu lernen, sich zu verbessern und in eine höhere Liga aufzusteigen.

Nur zu oft stufen Menschen gut gemeintes Coaching als Bewertung ein. Doch wer glaubt, bewertet zu werden, fühlt sich häufig in seiner Identität angegriffen. Das weckt Ängste, die jedes Lernen im Keim ersticken können. Ernsthaftes, aufrichtiges Feedback sollte als Coaching verstanden, als Lernchance aufgefasst werden. Es lohnt sich, zu versuchen, die Hilfen und Ratschläge herauszuhören.

 

Den Chef coachen

Nicht selten bekommt man auch Feedback, mit dem man wenig anfangen kann. Das liegt daran, dass der Vorgesetzte – oder wer auch immer zu helfen versucht – über den Feedbackempfänger nicht sonderlich viel weiß. In diesem Fall empfiehlt es sich, das Gespräch mit dem Feedbackgeber zu suchen und ihn darüber aufzuklären,

  • was einem hilft,
  • was einen verletzt,
  • was einen motiviert,
  • was einen entmutigt,
  • an welchen Entwicklungen man arbeitet,
  • was man im Moment zurückstellen möchte.

 

Feedback sollte immer so konkret wie möglich gegeben werden. Dazu eignen sich konkrete Situationen besonders gut. Jemandem die Wahrheit zu sagen, zeugt von Respekt. Wenn es gelingt, den Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass einen nur ehrliches Feedback voranbringt, entfaltet Feedback den größten Nutzen. Dann kann auch Feedback mit negativem Inhalt zu einer positiven Reaktion führen.

 

Um Feedback bitten

Erfahrungsgemäß bringt Feedback einen Menschen weniger in emotionalen Aufruhr, wenn er ausdrücklich darum bittet. Es macht also keinen Sinn, auf die alljährliche Leistungsbeurteilung zu warten. Man sollte vielmehr über das ganze Jahr verteilt jede Gelegenheit nutzen, Feedback in kleinen Portionen von verschiedenen Personen einzuholen. Beispielsweise wenn man als Projektleiter erfolgreich eine Herausforderung gemeistert oder für den erkrankten Vorgesetzten vorübergehend die Abteilung geführt hat.

Untersuchungen belegen, dass Menschen, die ausdrücklich um kritisches Feedback bitten, im Durchschnitt bessere Leistungsbewertungen bekommen. Warum? Das liegt vor allem daran, dass jemand, der aktiv Feedback einfordert, eher bereit ist, ernsthaft an sich zu arbeiten. Wer um konstruktive Kritik bittet, vermittelt damit gleich mehrere Botschaften über sich selbst: Bescheidenheit, Respekt, Selbstvertrauen und den Ehrgeiz, sich zu verbessern.

 

Professionelle Unterstützung

Feedback zu geben und Feedback anzunehmen, ist, wenn es für Unternehmen fruchtbringend sein soll, nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. In der Praxis tun sich noch zu viele Unternehmen mit dem Thema Feedback schwer. Ein professioneller Coach kann hier auf vielfältige Weise einen Beitrag zum Erfolg von Feedbackprojekten leisten. Zum einen kann er betroffenen Führungskräften und Mitarbeitern Unterstützung bei der Bewältigung des Feedbacks geben. Zum anderen kann er den verantwortlichen Führungskräften dabei sekundieren, die Feedbackprojekte optimal zu gestalten. Zudem kann er ihre eigene Rolle und die der Feedbacknehmer reflektieren und optimieren. Und letztendlich ist er in der Lage, fachlich und methodisch bei der operativen Umsetzung von Feedbackprozessen Hilfestellung zu leisten.

 

Reinhard F. Leiter, Executive Coach bei der SELECTEAM Deutschland GmbH

 

Reinhard F. Leiter absolvierte nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums Jesuitenkolleg Kalksburg (Wien) ein Betriebswirtschaftsstudium mit den Schwerpunkten Organisationslehre und Personalwesen an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Bei der Bayer Group nahm R.F. Leiter Funktionen als Leiter u.a. der Aus- und Weiterbildung und als Personalleiter (1970 – 1982) wahr. Bei der Allianz AG leitete er das Zentrale Bildungswesen. Diese Aufgaben führten ihn 1999 zu seiner letzten Position als Leiter des Fachbereichs Executive Events der Allianz SE. In den letzten Jahrzehnten war er auf allen fünf Kontinenten in 30 Ländern tätig.
Seine berufliche Orientierung ist durch die Maxime geprägt: »Im Mittelpunkt steht immer der Mensch«. Sie ist von der Überzeugung getragen, dass alle Maßnahmen eines Unternehmens – altbewährte genauso wie neu eingeführte – in ihrer Methodik einer permanenten Überprüfung, Anpassung und Erneuerung bedürfen. So können sie in einer rasant technologisierten Welt wirken und dabei dem Unternehmen und seinen Menschen gerecht bleiben.
Seine Schwerpunkte als Berater und Coach bei SELECTEAM liegen im Bereich Führung, Kommunikation und Executive Events.
Neu-Erscheinung 2017
Presentation Excellence – A holistic approach« – Reinhard F. Leiter; Verlag Windmühle Hamburg 2017; ISBN 978-3-86451-039-7

 


 

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