»Ohne entsprechende Zertifizierung ist man raus aus dem Spiel«

Auch 2023 steht die Rechenzentrumsbranche vor weiteren Herausforderungen. Welche das sind und worauf Unternehmen bei der Auswahl ihres Colocation-Anbieters achten sollten, verrät Muzafer Ege, Director Sales DACH Region beim nachhaltigen Rechenzentrumsanbieter Beyond.pl.

 

Geben Sie uns doch einen kleinen Überblick: Was tut sich auf dem Markt der Rechenzentrumsstandorte? Wohin geht die Reise?

Aktuelle Prognosen zeigen eine glänzende Zukunft: Laut dem Forschungsunternehmen Arizton wird der europäische Markt für die Colocation-Services von Rechenzentren bis 2027 11,8 Milliarden US-Dollar erreichen. Europa, insbesondere der FLAPD-Markt, gehört zu den wichtigsten Colocation-Märkten weltweit und verzeichnet 2023 im Vergleich zum 2022 eine erhebliche Colocation-Nachfrage, ebenso sekundäre Märkte wie Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Polen und Österreich. Der FLAPD-Markt steht jedoch auch vor der Herausforderung, wo er noch neue Rechenzentren errichten kann, da es an Grundstücken für den Bau neuer Anlagen mangelt sowie vielerorts behördliche Richtlinien und Anwohnerforderungen den Bau erschweren.

Aufgrund der niedrigen Stromkosten, der Verfügbarkeit von kostenloser Kühlung sowie staatlicher Maßnahmen und Anreize sind die nordischen Länder ein beliebtes Investitionsziel. In Mittel- und Osteuropa ist Polen ein schnell wachsender Markt und entwickelt sich zu einem regionalen Expansions-Hotspot für Hyperscaler. Das treibt auch die Nachfrage nach Wholesale-Colocation in die Höhe.

 

»Polen ist ein schnell wachsender Markt und entwickelt sich zu einem regionalen Expansions-Hotspot für Hyperscaler. Das treibt auch die Nachfrage nach Wholesale-Colocation in die Höhe.«

 

 

Polen als interessanter Standort?

In der Tat. Polen ist bereits eine eindeutige Marktmacht in der Region Mittel- und Osteuropa. Arizton bezeichnet das Land als »aufstrebenden Markt« und stellt es an die Spitze der Länder, in denen die Nachfrage nach Colocation-Diensten deutlich steigen wird. Das Land wird von den größten Akteuren der Rechenzentrumsbranche mit wachsendem Interesse betrachtet, was sich in der Entstehung neuer lokaler Zonen manifestiert. Interessant sind dabei vor allem die Bereiche der Verfügbarkeit, die eine Datenverarbeitung nach lokalem Recht ermöglichen, unter Nutzung der lokalen IT-Infrastruktur einschließlich Rechenleistung, Massenspeicher, Datenbank und anderer ausgewählter Dienstleistungen.

Zudem ist das IT-Personal eines der besten. In Deutschland herrscht Personalmangel, vor allem an hochqualifizierten Mitarbeitern. Polen schneidet im weltweiten Vergleich beim IT-Personal überdurchschnittlich gut ab. Polnische Mitarbeiter zählen zu den besten Software-Entwicklern. Je besser das Personal qualifiziert ist, desto besser kann es die angebotenen Services umsetzen, Unternehmen beratend zur Seite stehen sowie Sicherheitslücken entdecken, diese schließen und Empfehlungen für Veränderungen der IT-Infrastruktur zum Schutz oder verbesserter Leistungsfähigkeit geben.

 

Durch die Energiekrise rückt das Thema Energieeffizienz wieder in den Mittelpunkt vieler Diskussionen. Was können Rechenzentrumsanbieter hier tun und worauf sollten Unternehmen achten?

Die Energiekrise ist der eine Punkt, der andere ist, dass die Digitalisierung, die wachsende Anzahl von IoT-Geräten und so weiter, mehr Energie und mehr Platz für IT-Ressourcen erfordert, daher werden neue Rechenzentren benötigt und wir verbrauchen mehr Energie. Die Unternehmen müssen sich sofort um ihre IT-Infrastruktur kümmern, da sie sonst aufgrund der wahrscheinlichen Ausfallzeiten (bei Verwendung des On-Premise-Modells) ein echtes Problem mit der Geschäftskontinuität bekommen könnten. Ebenso wie um das Thema C02-Reduzierungen und ESG.

Die Emissionen in Rechenzentren müssen deutlich reduziert werden. Laut der IDC-Studie »Greening of and by IT« verfolgen derzeit 38 Prozent der DACH-Unternehmen einen strategischen Ansatz zur Nachhaltigkeit. Jedes Unternehmen, unabhängig von der Größe seiner Geschäftstätigkeit oder seiner Branche, ist in der Pflicht seinen Teil beizutragen. Rechenzentrumsanbieter sollten aktiv Ziele der nachhaltigen Entwicklung, einschließlich Energie- und Ressourceneinsparungen umsetzen. Neue Rechenzentren sollten so gebaut werden, dass sie weniger Energie verbrauchen und einen niedrigen PUE-Wert aufweisen.

 

Ein Handeln ist also dringend notwendig?

Unbedingt sogar. Der weltweite Durchschnitt lag im Jahr 2021 laut Uptime Institute bei 1,57 PUE. Das bedeutet, dass Rechenzentren im Durchschnitt 57 Prozent mehr Energie verbrauchen als die IT-Hardware benötigt, um die IT-Infrastruktur, die den Betrieb des Rechenzentrums ermöglicht, aufrechtzuerhalten. Bei Serverräumen in Unternehmen übersteigt dieses Verhältnis einen Wert von 2,0 bis 2,5. Das Beyond.pl Data Center 2 ist eine der energieeffizientesten Einrichtungen in der EU mit einem PUE-Wert von 1,2. Hier beträgt der Energiemehraufwand nur 20 Prozent. Darüber hinaus versorgen wir unsere Serverräume in beiden Rechenzentren in Poznan, Polen, als erste im Land mit 100 Prozent Ökostrom. Die in den Serverräumen erzeugte Wärme wird zur Beheizung externer Einrichtungen genutzt. Das Data Center 2 trägt zur Beheizung des Beyond.pl-Bürogebäudes bei und das Data Center 1 der Geschäftsräume im Kultur- und Einkaufszentrum in Posen. In der nächsten Entwicklungsphase wollen wir unsere Infrastruktur in das städtische Wärmenetz integrieren.

 

Wie steht es mit der Nachhaltigkeit in der Branche? Wie sehen Sie das?

Diejenigen, die die Nachhaltigkeitspolitik ignorieren und sich scheuen, sie in ihrem Unternehmen umzusetzen, verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Anforderungen an das Umweltmanagement nehmen zu – von Nichtregierungsorganisationen, der Europäischen Kommission oder letztlich von den Kunden. Eine unverantwortliche Digitalisierung, die die Grundsätze der Nachhaltigkeit ignoriert, führt zu einem unverantwortlichen Anstieg des Ressourcenverbrauchs, einschließlich des Stromverbrauchs.

Zahlreiche Initiativen, die darauf abzielen, Cloud-Dienste und Rechenzentren transparenter zu machen, den grünen Wandel voranzutreiben und Vorschriften zu schaffen, machen die gesamte IT-Branche nachhaltiger. Zu diesen Initiativen gehören der Pakt für klimaneutrale Rechenzentren oder die European Green Digital Coalition, deren Mitglied wir sind. Anforderungen sind die Einrichtungen mit 100 Prozent grüner Energie zu betreiben, die ISO 14001-Norm zu besitzen und somit konsequente Maßnahmen umzusetzen, die die negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Umwelt minimieren und zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung beitragen. Immer mehr Unternehmen suchen nach IT-Dienstleistern, die die ISO 14001-Norm erfüllen, um so ihre eigene grüne Lieferkette aufbauen zu können.

 

Was raten Sie Unternehmen?

Was bei der Diskussion über den CO2-Fußabdruck und die Umweltauswirkungen der Technologie vergessen wird, ist die Tatsache, dass professionelle moderne Rechenzentren hohe Ressourceneinsparungen erzielen, einschließlich Strom oder Wasser. Ohne moderne Rechenzentren wären die Emissionswerte in der IT-Branche um ein Vielfaches höher. Unternehmen, die sich dafür entscheiden, ihre IT-Ressourcen in eigenen Serverräumen zu warten, sind nicht in der Lage, das gleiche Maß an Optimierung zu bieten wie größere Einrichtungen, die speziell für die Wartung großer IT-Umgebungen gebaut wurden.

Dies spiegelt sich in den Daten einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie wider »Auf der Suche nach Optimierung. Rechenzentren, Colocation und Cloud«. Aus dieser geht hervor, dass die Steigerung der Energieeffizienz aus Unternehmenssicht als der beste Weg zur Senkung von Energiekosten und Emissionen angesehen wird. 61 Prozent der Befragten aus den größten polnischen Unternehmen und Konzernen nannten die steigenden Kosten für die Instandhaltung und Aufrüstung ihrer eigenen Rechenzentren als wichtiges Motiv für das Hosting von IT-Ressourcen in einem professionellen Rechenzentrum oder für Cloud Computing.

 

Sicherheit das altbewährte und so wichtige Thema. Was ist hier besonders wichtig?

Ohne entsprechende Zertifizierung ist man raus aus dem Spiel. Der Bezug von Dienstleistungen aus Rechenzentren mit der höchsten Zertifizierungsstufe, das heißt, mit der Zertifizierung ANSI/TIA-942 Rated 4, von denen es weltweit nur 26 und in der EU nur 5 gibt (wir sind eines davon), wird ein sichtbarer Trend bei Unternehmen in Branchen mit hohen Anforderungen an die Sicherheit und Geschäftskontinuität von IT-Dienstleistungen sein. Dazu gehören Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche, der Schwerindustrie, dem elektronischen Handel, aber auch Anbieter von Ressourcen und Dienstleistungen, die für die soziale und wirtschaftliche Stabilität von zentraler Bedeutung sind, wie zum Beispiel Energie und medizinische Dienstleistungen.

Anbieter von Rechenzentren und Cloud-Diensten können in ihren Marketingunterlagen alles Mögliche versprechen. Die Zertifizierung durch eine unabhängige Stelle ist jedoch eine objektive und unabhängige Bestätigung des tatsächlichen Qualitätsniveaus des Rechenzentrums. Die Zertifizierung ist eines der wichtigsten Kriterien, die bei der Auswahl eines Betreibers von Rechenzentren und eines Anbieters von Colocation-Dienstleistungen analysiert werden sollten, denn sie minimiert das Risiko kostspieliger Ausfallzeiten und garantiert, dass die Dienstleistungen auf dem erforderlichen Niveau erbracht werden.

Unser Data Center 2 ist die einzige Einrichtung in der EU mit dem höchsten Sicherheitsniveau, das von zwei unabhängigen Stellen bestätigt wurde: ANSI/TIA-942 Rated 4-Zertifizierung und DIN EN 50600 Klasse 4.

 

Was kommt 2023 noch auf uns zu? Welche Themen bestimmen das Jahr entscheidend mit?

Neben den bereits oben angesprochenen Themen Nachhaltigkeit, Sicherheit und Energieeinsparrungen, werden das Edge Computing, künstliche Intelligenz und Colocation-Dienste sein.

Wir werden dieses Jahr eine immer engere »Liebesbeziehung« zwischen Edge Computing und künstlicher Intelligenz (KI) erleben. Netzwerke, die KI nutzen, ermöglichen die dynamische Weiterleitung und Automatisierung von Aufgaben. Das bedeutet, dass intelligente Geräte nicht nur miteinander kommunizieren, sondern auch Entscheidungen treffen und Reparaturen auf der Grundlage von Daten in Echtzeit durchführen, was dazu beiträgt, den Bedarf an manueller Konfiguration zu verringern.

Und aufgrund des erheblichen Anstiegs der Energiepreise, möglicher Stromausfälle, steigender Grundstückspreise sowie der Bau- und Ausrüstungskosten werden die Unternehmen nach Alternativen zu den traditionellen Vor-Ort-Modellen für die Wartung der IT-Infrastruktur suchen, was das Interesse an Colocation-Diensten steigern wird. Der wichtigste Faktor, der zum Wachstum des Colocation-Marktes beiträgt, ist die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Betriebskosten zu verbessern und gleichzeitig den Zugang zu professionellen und sicheren IT-Diensten zu gewährleisten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Muzaffer Ege, Manager und Ingenieur der Elektrotechnik, hat mehr als 23 Jahre Erfahrung im internationalen Data Center Business. Er durchlief mit interxion Deutschland GmbH, TELEHOUSE Deutschland GmbH und NTT Global Data Centers EMEA GmbH renommierte Data Center Provider in Deutschland und betreute von Kleinstkunden bis hin zu Hyperscalern viele namhafte nationale sowie internationale Kunden. Ege war sowohl im operativen Bereich in der Kundenimplementierung als auch in der Kundenakquise tätig. Derzeit ist er als Director Sales DACH Region bei Beyond.pl zuständig für die Kundenakquise für das erste ANSI Rated-4 und DIN EN 50600 Klasse 4 Data Center in der EU. Weitere Informationen: https://www.beyond.pl/de/
Quellennachweis:
https://uptimeinstitute.com/about-ui/press-releases/uptime-institute-11th-annual-global-data-center-survey
https://www.igel.com/wp-content/uploads/2022/06/IDC_Executive-Brief_Sustainability-2022-DACH_ENG.pdf
https://www.computerworld.pl/news/W-poszukiwaniu-optymalizacji-Centra-danych-kolokacja-i-chmura,441821.html