Warum Data Governance die Voraussetzung jeder Automatisierung sein muss – KI oder Anarchie?

ChatGPT und Google Bard dominieren aktuell die Nachrichten, und eines ist klar: Ganz gleich, ob sie als Hoffnungsträger oder bedrohliche Fehlkonstruktion angesehen wird, künstliche Intelligenz (KI) ist in der Mitte der Diskussion angekommen.

Viel leiser und selbstverständlicher hat sie auch auf verschiedenen Ebenen von Unternehmen Einzug gehalten. Im Marketing oder im Bidding um Werbeplätze, die jetzt sogar schon im Kino datenbasiert vergeben werden. In manchen Unternehmen werden der Lagerplatz und der Order-Bereich automatisiert, andere verlassen sich beim Katalogversand auf KI und individualisieren die Cover, bei weiteren werden Rechnungen maschinell erstellt, Zahlungsmöglichkeiten oder Webseitengestaltung personalisiert oder die Preisgestaltung automatisch angepasst.

Vom Einkauf über Webdesign und Marketing bis hin zur Buchhaltung sind Mitarbeiter auf Daten angewiesen und aus allen Abteilungen fließen diese in die Grundlage der KI-Anwendungen ein. Dabei ist zu beobachten, dass sich oft jeder Bereich, der sich eine Automatisierung wünscht, individuell auf den Weg macht: mit Tool-Anbietern spricht, den Bedarf evaluiert und dann das entsprechende Tool nach den eigenen Präferenzen wählt und ausstattet. Das mag kurzfristig sinnvoll erscheinen, langfristig jedoch schadet das nicht nur dem gesamten Unternehmen, es wirkt sich auch direkt negativ auf den jeweiligen Bereich aus. Warum?

KI wird erst in der Zusammenarbeit sinnvoll. So ein Datensilo, das auf die Bedürfnisse nur eines Bereichs maßgeschneidert wurde, ist für andere Bereiche nicht nutzbar. Das liegt am Sprachgebrauch, an den Voreinstellungen, den fehlenden Informationen und der Struktur der Daten. Was unter einem Begriff verstanden wird und welche weiteren Informationen sich wie damit verknüpfen, muss gerade dann, wenn solche Ordnungssysteme automatisiert befüllt werden, vorher eindeutig definiert werden – im Sinne aller Nutzerinnen und Nutzer.

Wenn das Tool nur für einen Bereich verwendbar ist, fehlen allen weiteren Bereichen wertvolle Informationen. Und andersherum ist es genauso: Dieser Bereich verpasst die wichtigen Informationen der anderen Bereiche: Entscheidende Fragen, ob Kunden zuverlässig und ausbaufähig sind, welche Interessen sie im Austausch mit dem Kundenservice oder auf Social Media preisgeben oder ob ein Produkt aktuell gar nicht lieferbar ist und deshalb besser nicht beworben werden sollte, auch wenn es das beliebteste Motiv auf der Webseite ist, bleiben unbeantwortet.

Eine Abwärtsspirale der Fehlentscheidungen. Wer dennoch auf sie zugreift, kann schnell in Teufels Küche geraten: Irreführend bezeichnete Daten, Verwechslungen, Doppelungen oder schlichtweg Fehler führen dazu, dass die KI in rasantem Tempo Fehlentscheidungen trifft, aus denen sie wieder Daten generiert. Ein fataler, sich selbst beschleunigender und verstärkender Prozess wird in Gang gesetzt. Er führt zu kostspieligen Fehlentwicklungen und einer weiteren Korruption der Datenbasis, die nur schwierig wieder zu reparieren ist.

Data Governance oder Anarchie. Es braucht also einen koordinierten, unternehmensübergreifenden Ansatz für die Datenbasis. In der Struktur ihrer Anlage ebenso wie in der Zuführung der Daten. Und darüber kann nicht jede Abteilung für sich entscheiden, das muss von einer zentralen Stelle koordiniert werden.

Diese Aufgabe birgt einige Herausforderungen. Denn die steuernde Stelle muss nicht nur die Unternehmensziele für kommende Jahre im Blick behalten, sie muss auch lang etablierte Gewohnheiten in den einzelnen Unternehmensbereichen aufbrechen. Vielleicht muss sie genutzte Tools an der einen Stelle wieder abschaffen, wenn diese in geeigneterer Form in einem anderen Bereich vorliegen, und entscheiden, wessen Begrifflichkeiten genutzt werden, wenn es einen unterschiedlichen Sprachgebrauch gibt. Sonst entstehen Widersprüche in der Datenbasis und diese führen – wie oben beschrieben – zu Fehlern.

Wer regiert die Daten? Deshalb braucht es Data Governance –und die muss beim C-Level eines Unternehmens liegen und von dort aus ins Unternehmen getragen werden. Nur dadurch kann (idealerweise) das Verständnis der Mitarbeitenden für solche Änderungen geschaffen oder (weniger ideal) die notwendige Autorität ausgeübt werden, um sie durchzusetzen. Im C-Level ist außerdem die Unternehmensstrategie angesiedelt, die Voraussetzung und erster Schritt für jede Data Governance ist.

Zur Data Governance gehört auch, eine gemeinsame Sprache zu definieren. Nur wenn unternehmensweit unter zentralen Begriffen das Gleiche verstanden wird, können die Daten korrekt eingepflegt oder ausgelesen werden – von Mitarbeitern und Tools. Ob alles korrekt passiert, muss schließlich sorgfältig geprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Es braucht also eine zentrale Stelle, die ein solches Monitoring anstößt und die Ergebnisse berichtigen lässt.

Vom Tellerrand zu den Sternen. Das Ergebnis ist Überblick. Nutzbare Daten für alle Bereiche, nicht zuletzt für das Management und die künftige Strategie. Hinzu kommen sinkende Ausgaben für Fehlentwicklungen im Marketing oder Überkapazitäten in der Warenhaltung, mehr Verständnis für Kunden und mehr Personalisierung. Vielleicht weniger Tools, weil Doppelungen vermieden werden, vielleicht aber auch mehr, weil es eine zentrale Schnittstelle braucht, die alles koordiniert. Aber so etwas weiß nur, wer den Überblick hat, wer über den eigenen Tellerrand hinausblickt.

Vom Überblick profitieren alle Bereiche und obendrein auch die Qualität der KI. Arbeitserleichterung, Echtzeit, Personalisierung, alles wird so möglich, kontrollierbar und verbessert – zur Unterstützung der Mitarbeiter des Unternehmens, die ihren Beitrag zum Funktionieren der KI und zur konstanten Qualitätssicherung leisten. Denn ohne sie gäbe es keine Strategie, keine Data Governance, keine Bedürfnis­analyse und kein Monitoring der Ergebnisse. Der Weg der Data Governance öffnet den Blick aller Bereiche für das Gesamtunternehmen, und er führt weg vom Silo, vom engen Horizont des Tellerrandes hin zu einer guten Zusammen­arbeit – im Unternehmen und mit der KI.

 


Matthias Postel, CEO der iCompetence GmbH, berät mit seinen Mitarbeitern seit 14 Jahren Unternehmen in Datenbelangen. Dass es einer validen Datengrundlage bedarf, war dabei von Anfang an sein Credo. Manchmal ist er schockiert, wie langsam sich in diesem vorgeblich so schnellen Datengeschäft die Dinge entwickeln, dass nun CRM wieder eine große Rolle spielt, wundert ihn hingegen nicht.

 

 

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