2019, das Quanten-Jahr? Das nicht, aber das Jahr um sich darauf vorzubereiten

Vor einigen Wochen veröffentlichte die National Academies of Sciences, Engineering and Medicine einen neuen Bericht, in dem sie Fortschritte und Perspektiven – oder deren Fehlen – rund um das Thema Quantencomputer – untersucht hat [1]. Der Report skizziert verschiedene technische und finanzielle Probleme, die es zu überwinden gilt, bevor man einen funktionsfähigen Quantencomputer bauen kann. Selbst für Prognosen für die zeitliche Entwicklung der Technologie ist es nach Ansicht der Wissenschaftler noch zu früh.

Auch wenn das für einige überraschend klingen mag: die Art der Fortschritte auf diesem Gebiet und das technologische Wachstum haben sich im Laufe der Jahre so dramatisch verändert, dass einige Experten davon ausgehen, dass wir möglicherweise nie eine groß angelegte Implementierung sehen werden.

Doch auch wenn es noch ein weiter Weg zu sein scheint, sollte man die Möglichkeit eines plötzlichen Durchbruchs nicht ausschließen. Eine umfassende Vorbereitung ist ebenso notwendig wie ein gutes Verständnis der Technologie. Letzteres ist der Schlüssel diese neueste wissenschaftliche Möglichkeit überhaupt zu nutzen. Wer als Unternehmen rechtzeitig in den Startlöchern stehen will, kommt nicht umhin 2019 in Post-Quantum zu investieren.

 

Neue Technologien = neue Risiken

Groß angelegte Anwendungen von Quantencomputing versprechen erhebliche Fortschritte. Und das in verschiedenen Bereichen. Bestimmte Probleme sind einfacher zu lösen, und es besteht die Chance Innovationen auf den Weg zu bringen. So erwägt beispielsweise die NASA, Quanteninformatik nicht nur zur Analyse der enormen Datenmengen einzusetzen, die sie über das Universum sammelt, sondern auch zur Erforschung sichererer Methoden der Raumfahrt.

Aber neue Technologien haben neue Risiken im Gepäck. Dazu gehören vor allem Gefahren für die IT-Sicherheit die von Quantencomputern ausgehen. Unsere Informationssysteme sind nur deshalb sicher, weil moderne Computer bestimmte mathematische Probleme nicht lösen können. Das ändert sich mit der Ankunft von Quantencomputern, und einige der bestehenden Verteidigungsstrategien werden nutzlos.

Im Gegensatz zu ihren klassischen Pendants werden Quantencomputer in der Lage sein solche mathematischen Probleme mit ungeheurer Geschwindigkeit zu lösen. Die Algorithmen, die wir heute für digitale Signaturen und den Schlüsselaustausch verwenden, werden nicht mehr ausreichend stark sein um Daten vertraulich zu halten, sobald ein ausreichend leistungsfähiger Quantencomputer gebaut ist. Das bedeutet, dass kryptographische Kerntechnologien, auf die wir uns derzeit verlassen, wie RSA und elliptische Kurvenkryptographie, unsicher werden. Diese asymmetrischen Algorithmen bilden heute die Grundlage für die meisten Sicherheitssysteme, einschließlich Web Browsing und Finanztransaktionen.

 

Die Zeit nutzen

Niemand kann mit Bestimmtheit sagen wann ein ausreichend leistungsfähiger Quantencomputer existieren wird. Also müssen alle Sicherheitssysteme vor diesem ungewissen Zeitpunkt mit Algorithmen aktualisiert werden, die stark genug sind, Angriffe abzuwehren, die entweder von klassischen Computern oder von Quantencomputern ausgehen.

Die Sicherheits-Community befindet noch immer darüber, welche Algorithmen in einer Post-Quantum-Welt eingesetzt werden sollen. Bis zur endgültigen Entscheidung sollten sich Unternehmen darauf konzentrieren »kryptoagil« zu sein oder zu werden. Das heißt, Produkte so zu entwerfen (oder zu rekonstruieren), dass sie problemlos zwischen verschiedenen Algorithmen wechseln können. Das gewährleistet ausreichend vorbereitete Systeme, wenn es nötig ist auf sicherere Technologien umzustellen.

Ich bin was die Zukunft der Post-Quantum-Kryptographie angeht optimistisch. Unternehmen sollten das auch sein. Und vor allem die verbleibende Zeit nutzen, um ihren Ansatz zu perfektionieren, die Technologie zukunftssicher zu machen und Best Practices für Computer der nächsten Generation einzuführen.

Duncan Jones, Head of Research, Thales eSecurity

 

[1] http://www8.nationalacademies.org/onpinews/newsitem.aspx?RecordID=25196&_ga=2.239193668.63475225.1544640362-1227258744.1544640362

 


 

Quantum-Flagship: Gemeinsam zum europäischen Quantencomputer

Start der europäischen Forschungsinitiative »Quantum Flagship«. Mehr als 5000 Forscherinnen und Forscher aus Wissenschaft und Industrie sind daran beteiligt.

Illustration: Absmeier, TheDigitalArtist

Quantentechnologien in Europa vom Forschungslabor in die Alltagstechnik übersetzen: Das ist das Ziel der Forschungsinitiative »Quantum-Flagship«, die heute mit einer Auftaktveranstaltung in Wien offiziell startet. Mit einem Budget von einer Milliarde Euro und einer Laufzeit von zehn Jahren handelt es sich um eine der ambitioniertesten Forschungsinitiativen der Europäischen Union. Sie vereint Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Unternehmen und politische Akteure und unterstützt großangelegte und langfristige Forschungsprojekte. Das Forschungszentrum Jülich, so die Pläne, wird Standort eines zukünftigen Quantencomputers, der zusammen mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie entwickelt wird.

Das Feld der Quantenforschung entwickelt sich weltweit in rasantem Tempo. Vom Verständnis grundlegender Zusammenhänge geht es immer mehr hin zu technologischen Anwendungen. Das Quantum-Flagship soll Europa bei der Quantentechnologie ganz nach vorne bringen. Mehr als 5000 Forscherinnen und Forscher aus Wissenschaft und Industrie sind daran beteiligt. In ihrer ersten Phase fördert die Initiative 20 Forschungsvorhaben. Das Forschungszentrum Jülich bringt seine Expertise in drei Projekte ein.

 

Ein europäischer Quantencomputer

Am Projekt »OpenSuperQ« sind zehn Partner aus Wissenschaft und Industrie beteiligt. Sie entwickeln und bauen in den kommenden drei Jahren einen europäischen Quantencomputer – der erste auf diesem Level und unter vergleichbaren Systemen weltweit führend. Der Rechner soll vor allem die Simulation von Abläufen in Chemie und Materialwissenschaften sowie das Maschinelle Lernen, ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, beschleunigen.

Dazu wird am Forschungszentrum Jülich ein Forschungslabor eingerichtet, zu dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt über eine Cloud offenen Zugang haben. Prof. David DiVincenzo, einer der Pioniere auf dem Gebiet der Quanteninformation und Direktor des Bereichs Theoretische Nanoelektronik des Peter Grünberg Instituts, und Prof. Kristel Michielsen, Leiterin der Forschungsgruppe Quantum Information Processing am Jülich Supercomputing Centre, sind maßgeblich an dem Vorhaben beteiligt.

Koordiniert wird das Projekt von Prof. Frank Wilhelm-Mauch von der Universität des Saarlandes. Zu den Partnern gehört neben dem Forschungszentrum Jülich unter anderem auch die ETH Zürich.

 

Quantensensorik und Quantensimulation

Jülicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind darüber hinaus an zwei weiteren Projekten beteiligt:

»ASTERIQS« wird Defekte im Kristallgitter von Diamanten nutzen, um eine leistungsfähige Quantensensorik zu entwickeln, etwa für die Elektroautoindustrie und für Lab-on-Chip-Kernspinresonanz zur Früherkennung bei Krankheiten.

Im Projekt »PASQuanS« sollen neue Zugänge zu Simulationen gefunden werden, um Fragen beispielsweise der statistischen Physik und der Materialforschung neu bearbeiten zu können.

 

Die Koordination

Um das volle Potenzial des Quantum-Flagship von Anfang an auszuschöpfen, wird es in der Anfangsphase durch die sogenannte Quantum Support Action (QSA) gesteuert und koordiniert. Prof. Tommaso Calarco, seit September Direktor des Bereichs Quantum Control des Jülicher Peter Grünberg Instituts, leitet die QSA, die den Grundstein für künftige Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahmen legt.

Calarco ist außerdem Vorsitzender des Quantum Community Network, einem Netzwerk von hochkarätigen Mitgliedern der Quantentechnologie-Community. Dieses soll helfen, die große Anzahl von Interessengruppen in Europa angemessen einzubinden.

 


 

 

Ein Quantensprung für die Quantentechnologie

Im Oktober 2018 ist das Quantentechnologie-Flaggschiff der Europäischen Kommission vom Stapel gelaufen. Das Forschungsprogramm soll mit Fördergeldern im Umfang von einer Milliarde Euro über zehn Jahre hinweg die Entwicklung von Produkten fördern, die auf den Regeln der exotischen Quantenwelt beruhen. Zusätzlich wird die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode rund 650 Millionen Euro beisteuern. Zu den geistigen Vätern hinter der Initiative gehört Prof. Tommaso Calarco vom Jülicher Peter Grünberg Institut. Zusammen mit zwei Kollegen hatte er im Frühjahr 2016 das »Quantenmanifest« veröffentlicht. Rund 3.400 Vertreter aus Wissenschaft und Industrie unterzeichneten das zwanzigseitige Papier, das eine europäische Initiative für die Quantentechnologien der nächsten Generation forderte. Unser Autor Arndt Reuning hat mit dem Physiker über die inhaltliche Ausrichtung der ersten Förderrunde des Flaggschiff-Programms gesprochen.

Prof. Tommaso Calarco | Copyright: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

 

Das europäische Flaggschiff-Programm soll dabei helfen, »Quantentechnologien der zweiten Generation« zu entwickeln. Was ist darunter zu verstehen?

Viele Anwendungen und Produkte unseres täglichen Lebens beruhen heutzutage schon auf Effekten der Quantenmechanik. Ohne sie wären kein Transistor, kein Laser und kein Computerprozessor denkbar. Aber alle diese Technologien beruhen darauf, dass wir mit ihnen eine große Zahl von Atomen, Elektronen, Photonen oder anderen Teilchen nutzen. Die zweite Quantenrevolution, die sich gerade vollzieht, manipuliert einzelne Quantenobjekte. Zum Beispiel in der Kommunikation: Nachrichten werden heutzutage Bit für Bit mit Laserpulsen über Glasfaserleitungen übertragen. Diese Botschaften lassen sich abhören. Ich muss nur von dem Laserpuls ein paar wenige Photonen abzweigen. Wenn ich aber pro Bit nur ein einzelnes Photon, ein einzelnes Quant, sende, dann lässt sich das nicht weiter teilen. Ein Lauscher müsste das Photon selbst abfangen. Doch dabei würde er es verändern und sich damit selbst verraten. Kommunikation über einzelne Photonen bedeutet also ein höchstes Maß an Sicherheit für die Datenübertragung.

 

Als »Heiliger Gral« der Quantentechnologie wird die Entwicklung eines Quantencomputers angesehen, der heutigen Superrechnern zumindest für einige Aufgaben deutlich überlegen ist. Ist das auch eines der Ziele im Quanten-Flaggschiff?

Oh ja, das Quantencomputing stellt eine der vier Säulen des Programms dar. Das ist sicher eine große, längerfristige Vision, aber eben auch eine ausgesprochen spannende Anwendung. Computer rechnen mit dem Bit als kleinster Informationseinheit. Teilchen, die in der Quantenwelt Informationen tragen, unterliegen nämlich nicht mehr den klassischen Gesetzen der makroskopischen Welt. Ihre Zustände können sich überlagern. Und daher können Bits in der Quantenwelt, sogenannte Qubits, auch jeden beliebigen Wert zwischen Null und Eins annehmen. Außerdem lassen sich zwei Teilchen miteinander verschränken. Sie sind dann wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Albert Einstein nannte das einst die »spukhafte Fernwirkung«. Auf diesen Effekten beruht die außergewöhnliche Rechenkraft der Quantencomputer, die es ihnen zum Beispiel erlauben dürfte, das Standardverfahren zur Verschlüsselung von Daten im Internet auszuhebeln. Noch sind sie nicht so weit, aber bald schon dürften sie ihren Vorteil in dieser Hinsicht ausspielen können. Und das wäre dann ein Quantensprung der Rechenleistung im wahrsten Sinn des Wortes.

 

Sie haben erwähnt, dass das Quantentechnologie-Flaggschiff auf vier Säulen steht. Welche sind das noch?

Neben dem Quantencomputing und der sicheren und schnellen Kommunikation geht es noch um die Simulation von komplexen Materialien mit Hilfe vereinfachter Quantenmodelle. Das könnte zum Beispiel die Entwicklung neuartiger Materialien fördern. Und die vierte Säule bildet der Bereich der Sensorik und Metrologie. Dabei geht es zum Beispiel darum, hochgenau Messgeräte zu entwickeln, welche die Gehirnaktivität in Echtzeit aufzeichnen können. Das würde uns dabei helfen, neurologische Krankheiten besser zu verstehen und möglicherweise auch zu heilen. Außerdem könnten uns Quantentechnologien dabei helfen, unsere Navigationsgeräte zu verbessern. Wir navigieren heutzutage aufgrund von Satellitensignalen, deren Genauigkeit von 2 Atomuhren abhängt. Wenn wir für diese Uhren einzelne, verschränkte Atome als Taktgeber nutzen, lässt sich ihre Präzision noch einmal deutlich verbessern. Ich wüsste dann ganz genau, wie weit mein Auto vom Straßenrand weg ist oder von anderen Autos. Das wäre enorm wichtig für autonomes Fahren. Also: auch jenseits des Quantencomputers verfolgen wir im Flaggschiff-Programm Ziele mit großer gesellschaftlicher Relevanz.

 

Aber bewegen wir uns heutzutage nicht eher noch im Bereich der Grundlagenforschung, wenn es um Quantentechnologien geht? Wie kann der Übergang zu industriellen Anwendungen gelingen?

Genau darum geht es ja im Flaggschiff-Programm. Auf der wissenschaftlichen Ebene haben wir in Europa eine Reife erreicht, die es uns ermöglicht, diese Erkenntnisse aus dem Forschungslabor in Produkte umzusetzen. Wir verfügen über eine hohe wissenschaftliche Exzellenz, aber bis vor kurzem noch nicht über die relevante Beteiligung der Industrie. So dass wir das Risiko eingehen würden, dass die Erkenntnisse, die hier in Europa initiiert worden sind, woanders in Produkte und wirtschaftliches Wachstum umgewandelt würden. Wir waren uns bewusst, dass wir jetzt handeln müssen. Aufgrund der sehr großen Konkurrenz von privaten und öffentlichen Geldgebern außerhalb von Europa bestünde sonst die Gefahr, dass wir international abgehängt würden. Mit dem Flaggschiff-Programm haben wir nun aber den richtigen Kurs eingeschlagen. Die Grundlagenforschung wird weiterhin wichtig bleiben. Denn Wissenschaftler brauchen einen Freiraum, um Ideen nachzugehen einfach aufgrund ihrer Neugierde. Dann ergeben sich Erkenntnisse, die dann später zu Anwendungen führen. Die Grundlagenforschung bildet somit das Fundament für die vier thematischen Säulen.

 

Wo sehen Sie die großen Herausforderungen, die vor Ihnen liegen?

Jetzt haben wir einen sehr großen finanziellen Schub sowohl von der Europäischen Kommission als auch der Bundesregierung bekommen. Wir müssen uns nun bemühen, das Forschungsprogramm mit Leben zu füllen, die Innovationen auf den Markt zu bringen. Es geht dabei auch um Fragen der Robustheit. Ein hochgenauer Sensor darf nicht nur unter kontrollierten Laborbedingungen funktionieren, sondern auch als kleiner, preiswerter Chip auf meinem Handy. Dazu müssen sich Quantenforscher und Ingenieure zueinander hinbewegen, um benutzerfreundliche Produkte zu entwickeln. Daher müssen wir sicherstellen, dass auch die akademische Ausbildung angepasst wird: Wir brauchen Studiengänge für Quanteningenieure. Auch das wird einen wichtigen Teil des Quantenflaggschiffs darstellen.